Viele kleine Schritte

Mehrmals wöchentlich werden im Land Brandenburg Menschen Opfer rechter Gewalttaten. Für das Jahr 2005 zählt die Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt Opferperspektive in Brandenburg 131 Fälle von rechter Gewalt (Stand: 22. April 2006). Die Zahl der erfassten rechten Angriffe ist über die letzten fünf Jahre relativ konstant geblieben 1. Als rechte Angriffe definiert die Opferperspektive rechtsmotivierte Körperverletzungsdelikte und Nötigungen sowie gegen Personengruppen gerichtete Brandstiftungen und Sachbeschädigungen 2. Knapp drei Viertel aller rechten Gewalttaten waren 2005 Körperverletzungen.

In diese Statistik finden die Fälle Eingang, die von Betroffenen, lokalen Beratungsstellen, den Medien und der Polizei der Opferperspektive oder der Öffentlichkeit bekannt gemacht wurden. Das geschieht jedoch nur bei einem Teil der Fälle, eine relativ große Zahl rechter Gewalttaten bleibt unbekannt. Das zeigt sich an den Unterschieden zwischen den Statistiken der Opferperspektive und der Polizei. Die Definitionen sind seit der Reform der polizeilichen Erfassung rechter Straftaten im Jahr 2001 im Wesentlichen die gleichen, trotzdem weichen die erfassten Gewalttaten jedes Jahr deutlich voneinander ab. Die polizeiliche Statistik wies bislang stets eine geringere Zahl rechtsmotivierter Gewalttaten pro Jahr aus.

Bedeutsamer ist, dass jeweils eine relativ hohe Zahl von Angriffen, die in der polizeilichen Statistik enthalten sind, der Opferperspektive nicht bekannt wurden und daher auch nicht gezählt werden konnten3. Häufig erhält die Opferperspektive keine Kenntnis von rechten Gewalttaten, weil Polizeidienststellen in ihren Meldungen politische Tatmotivationen ausschließen oder unerwähnt lassen. Manche Fälle rechter Gewalt werden gar nicht veröffentlicht. Für eine hohe Dunkelziffer sprechen zudem Erfahrungen aus der Arbeit der Opferperspektive. Ein Teil der Opfer rechter Gewalttaten verzichtet aus Angst vor Racheakten der Täter darauf, eine Anzeige zu erstatten. Hinzu kommt, dass Betroffene oder Personen in ihrem sozialen Umfeld im Gespräch noch von weiteren Gewalttaten berichten, die bis dahin nicht bekannt waren.

Rechte Gewalttaten sind in der Regel keine Beziehungstaten. Zumeist kennen sich Opfer und Täter nicht, noch kommt es vor den Angriffen zu verbalen Auseinandersetzungen; kennzeichnend für die Kommunikation sind vielmehr einseitige Beleidigungen durch die Täter und allgemeine rechte Parolen. Insbesondere bei gegen MigrantInnen4 gerichtete Gewalttaten wird die Stereotypisierung der Opfer als Tatlegitimation deutlich. In den tatbegleitend geäußerten Beleidigungen und Parolen, oder in späteren Rechtfertigungen, kommen häufig abstrakte Aussagen wie jene vor, Ausländer nähmen Deutschen Arbeitsplätze weg. Nicht selten produzieren die Täter auch konkrete Imaginationen, etwa, dass das Opfer eine deutsche Frau angemacht oder die deutsche Mutter des Täters beleidigt habe. Die Handlungsmotive werden in jedem Fall vorgestellt als legitime Akte der Verteidigung der Mehrheitsgesellschaft gegen Minderheiten. Die Wechselwirkung zwischen dem Selbstbild der Täter und öffentlichen minderheitenfeindlichen Diskursen ist augenfällig.

Zu Opfern rechter Gewalt werden in der Regel Menschen, die innerhalb bestimmter Sozialräume als ethnische, kulturelle oder soziale Minderheiten begriffen und strukturell ausgegrenzt werden. Jede zweite rechte Gewalttat in Brandenburg war im Jahr 2005 von Rassismus motiviert; betroffen waren Flüchtlinge, MigrantInnen und deutsche Staatsbürger, die aufgrund ihrer Hautfarbe von den Tätern abgelehnt wurden. Die zweite große Gruppe Betroffener sind nicht-rechte Jugendliche, Punks, Linke. Etwa 90 Prozent der Opfer sind männlich. Eine Opfergruppe, zu der die Beratungsstelle kaum Kontakt erhält, sind Wohnungslose. Das muss besonders betont werden, weil das Ausmaß sozialdarwinistisch motivierter Gewalt gegen Wohnungslose in der Arbeit der Beratungsstelle nicht kenntlich wird und gleichzeitig allgemein deutlich unterschätzt wird. Werena Rosenka, die stellvertretende Geschäftsführerin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe e. V., kritisierte in einem Artikel: »Die Gewalt gegen Wohnungslose findet keine nachhaltige Resonanz in der Öffentlichkeit, obwohl die Tatsache, dass diese Gewalttaten eindeutig als Jugendgewalt, in einigen Fällen mit rechtsradikalem Hintergrund, zu identifizieren sind, ins Auge springt«5.

