Wolfgang Auch wird am 16.09.1991 von einer Gruppe rechter Kinder und Jugendlicher auf einem Spielplatz in Schwedt über mehrere Stunden brutal zusammengeschlagen und getreten. Zur Zielscheibe wird der 28-Jährige für die jungen Neonazis, weil er sich aufgrund seiner psychischen Erkrankung und seiner starken Alkoholisierung auffällig verhält. Während die Jugendclique ihn misshandelt, inszeniert sie ein Verhör: Was er von Erich Honecker und Adolf Hitler halte, wollen sie von ihm wissen. Für seine Antwort „Beschissen“, bezogen auf Hitler, bestrafen sie ihn mit Stockschlägen. Erst als er das Bewusstsein verliert, lassen die Täter_innen von ihm ab. Wenige Tage später stirbt Wolfgang Auch an seinen schweren Verletzungen.
Dass die Todesumstände von Wolfgang Auch heute bekannt sind, ist ein Verdienst der Wissenschaftler_innen des Forschungsprojekts „Überprüfung umstrittener Altfälle: Todesopfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt im Land Brandenburg seit 1990“ am Moses Mendelssohn Zentrum (MMZ) in Potsdam. Beauftragt wurden diese vom damaligen Brandenburger Innenminister Dietmar Woidke, der damit auf zivilgesellschaftliche Forderungen u.a. der Opferperspektive nach einer offiziellen Anerkennung der tödlichen Dimension rechter Gewalt reagierte. Der Ende Juni 2015 vorgelegte Abschlussbericht des MMZ gibt Wolfgang Auch nach fast einem Vierteljahrhundert Anonymität einen Namen.
Rechtes oder rassistisches Motiv kaum auszuschließen
24 „umstrittene Altfälle“ überprüfte das MMZ, drei von ihnen konnten allerdings aufgrund mangelnder Informationen nicht beurteilt werden. Ein Expert_innenkreis aus staatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen, in dem die Opferperspektive vertreten war, begleitete das Forschungsprojekt beratend. „Nur in wenigen Fällen kann ein rechtsextremes oder rassistisches Motiv mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden“, so das abschließende Urteil der Wissenschaftler_innen. Sie schlugen dem Innenministerium neun der überprüften Fälle zur nachträglichen Anerkennung als „Todesopfer rechter Gewalt“ vor. Wolfgang Auch, Andrzej Frątzcak, Gerd Himmstädt, Emil Wendland, Belaid Baylal, Horst Hennersdorf, Mathias Scheydt, Falko Lüdtke und Erich Fisk erfahren nun endlich offiziell Anerkennung als Opfer rechter Gewalt. Die offizielle Zahl der Todesopfer rechter Gewalt verdoppelt sich in Brandenburg somit von neun auf 18 Personen.
Weitere Todesfälle mit rechtem Tatmotiv
Einige der überprüften Todesfälle bewertet die Opferperspektive abweichend von der Studie und geht bei ihnen von rechten und rassistischen Tatmotiven aus. Das MMZ orientierte sich für seine Einstufung eines Todesfalles als politisch rechtsmotiviert an den Kriterien für politische Kriminalität Rechts (PMK-Rechts), nach denen ein politisches Motiv als tatleitend festgestellt werden muss. Doch gerade die Enge dieses polizeilichen Erfassungssystems für politische Gewalttaten wird seit Jahren von Wissenschaftler_innen und Kriminalist_innen kritisiert, da mit diesem bei scheinbar unpolitischen Tatmotiven wie Geld- oder Beziehungskonflikten auch dann eine Straftat nicht als rechtsmotiviert eingestuft wird, wenn für die Eskalation des Konflikts eine rechte Gewaltlegitimation, ein Feindbild-Denken oder rassistisch oder sozialdarwinistisch motivierter Hass mitverantwortlich ist. Für die Opferperspektive zählen daher auch Hans-Georg Jacobson, Kajrat Batesov, Enrico Schreiber und Phan Van Toan zu den Todesopfern rechter Gewalt. In ihren Fällen wirkte die extrem rechte oder rassistische Einstellung der Täter zumindest tateskalierend.
Ermittlungen entpolitisierten die Tatkontexte
Die Studie brachte auch andere bedeutsame Erkenntnisse hervor: In vielen Fällen lässt sich ablesen, wie die beteiligten Behörden den rechten oder rassistischen Kontext von Instanz zu Instanz entpolitisierten. Wurden von der Polizei noch mögliche rechte oder rassistische Bezüge wie zum Beispiel die Einbindung der Täter in rechte Strukturen aufgeführt, fanden sich in den Anklageschriften der Staatsanwaltschaft nur noch selten Hinweise auf eine politische Motivation. Die Urteile der Justiz ignorierten diese zumeist völlig. Daran wird deutlich, wie notwendig die Thematisierung von Rassismus und Neonazismus in Strafprozessen ist, wie sie oft nur durch die Nebenklagevertretung eingebracht wird.
Die Durchführung der Studie ist ein großer Erfolg für die brandenburgische Zivilgesellschaft und zeigt auf, wie wichtig eine unabhängige Überprüfung für die Beurteilung rechter Gewalt ist. Es ist zu hoffen, dass weitere Bundesländer dem Vorbild Brandenburg in dieser Form folgen. Namen wie Wolfgang Auch, Kajrat Batesov und Enrico Schreiber mahnen uns, weiterhin jeglicher Verharmlosung oder Verleugnung rechter Gewalt entschieden zu widersprechen.
Die Studie „Überprüfung umstrittener Altfälle Todesopfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt im Land Brandenburg seit 1990“ findet sich auf der Website des Moses Mendelssohn Zentrums.
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