Am 16. April 2006 wurde Ermyas M. in Potsdam lebensgefährlich verletzt. Der deutsche Staatsbürger äthiopischer Herkunft war bewusstlos mit schweren Verletzungen in der Nähe des Bahnhofs Charlottenhof aufgefunden worden. Auf der Mailbox des Handys seiner Freundin, die M. kurz zuvor angerufen hatte, waren die Stimmen zweier Männer zu hören, die ihn rassistisch beschimpften. Er selbst kann sich bis heute an nichts erinnern. Bald werden zwei Tatverdächtige ermittelt, festgenommen und später angeklagt.
In einer 52-seitigen Broschüre hat der Brandenburger Verein Opferperspektive den »Fall Ermyas M.« genau analysiert. Die Organisation, die sich für Menschen einsetzt, die von rassistischer Gewalt betroffen waren, rekapituliert den Mediendiskurs, die juristische Aufarbeitung und die Folgen des Falles. Sie zeigt, wie die bundesweite Empörung nach der Gewalttat der Angst vor einem Imageschaden wenige Wochen vor Beginn der Fußballweltmeisterschaft weicht. Für große Aufregung sorgte die Erklärung des früheren Regierungssprechers we-Karsten Heye, dass es in Brandenburg Regionen gebe, die Menschen mit dunkler Hautfarbe womöglich nicht lebend verlassen. Ermyas M. war zu dieser Zeit schon kräftig demontiert worden. Längst standen seine Promillewerte in der Tatnacht im Mittelpunkt des Interesses. Die Frage, ob er so womöglich zumindest eine Teilschuld an seinen Verletzungen trägt, war da nicht mehr weit. Rassismus verschwindet zunehmend aus der Betrachtung des Falles,wie die Soziologin Beate Selders die Entwicklung in dem ausführlichen Dossier nachzeichnet. So zitiert sie exemplarisch den »Tagesspiegel«, der im Juni 2007 über M. schrieb: »Die Rolle, die ihm zugedacht worden ist – das edle Vorzeigeopfer –, kann der Potsdamer nicht erfüllen.«
Rückschlag für Antira-Arbeit
Auch in der Gerichtsverhandlung wurde das Opfer weiter demontiert. Ein Verteidiger der beiden Angeklagten regte gar an, die Kosten des Verfahrens auf Ermyas M. abzuwälzen, weil kein öffentliches Interesse an dem Verfahren bestehe. So war es nicht verwunderlich, dass die beiden Verdächtigten am 15. Juni 2007 nach 20 Verhandlungstagen aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurden. Für die Öffentlichkeit war der Fall damit abgeschlossen. Für die antirassistische Arbeit jedoch bedeuteten die mediale Aufarbeitung und das Gerichtsverfahren einen schweren Rückschlag, lautet das Fazit der Opferperspektive. Das zeigt sich schon in ihrer alltäglichen Arbeit. So habe die Bereitschaft, rechte Gewalt anzuzeigen, wieder nachgelassen. »Häufiger als früher trifft man auf die Haltung, es sei zwecklos, die Täter würden nicht verurteilt, die Opfer dagegen öffentlich in den Dreck gezogen und selbst für den Angriff verantwortlich gemacht.« Das wird nicht die einzige Folge bleiben, fürchtet der Opferverein. Auch die in der letzten Zeit gewachsene Sensibilisierung der Polizei für rassistisch motivierte Gewalt drohe nun wieder zu verflachen.
Die vollständige Broschüre im Netz unter : Ermyas_M
Aktuelles Angriff, Gerichtsverfahren, Opferperspektive