Das Prinzip Opferperspektive

Die Opferperspektive wurde 1998 gegründet. Idee und Konzept des Projektes griffen auf Erfahrungen antifaschistischer Initiativen in Berlin und Brandenburg zurück. In den 1990er war es zu zahlreichen rechten Angriffen, vor allem gegen Flüchtlinge und Linke, gekommen. Neonazis propagierten die Schaffung »national befreiter Zonen» als strategisches Konzept. Die linke antifaschistische Szene reagierte auf die Gewalt von rechts mit gemeinsamen Aktionen und gegenseitiger Unterstützung. Im Rahmen dieser Aktivitäten wurden unterschiedliche Reaktionsweisen nach rechten Gewalttaten durch verschiedene Menschen erlebt. Während manche durch erlittene Gewalt in ihrem antifaschistischen Widerstand bestärkt wurden, reagierten andere Menschen mit dem Rückzug aus ihrem sozialen Umfeld und öffentlichen Aktivitäten. Der Kontakt zu diesen Betroffenen, die zum Teil ihren Kleidungsstil änderten oder ihren Wohnort wechselten, verdeutlichte, wie – über die Verletzung des Einzelnen hinaus – rechte Gewalt gesellschaftlich wirkt.

In der öffentlichen Diskussion der 1990er Jahre wurde Rechtsextremismus mit dem Fokus auf die Täter diskutiert. Eine gängige Herangehensweise war, rechte Gewalt und Propagandadelikte als jugendspezifische Verhaltensweisen zu verstehen. Die daran anschließenden Handlungsvorschläge waren im Wesentlichen präventive, pädagogische, an der »Integration» der Rechten orientierte Konzepte. Der gesellschaftliche Charakter des Rechtsextremismus, etwa die Verknüpfung seiner Ideologie mit legitimierten politischen Diskursen, wurde weitgehend ausgeklammert. Die Folgen rechter Gewalt für die Betroffenen, für potenzielle Opfergruppen6 und das gesellschaftliche Leben wurden kaum ernsthaft diskutiert.

Vor diesem Hintergrund entwickelte eine antifaschistische Gruppe Ende der 1990er Jahre das »Prinzip Opferperspektive»7 als eine Strategie gegen Rechts, die unmittelbar bei der Unterstützung der Betroffenen ansetzt. Jede Gewalttat gegen Einzelne wird danach begriffen als ein Schritt, der auf die Ausgrenzung und Vertreibung gesellschaftlicher Gruppen zielt. Das Ausbleiben gesellschaftlicher Reaktionen und mangelnde Solidarität mit den Betroffenen bewirkt, dieser Perspektive folgend, dass die rechten Täter in ihrem Glauben an die Zustimmung einer gesellschaftlichen Mehrheit zu ihren Zielen stabilisiert werden. Unter diesen Bedingungen können sie ungehindert weiter schlägern und ihre Strategie der Einschüchterung fortsetzen. Durch ihre Gewalttaten erzeugen die Rechten Angsträume. Die Fähigkeit, den öffentlichen Raum zu strukturieren, ist eine wesentliche Grundlage ihrer Macht. Besonders deutlich zeigt sich dieser Zusammenhang in ländlich geprägten Räumen und in Kleinstädten, wo die soziokulturelle Struktur wenig vielfältig ist. Potenzielle Opfer verfügen hier über wenig gesellschaftlichen Rückhalt und zugleich kaum über Möglichkeiten, den Rechten aus dem Weg zu gehen.

