Mehrere Studierende werden nachts auf dem Universitätscampus der BTU Cottbus durch sieben zum Teil vermummte Personen beschimpft, gejagt und angegriffen. In Notwehr verletzen sie zwei der Täter, müssen sich aber anschließend über Stunden vor den Angreifer_innen verstecken bis sie von der Polizei sicher nach Hause begleitet werden. In der gleichen Nacht werden vier Eritreer in einem Bus bedroht, danach von 20 Rechten durch die Stadt gehetzt und mit Flaschen beworfen. Es ist die Nacht des 23. Oktober, in Cottbus finden insgesamt sechs rassistische Angriffe und Hetzjagden auf Geflüchtete, Migrant_innen und ausländische Studierende statt.
Am Abend hatten ca. 250 Menschen gegen die Erstaufnahmeeinrichtung im Stadtteil Sachsendorf demonstriert, darunter polizeibekannte Neonazis. Nur zwei Wochen zuvor nahmen ungefähr 400 Menschen dort an einer unangemeldeten Anti-Asyl-Kundgebung teil. Die Polizei hatte alle Mühe den Mob in Schach zu halten, als er rassistische Parolen brüllend und mit abgeschlagenen Glasflaschen bewaffnet auf das Wohnheim stürmte, in dem gerade ein Willkommensfest stattfand.
Lange Zeit schien es in Cottbus eher ruhig zu sein, doch in den vergangenen zwei Monaten fanden über 20 rassistische Kundgebungen statt. Die Stimmung war zumeist sehr aggressiv. Nicht zufällig sind es bekannte rechte Protagonist_innen, die das bedrohlich steigende rassistische Klima nutzen, um diese Proteste mit ihrer rechten Propaganda zu prägen.
Rechte profitieren von asylfeindlichen Protesten…
Seit dem Aufkommen der Pegida-Bewegung gab es auch in Cottbus einen Ableger: COGIDA. Da dessen Verstrickungen ins rechte Milieu schnell nachgewiesen wurden, konnte er sich nicht etablieren. Nun taucht der Kreis derselben Organisator_innen bei vielen Anti-Asyl-Kundgebungen auf und stellt zum Teil die technische Ausrüstung.
Insgesamt ist eine Verschiebung innerhalb des rechten Spektrum der Stadt zu beobachten: Die NPD scheint zunehmend unattraktiver zu sein und ist kaum noch mobilisierungsfähig. Selbst von der NPD ausgebildete JN-Kader wandten sich von der Partei ab und fanden eine neue politische Heimat zum Beispiel in der Neonazi-Partei „III. Weg“ oder in „freien Kräften“ wie dem verbotenen Neonazinetzwerk „Widerstand Südbrandenburg“. Letzteres agiert im Rahmen der Anti-Asyl-Proteste unter anderem Namen und versucht dadurch in der Region Fuß zu fassen. Thematisch überschneiden sich diese Gruppen erheblich mit der NPD, wirken aber durch ihr „modernes“ und erlebnisorientiertes Auftreten für „jüngere Aktivisten“ attraktiver.
Auch die Fußballhooligans und Teile der Ultra-Szene weisen in Cottbus deutliche Überschneidungen mit dem organisierten rechten Spektrum auf. Sie wollen zwar von außen als „unpolitisch“ angesehen werden, beweisen aber durch das Singen von Neonaziliedern und ihre Kleidung mit eindeutig rechten Emblemen ihre politische Ausrichtung. Im Moment bilden sie den aggressiven und militanten Kern der Cottbuser Rechten, der besonders nach Fußballspielen und Demonstrationen in Erscheinung tritt.
Nach dem 23. Oktober kündigte die AfD erstmals eine Demonstration in Cottbus für Anfang November an und lud zu einem „Bürgerdialog“ ein. Mit ihrem Motto „Asylchaos stoppen“ versuchte sie ebenfalls an die aufgeheizte Stimmung anzuknüpfen. Der Aufmarschort im Rahmen der „AfD-Herbstoffensive“ hat vermutlich strategische Gründe, um den Bogen von Dresden über Brandenburg nach Berlin zu spannen. Denn mit der Wahl von Andreas Kalbitz als Brandenburgs Landesvize und Gaulands Rede von der „Umvolkung“ und „der Auflösung Deutschlands in einem Strom fremder Menschen“ befindet sich die AfD in Brandenburg auf einem klaren Rechtskurs.
… und suchen den gesellschaftlichen Anschluss
Die vielen asylfeindlichen Proteste in Cottbus zeigen, dass rechtspopulistische Aussagen und Parolen von immer mehr Menschen verinnerlicht werden. Gefährlich ist, wenn Medien und (Kommunal-)Politiker_innen zusätzlich Geflüchtete diffamieren und als Bedrohung darstellen. Hier wird mit Ängsten gespielt, die schnell in Wut, Hass und Gewalt umschlagen können. Neonazis werden dadurch zunehmend als legitime Gesprächspartner_innen akzeptiert und zum Teil wird sogar Verständnis für aggressive und gewaltbereite Gruppen entwickelt. Eine Situation zeichnet sich ab, die mit den frühen 1990er Jahren vergleichbar ist. Damals bildeten populistische Parolen und diffuse Ängste den Nährboden für rechten Terror und Gewalt.
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