Der Überfall auf Markus S. und seinen Begleiter René S. kam ohne Vorwarnung: Wortlos zerfetzte Oliver Oe. das T-Shirt von Markus S.. Als sein Freund René S. sich beschwerte, was dies solle, schlug ihm Oliver Oe. eine Faust ins Gesicht. Danach prügelten weitere junge Männer auf die zwei Studenten ein, die in jener Nacht vom 18. zum 19. Juni 2005 gegen 0.20 Uhr an der Haltestelle Alt Nowawes in die Straßenbahnlinie 94 eingestiegen waren. Gerade hatten die Beiden ein antirassistisches Fußballfest im Karl-Liebknecht-Stadion besucht und wollten nach Hause in Richtung Innenstadt. Doch in der Straßenbahn saßen rund 15 Mitglieder der rechten Szene aus Potsdam und Berlin – die sich von Markus S. provoziert fühlten, weil auf seinem T-Shirt der Spruch »Mein Freund ist Ausländer« stand. Bevor Oliver Oe. es zerfetzte und so die Prügelei begann, vermummte er sich – ein geplanter Angriff, der erst endete, als René S. die Notbremse der Bahn ziehen konnte.
Dieser Schilderung der Nacht folgte gestern das Potsdamer Amtsgericht und verurteilte den 23-jährigen Oliver Oe. wegen gefährlicher Körperverletzung und Sachbeschädigung zu zwei Jahren ohne Bewährung. Während der Verhandlung hatte Oe. ein weitgehendes Geständnis abgelegt. »Ich hatte Wut, weil an meinem Auto tags zuvor die Scheiben eingeschlagen wurden und ich dachte, dass wären Linke gewesen«, so Oe. im Gericht. Er bestritt jedoch, dass die Gruppe an diesem Abend gezielt Linke gejagt habe.
Diesen Vorwurf hatte der ebenfalls Angeklagte Volker Sch. erhoben. Der 30-Jährige aus Werder/ Havel hatte bereits im Januar ein Geständnis abgelegt. Wegen des Überfalls in der Bahn stehen noch zwei Prozesse aus: Mitte Dezember beginnt ein Verfahren gegen die Potsdamer Tom S. und Sebastian G., die zur Tatzeit unter 21 Jahre alt waren. Vor dem Landgericht wird zudem noch gegen den 23-Jährigen Oliver K. verhandelt, der wegen des so genannten »Tram-Überfalls« am 3. Juli 2005 in der Friedrich-Ebert-Straße bereits zu einer mehrjährigen Haftstrafe rechtskräftig verurteilt ist. Auch Oliver Oe. soll wegen dieses Angriffs vier Jahre Haft erhalten – doch sein Revisionsverfahren ist bislang nicht abgeschlossen.
Gestern schilderte der Angeklagte Volker Sch. noch weitere Zusammenhänge in der rechten Szene der Stadt, die das Gericht in wesentlichen Teilen glaubte. Danach wurde Volker Sch. beim Baumblütenfest in Werder kurz vor dem so genannten »Chamäleon«-Prozess im Mai und Juni 2005 angesprochen, ob er vor dem Gericht »Präsenz« zeigen wolle. Damals hatten – im Gegensatz zum gestrigen Verfahren – bis zu 50 Angehörige der rechten Szene an einzelnen Verhandlungstagen versucht, Teilnehmer vor Gericht einzuschüchtern. Aus diesen Aktionen habe sich eine Freundschaft zwischen Mitgliedern der Berliner und Potsdamer Neonazi-Szene ergeben, ein häufiger Sammelpunkt sei der »Radeberger Treff« im Hauptbahnhof gewesen. Am Abend vor dem 19. Juni 2005 habe man sich am Bahnhof Rehbrücke zu einer Feier verabredet. Von dort aus sei die Gruppe nach Babelsberg gefahren – in Richtung Fußballfest. »Die Stimmung war angespannt«, so Sch.. Nach einem Gang durch den Babelsberger Park habe die Gruppe dann mit der Bahn in die Innenstadt fahren wollen – um die linke Szene-Kneipe »Olga« in der Charlottenstraße aufzusuchen. Auf Nachfrage räumte Sch. ein, dass dort wohl das Anzetteln einer Prügelei geplant gewesen sei. Doch dann stiegen die Opfer René S. und Markus S. in die Bahn. Bei dem Überfall verlor René S. einen Zahn, beide bekamen durch die Schläge eine Gehirnerschütterung. Zudem litten sie längere Zeit unter Angstzuständen.
Inzwischen hat sich Volker Sch. verändert: So habe ein Täter-Opfer-Ausgleich stattgefunden. Er nehme zudem an einem Programm für Aussteiger aus der rechten Szene teil. Das Gericht würdigte dies mit einer milden Strafe von einem Jahr und vier Monaten auf Bewährung.
Aktuelles H. Kramer/PNN