Ausgehend von der gesellschaftlichen Wirkung von Gewalttaten gegen Einzelne, verknüpft das Konzept der Opferperspektive die individuelle Unterstützung von Betroffenen rechter Gewalt mit politischen Interventionen, die eine gesellschaftliche Solidarisierung mit den Opfern anregen und Prozesse fördern sollen, die rechte Angriffe zukünftig verhindern helfen. Die Zuwendung zu den Betroffenen steht bei der Arbeit der Beratungsstelle im Vordergrund. Die Beratung verfolgt die Prinzipien der Freiwilligkeit und der Parteilichkeit. Die Betroffenen sollen nach der Gewalterfahrung darin unterstützt werden, aus der Passivität der Opferrolle herauszufinden, um sich wieder aktiv am gesellschaftlichen Leben beteiligen zu können. Die Opferperspektive war die erste Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt in Deutschland. Durch das Bundesprogramm CIVITAS gefördert, sind seit 2001 in allen ostdeutschen Bundesländern solche Beratungsstellen entstanden.

Eine systematische und kontinuierliche Recherche ist ein Kernbereich der Arbeit der Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalttaten. Nur in wenigen Fällen wenden sich Betroffene, die zuvor noch keinen Kontakt zu der Beratungsstelle hatten, aus Eigeninitiative an die Opferperspektive. Die Kenntnis über rechte Angriffe erhält die Beratungsstelle durch eine tägliche Auswertung der regionalen Tagespresse sowie durch Hinweise lokaler Akteure und Kooperationspartner. Mit diesen Informationen versuchen die Mitarbeiter, Kontakt zu den Betroffenen herzustellen und Unterstützung anzubieten. Wird dieses Angebot von den Betroffenen angenommen, kommt es zu einem ersten Beratungsgespräch an einem Ort, den die Opfer selbst bestimmen. Die Beratung ist grundsätzlich aufsuchend.

In einem ersten Gespräch wird den Betroffenen die Möglichkeit gegeben, über das Erlebnis zu sprechen. Neben der Schilderung des Tathergangs und den unmittelbaren Tatfolgen wird bei einem Erstgespräch die Lebenssituation der Betroffenen, das soziale und kommunale Umfeld, erörtert. Die Einschätzung der akuten weiteren Gefährdung und die Aktivitäten der Rechten vor Ort werden ebenfalls besprochen. Daran anknüpfend stellen die BeraterInnen die Unterstützungsmöglichkeiten dar und klären mit den Betroffenen, an welchen Punkten die Beratungsstelle sie unterstützen kann und soll. Die Unterstützungsleistungen, die von der Beratungsstelle angeboten werden, sind in der Regel:

  • Rechtliche Hinweise
  • Vermittlung juristischer Unterstützung
  • Begleitung und Unterstützung im Rahmen von Straf- und Zivilverfahren
  • Hilfe bei der Beantragung von (Entschädigungs-)Leistungen
  • Psychosoziale Beratung nach systemischen Gesichtpunkten
  • Psychologische Krisenintervention
  • Vermittlung psychotherapeutischer Unterstützung
  • Öffentlichkeitsarbeit

Die Unterstützung in allen rechtlichen Fragestellungen nimmt großen Raum ein. Es besteht ein grundlegender Bedarf an der Vermittlung von Kenntnissen über Strafverfahren sowie Schmerzensgeldansprüche und die Finanzierung von Behandlungen und Therapien. Eine wichtige Frage, die sich Betroffenen unmittelbar stellt, ist ihre Rolle in einem Strafverfahren. Ein Teil der Betroffenen neigt aus unterschiedlichen Gründen dazu, keine Anzeige zu erstatten, wobei die Angst vor erneuter Bedrohung beziehungsweise vor Racheakten der Täter oft die entscheidende Rolle spielt. Weiter kann ein durch Diskriminierungserfahrungen gewachsenes Misstrauen gegenüber der Polizei vorhanden sein, oder die Betroffenen sind prinzipiell der Ansicht, dass das Problem rechter Gewalt nicht durch Strafverfolgung, also durch den Staat, zu lösen ist. Leider haben sich manche Betroffene daran gewöhnt, bedroht und geschlagen zu werden. Sie haben sich in dem Leben mit dieser Gefahr eingerichtet und sehen keine Möglichkeit, daran etwas zu ändern. Jüngere Punker und Antifas erklären in Gesprächen häufig, dass man entweder zurückschlagen oder still halten müsse. Der Rechtsweg bietet ihnen keine Lösung für ihre konkreten Probleme.

Einerseits sind Gesetzesverschärfungen oder die zum Teil von konservativen politischen Kräften geforderte Abschaffung des Jugendstrafrechts gefährliche gesellschaftliche Entwicklungen. Andererseits, und das ist für Betroffene unmittelbar relevant, sind bei den Straftatbeständen, um die es in solchen Fällen geht, bei Anwendung des Jugendstrafrechts nur geringe Strafen, eine Verwarnung oder das Ableisten von Sozialstunden, zu erwarten. Zugleich werden die Betroffenen den Tätern, die sie belastet haben, weiterhin begegnen müssen. Eine skeptische Haltung gegenüber strafrechtlichen Schritten findet sich bei einem Teil der Betroffenen, andere hingegen sehen in der Strafverfolgung den einzigen Weg. Zum Teil gehen die Wünsche von Geschädigten bezüglich der Strafzumessung für die Täter weit über die gängige Rechtspraxis hinaus und widersprechen der Idee sozialer Konfliktaushandlung. Diese Betroffenen haben häufig auch kein Interesse an einer politischen bzw. öffentlichen Auseinandersetzung. Im Fall autoritärer Vorstellungen gerät die Beratungsarbeit politisch und mit der Parteilichkeit an Grenzen.

Eine bedeutende Funktion hat die Nebenklage, die Geschädigten die Möglichkeit gibt, sich durch Rechtsanwälte im Strafverfahren vertreten zu lassen. Bei schweren Straftaten haben Geschädigte das Recht, als Nebenkläger aufzutreten, bei geringfügigen Straftaten liegt die Zulassung im Ermessen des Gerichts. Im Jugendstrafrecht ist die Nebenklage ausgeschlossen. Durch eine Nebenklage kann der Geschädigte eine aktive Rolle im Strafverfahren einnehmen anstatt sich lediglich als Zeuge befragen zu lassen. Als Prozessbeteiligte erhalten Nebenklagevertreter Einsicht in die Ermittlungsakte und verfügen während der Hauptverhandlung über das Antrags- und Fragerecht. Die Hauptverhandlung ist in vielen Fällen der einzige Ort, an dem öffentlich über den Angriff kommuniziert wird. Die Nebenklage kann auf die Beweiserhebung Einfluss nehmen, um einen rechten Tathintergrund stärker herauszuarbeiten. Die Feststellung eines politischen Tatmotivs kann in der Strafzumessung eine strafverschärfende Rolle spielen.

Die Würdigung der politischen Dimension in der Urteilsbegründung ist auch für die öffentliche Wahrnehmung und Bewertung der Gewalttat von zentraler Bedeutung. Für die Opfer ist die Hervorhebung des rechten Hintergrundes unabhängig ihrer eigenen politischen Einstellung ein wichtiger Aspekt. Die Anerkennung der politischen Motivation erklärt die Tat und wirkt entlastend auf die Opfer, da die empfundene Ungerechtigkeit bestätigt und eine möglicherweise unterstellte Mitschuld zurückgewiesen wird. Diese Bedeutung erklärt sich mit der ideologischen Aufladung rechter Gewalttaten. Die Botschaft der Ausgrenzung und des Absprechens grundsätzlicher Rechte wirkt um so schwerer auf die Betroffenen, je stärker sie auch im Alltag in den verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen von Ausgrenzung und Diskriminierung betroffen sind, sie trifft auf bereits oder alltäglich erlebte Erfahrungen.

Der Angriff ist dann nur eine gewaltsame Zuspitzung der täglich erfahrenen gesellschaftlichen Stellung. Dies gilt insbesondere für die Gruppe der Flüchtlinge. Jede rassistische Beleidigung, jeder abschätzige oder hasserfüllte Blick, erhält nach der Erfahrung eines Angriffs ein neues Bedrohungspotenzial. Körperliche Verletzungen sind oft – nicht immer – zweitrangig, schwerwiegender sind in diesen Fällen die psychischen Folgen. Ein Gerichtsprozess kann in diesem Zusammenhang als eine Art Korrektiv und Referenzrahmen wirken. Das Urteil über den rechten Angriff wird von einigen Betroffene als Stellungnahme im Kontext der täglich erfahrenen Ausgrenzung und Diskriminierung gewertet. Je nach Ausgang und Verlauf kann das Gerichtsverfahren im besten Fall eine psychologische Unterstützung bei der Verarbeitung der Tat darstellen. Ein politischer Erfolg wäre es, wenn diese Rolle von der Zivilgesellschaft übernommen würde.

Mit der Begleitung im Strafverfahren und anderen Hilfen verfolgt die Beratungsstelle das Ziel, die Betroffenen bei der Verarbeitung der Gewalterfahrung zu unterstützen. Ein Vermeidungsverhalten – etwa die Anpassung der äußeren Erscheinung oder das Meiden bestimmter, als gefährlich wahrgenommer Orte – soll entgegen gewirkt werden. Die Opfer sollen darin bestärkt werden, ihr Leben nicht von Angst- und Bedrohungsgefühlen bestimmen zu lassen. Es sind weniger große Gesten als viele kleine Schritte, die dabei für die Opfer entscheidend sein können. In einigen Fällen sind die Mitarbeiter der Beratungsstelle die einzigen, die sich bei den Betroffenen nach einem Angriff melden. Häufig sind sie die einzigen, die auch nach langer Zeit noch für Unterstützung bei der Bewältigung langfristiger Angriffsfolgen ansprechbar sind.

Kommunale Interventionen

Die Opferperspektive verknüpft die Beratung von Opfern und Opfergruppen nach Möglichkeiten mit Maßnahmen, die darauf abzielen, das gesellschaftliche Umfeld für deren Situation zu sensibilisieren und durch eine Solidarisierung zu einer Verbesserung ihrer Lage zu gewinnen. Zudem kann eine Intervention in die kommunalen Verhältnisse im Idealfall die Entwicklung von Unterstützungsnetzwerken für die Betroffenen befördern, die diesen wiederum mehr Sicherheit sowie eine gewisse Aufmerksamkeit und bessere Handlungsmöglichkeiten bieten. Angestrebt wird, lokale Akteure gegen Rechtsextremismus und deren Vernetzung zu stärken. Eine kommunale Intervention geht in der Regel von einem konkreten Fall aus und ist mit den Betroffenen abgestimmt. Darüber hinaus ist von großer Bedeutung, dass sie nicht allein »von Außen» in eine Kommune hinein agiert, sondern in Kooperation mit lokalen oder regionalen Akteuren, die über eine genaue Einschätzung der lokalen Probleme und Möglichkeiten verfügen, geplant und umgesetzt wird. Eine wichtige Rolle spielen dabei kommunale oder regionale Bündnisse und Initiativen gegen Rechts, die sich in Brandenburg entwickelt haben.

Durch diese Netzwerke hat sich in einigen Orten eine ausgrenzende Praxis gegenüber Rechten etabliert. Beim Versuch, öffentliche Räume anzumieten, müssen Rechte inzwischen durchaus mit der Ablehnung kommunaler Behörden rechnen. Ihre Demonstrationen stoßen auf Widerstand auch aus dem bürgerlichen Lager. Im November 2005 stellten sich in Potsdam unter den Augen der Polizei 4.000 Personen – darunter die Stadtverordneten aller Parteien – einem Aufmarsch einiger hundert Rechter entgegen. Die von dem Neonazi Christian Worch angemeldete Demonstration wurde durch die Blockade verhindert. Zu ähnlichen Reaktionen und einem Zusammenspiel zwischen unterschiedlichen politischen Spektren mit der Polizei kam es zum Teil auch in der Kleinstadt Halbe, wo Neonazis regelmäßig zum Gedenken an SS-Angehörige am Soldatenfriedhof aufmarschieren.

Die Entstehungsgeschichte und Zusammensetzung der Bürgerinitiativen ist unterschiedlich. Häufig sind sie gar nicht auf Initiative von Privatpersonen entstanden, sondern durch kommunale Verwaltungen gegründet worden. In diesen Fällen werden sie entsprechend stark von den Angehörigen kommunaler Behörden, Parteigliederungen oder staatlicher Organe – den lokalen Autoritäten – geprägt. Diese nehmen eine Doppelfunktion ein, die das oben beschriebene Zusammenwirken der unterschiedlichsten politischen Kräfte in einigen Fällen befördert hat, sich aber auch gegen Betroffene rechter Gewalt richten kann. Während die Behördenvertreter als Angehörige eines Bündnisses gegen Rechts Betroffene rechter Gewalt unterstützen, verfolgen sie hauptberuflich zuweilen Interessen, die damit in Widerspruch geraten können oder gar grundsätzlich zuwider laufen.

In einem solchen Bündnis vertritt beispielsweise ein Polizeibeamter als ehrenamtlicher Mitarbeiter die Hilfsorganisation für Kriminalitätsopfer Weißer Ring. Aufgrund seiner Mitgliedschaft in der Organisation und dem Bündnis nahm ein ausländischer Student Kontakt zu ihm auf. Der Mann erhoffte sich Hilfe, weil er in Folge eines rassistischen Angriffs Kosten für den Verlust seiner Uhr und seiner Sonnenbrille sowie einen Krankentransport zu tragen hatte. Der ehrenamtliche Opferhelfer nahm die Information auf, sah jedoch als Polizist in die Ermittlungsakte und stellte fest, dass neben dem Verfahren gegen den rassistischen Täter auch ein Beschuldigtenverfahren gegen das Opfer eingeleitet worden war. Der Rechte hatte ebenfalls Anzeige erstattet. Daraufhin verweigerte der Polizist – nun wieder in seiner Funktion als Opferhelfer – dem Studenten jede Hilfe, da die Organisation ausschließlich Geschädigten Unterstützung gewährt. Das Beschuldigtenverfahren gegen das Opfer wurde später eingestellt.

In einem anderen Fall suchte eine Mitarbeiterin der Opferperspektive mit zwei binationalen Paaren, die mehrfach von rechten Beleidigungen und Angriffen betroffen waren, ein lokales Bündnis gegen Rechts auf. Die Betroffenen sollten dort von ihren Erfahrungen berichten, damit anschließend in dem Bündnis über Unterstützungsmöglichkeiten nachgedacht werden könnte. Nachdem eine der Betroffenen die Vorfälle geschildert hatte, die sich im in der Grünanlage einer Wohnsiedlung ereignet hatten, ergriff eine im Bündnis vertretene Mitarbeiterin einer Wohnungsgenossenschaft das Wort. Sie erklärte, dass es mehrmals Klagen von Mietern gegen eine der betroffenen Frauen wegen lauter Musik gegeben habe. Dieser Beitrag stellte die rassistischen Motive der Tat in Abrede; der Vorfall erhielt im Bündnis dadurch eine andere Interpretation, in der die Opfer letztlich als die Personen galten, die sich der Ruhestörung schuldig gemacht und so Anfeindungen provoziert hatten. Der rassistische Angriff, den sie erlitten hatten, wurde dadurch in gewisser Weise legitimiert.

Die Vertretung behördlicher Interessen ist häufig die primäre Motivation für die Teilnahme an den Bündnissen, die zum Teil sehr offenherzig als zusätzliche Instrumente des Verwaltungshandelns betrachtet werden. Die Sorge um das Image der Gemeinde, das durch rechte Umtriebe eingetrübt wird, gilt als gewichtiges Argument. Dementsprechend werden Maßnahmen gegen Rechts tendenziell dann vorangetrieben, wenn sie – etwa nach gravierenden Gewalttaten – einen Imagegewinn versprechen, während sie vermieden werden, wenn dadurch auf das Problem Rechtsextremismus erst aufmerksam gemacht würde. Opfer rechter Gewalt erfahren den Widerspruch zwischen dem eher durch die Standortpflege motivierten Verwaltungshandeln und ihren unmittelbaren Bedürfnissen und Interessen ganz unmittelbar. Öffentlich erhalten sie nach Gewalttaten durchaus Anteilnahme, auch wird dann kurzfristig politischer Handlungsbedarf verkündet. Bei den sich anschließenden konkreten Schritten erfahren die Betroffenen, insbesondere die Flüchtlinge, die Grenzen des Engagements. Die Maßnahmen, die ihr Leben tatsächlich verbessern würden, stehen zu den Strukturen und Routinen des Verwaltungsapparates in Widerspruch. Von den Solidaritätsbekundungen eines Bürgermeisters ist in den Amtsstuben der Ausländer- und Sozialämter nichts mehr zu spüren:

Bei einem rechten Angriff griffen zwei Frauen beherzt ein und retteten möglicherweise das Leben des Opfers. In der Folge wurden sie öffentlich im Rathaus für ihren Einsatz geehrt. Bei der Feier sagte die Bürgermeisterin auch dem Opfer ihre Unterstützung zu. Ein Wunsch des Betroffenen, ein Asylbewerber, war der Wohnortwechsel. Er wollte nicht länger an dem Ort bleiben müssen, an dem er den Angriff erlebt hatte. Aber alle Briefe und Telefonate halfen nichts. Der Umzug wurde abgelehnt. Die Bürgermeisterin, die die Dienstaufsicht über die Behörde innehatte, tat nichts, um dem Flüchtling zu einem Wohnortwechsel zu verhelfen.

Stärkung alternativer Jugendkulturen

Ein große Anzahl der Opfer rechter Gewalt sind Angehörige alternativer Jugendkulturen und linke Jugendliche. Zugleich sieht die Opferperspektive in der Stärkung alternativer Jugendkulturen und Jugendinitiativen eine wirksame Maßnahme gegen Rechts. Erfahrungen in verschiedenen Brandenburger Kommunen zeigen, dass eine mit eigenen Treffpunkten ausgestattete Jugendkultur den Einfluss rechtsorientierter Cliquen unter Jugendlichen zurückdrängen kann. Daher versucht die Beratungsstelle – mit ihren begrenzten Mitteln – durch Kooperationen mit Jugendinitiativen, politische Jugendbildungsarbeit und kommunale Interventionen dazu einen Beitrag zu leisten. Entscheidende Voraussetzungen von Interventionen, die die Lage von alternativen Jugendlichen verbessern sollen, sind die Zustimmung der Betroffenen und potenziell Betroffenen sowie ihr eigenständiges Interesse, sich zu engagieren. Das ist nicht immer gegeben. Betroffene lehnen unter anderem ab, weil sie durch eine öffentliche politische Auseinandersetzung eine zusätzliche Gefährdung für sich selbst, ihre Familienangehörigen und ihren Freundeskreis befürchten.

Diese Einschüchterung zeigt sich auch in Gerichtsverfahren. Rechtsanwälte der Opfer erleben immer wieder, dass Zeugen in polizeilichen Vernehmungen Beschuldigte belasten, etwa indem sie ihnen eine rechte Gesinnung attestieren, aber nicht bereit sind, diese Aussagen im gerichtlichen Zeugenstand und vor den Augen der Angeklagten zu wiederholen. Die Einschüchterung, die von Rechten ausgeht, trifft häufig auf eine erdrückende Gleichgültigkeit. In Gesprächen über Handlungsoptionen gegenüber rassistischer Diskriminierung oder rechten Angriffen erscheinen vielen Jugendlichen nur Varianten des Ertragens und Vermeidens vorstellbar.

Bei jenen, die ihren bedrängten Freunden, Mitschülern und Nachbarn beistehen könnten und sollten, hat der Selbstschutz und die Angst davor, durch Engagement negative Folgen zu erfahren, höchste Priorität. »Das geht mich nichts an», »Da kann man nichts machen» und »Jeder muss sehen, wie er klar kommt» sind oft gehörte Stellungnahmen, in denen fortschreitende Vereinzelung und Diskurse der Eigenverantwortlichkeit ihre Wirkung zeigen. Insbesondere bei denjenigen, die in der leistungsorientierten Gesellschaft als »Verlierer» gelten und sich dessen wohl bewusst sind, ist eine solche Haltung verbreitet. Eigene Ausgrenzungs- und Entwertungserfahrungen rücken Gleichberechtigung, Verantwortung und Respekt gegenüber anderen Menschen als Handlungsmotive in weite Ferne. Dass in bestimmten Situationen ein Eingreifen gegenüber Diskriminierung und Gewalt richtig und notwendig ist, selbst wenn dies das Risiko von Negativreaktionen oder einer Selbstgefährdung mit sich führt, ist in diesem Umfeld schwer zu vermitteln. Einem Opfer rechter Gewalt Begleitung und Unterstützung anzubieten kann ein enormer Schritt sein, weil er verlangt, sich von der Indifferenz der »schweigenden Mehrheit» abzusetzen und sich sozial und politisch zu positionieren.

Zwei kürzlich vorgestellte Forschungsergebnisse legen nahe, dass Rechtsextremismus an Identifikationskraft für Brandenburger Jugendliche verloren hat: »Rechtsextremismus ist out», fasste das Archiv der Jugendkulturen im Dezember 2005 seine Jugendkulturen-Präsenzstudie 2004/2005 8 zusammen. Im Januar 2006 erklärte das Brandenburger Ministerium für Bildung, Jugend und Sport anlässlich der Veröffentlichung der Studie »Jugend in Brandenburg 2005» der Universität Potsdam: »Im Betrachtungszeitraum 1999 bis 2005 haben wir einen rückläufigen Trend rechtsextremer Orientierungen bei Jugendlichen im Land Brandenburg. Insbesondere ist ein Anstieg der Jugendlichen festzustellen, die rechtsextreme Aussagen strikt ablehnen und die absolute Mehrheit von 52 % ausmachen»9.

Die Beratungsstelle kann aus ihrer Zusammenarbeit mit Jugendlichen und Lehrern keine verallgemeinerbaren Erkenntnisse dazu beitragen. Erfahrungen, die durch Workshops mit Schulklassen gesammelt wurden, scheinen aber zu bestätigen, dass die Rechten von einer Mehrheit abgelehnt werden. Lokale Unterschiede sind jedoch zu beobachten. So vermitteln Schüler in einigen Orten, dass die Rechten eine durchaus dominierende Stellung innehaben. Sie werden als gefährlich wahrgenommen und deshalb respektiert, zugleich aber abschätzig als »Deppen» oder »Feierabendnazis» bezeichnet. Bemerkenswert ist dabei die Beobachtung, dass Erklärungsansätze, die eine Zugehörigkeit zu rechtsorientierten Cliquen als Kompensationsstrategie in einem von Arbeitslosigkeit, familiären und sozialen Problemen geprägten Umfeld analysieren, von Jugendlichen wenig akzeptiert werden. Nach Ursachen und Unterscheidungsmerkmalen gefragt, nennen viele Schüler die politische Einstellung etwa gegenüber Migranten oder zum Nationalsozialismus. Dazu in gewisser Weise im Widerspruch steht die Beobachtung, dass rassistische Einstellungsmuster auch bei Schülern, die sich klar von der rechten Szene abgrenzen, verbreitet sind. Auf die in oben erwähnten Workshops gestellte Frage nach dem Anteil nichtdeutscher Migranten an der Brandenburger Wohnbevölkerung, der im Jahr 2004 nach Angaben des Statistischen Bundesamtes 2,6 Prozent betrug, vermuteten Schüler durchgängig höhere Anteile. Schätzungen von 50 Prozent und mehr waren nicht selten. Die Lebenswirklichkeit war damit nicht in Übereinstimmung zu bringen. Die meisten dieser Schüler hatten keine ausländischen Mitschüler.

Zusammenfassend lässt sich aus der achtjährigen Praxis der Opferperspektive festhalten, dass die vielen kleinen Schritte, die Beratung und Begleitung von Opfern rechter Gewalt ausmachen, spürbare Hilfe und Erleichterung für diese Menschen bewirken können. Dass seit 2001 ein Beratungsnetzwerk in Ostdeutschland aufgebaut werden konnte, ist deshalb sehr positiv. Dieser Erfolg ist allerdings unsicher, denn die künftige Finanzierung der Beratungsstellen durch Bund und Länder bleibt ungewiss. In Brandenburg haben sich – stärker als in anderen ostdeutschen Bundesländern – auf lokaler und regionaler Ebene zudem Strukturen entwickelt, die eine gesellschaftliche Ächtung rechter Gewalt befördern.

Der Zusammenhang zwischen Alltagsrassismus und Vollstreckergewalt aber, aus dem sich die anhaltende rechte Gewalt speist, ist keineswegs durchbrochen. Dass rechte Gewalt hauptsächlich Menschen trifft, die bereits unter struktureller Diskriminierung leiden, ist ein entscheidender Punkt, in dem kaum Verbesserungen erkennbar sind. So müssen beispielsweise Flüchtlinge, denen Rassisten mit Gewalt ihr Aufenhaltsrecht absprachen, fürchten, vom Staat abgeschoben zu werden. Mühsam errungene Erfolge in einzelnen Fällen gab es hier durchaus. Öfter aber scheitert der Einsatz für Opfer rechter Gewalt dort, wo Gesetze und Routinen die Ausgrenzung von Minderheiten fortschreiben.

 

Olga Schell und Jonas Frykman
1 Opferperspektive e.V.: Statistik rechter Gewalttaten in Brandenburg
2 Kay Wendel: Rechte Gewalt – Definitionen und Erfassungskriterien
3 Umgekehrt erfasste die Opferperspektive Gewaltttaten, die von der Polizei nicht in ihre Statistik aufgenommen wurden, weil die Ermittlungsbehörden die entsprechenden Taten nicht als rechtsmotiviert bewerteten.

4 Im folgenden wird von Migranten gesprochen, wenn die Opfergruppe gemeint ist, die von den Tätern als nicht-deutsch wahrgenommen wird. Der Begriff Flüchtlinge wird nur verwendet, wenn die spezifische Lebenssituation eine Rolle spielt, die sich aus aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen ergibt.
5 Werena Rosenka: Leben in ständiger Angst. Wohnungslose Männer und Frauen sind Opfer und Täter – und die Gesellschaft schaut meistens weg, in: Frankfurter Rundschau, 19.2.2006
6 Als potenzielle Opfergruppen gelten Gruppen, die innerhalb bestimmter Sozialräume als ethnische, kulturelle oder soziale Minderheiten begriffen und diskriminiert werden.
7 Kay Wendel: Das Prinzip Opferperspektive in Pfeffer und Salz e.V. (Hg.): Auf den Spuren der Zivilgesellschaft – Recherchebroschüre Rechtsextremismus, Angermünde 2001, S. 12 ff.
8 Archiv der Jugendkulturen e.V.: Neue Studie: Rechte Szene auch im Osten out, Pressemitteilung, 1.12.2005, URL: www.jugendkulturen.de (8.5.2006)

9 Ministerium für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg: Zivilgesellschaftliches Engagement und Leistungsbereitschaft unter brandenburgischen Jugendlichen immer wichtiger, Pressemitteilung, 11.1.2006, URL: www.mbjs.brandenburg.de (8.5.2006)

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