„Aufhören ist keine Option“ – Interview mit Maica Vierkant vom Aktionsbündnis Brandenburg


Maica Vierkant leitet die Geschäftsstelle des Aktionsbündnis Brandenburg gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Rassismus.
Dies ist die Langfassung des Interviews, das in gekürzter Form in der Dezemberausgabe der Schattenberichte erschienen ist.


Opferperspektive: Ihr wart mit eurer Kampagne „Schöner Leben ohne Nazis“dieses Jahr viel in Brandenburg unterwegs. Gibt es ein Ereignis, das euch besonders im Gedächtnis geblieben ist oder euch beeindruckt hat?

Maica Vierkant: Davon gibt es total viele! In dieser Saison verlief die „Schöner Leben ohne Nazis“-Tour unter ganz besonderen Bedingungen. Im Vergleich zu den Vorjahren besuchten wir im Zeitraum von Mai bis Oktober sehr viel mehr Orte in Brandenburg – insgesamt waren es 30. An fast jedem Tour-Tag gab es beeindruckende, herausfordernde und auch sehr berührende Momente. Am „Schöner Leben ohne Nazis“-Stand gibt es zum einen unsere spielerische Mitmachaktion, zum anderen ist es ein Raum, in dem die vornehmlich jungen Besucher:innen ihre Erfahrungen und Sorgen mitteilen. Dadurch entstehen sehr persönliche Gespräche. Es ist vor allem die Vielfältigkeit der Herausforderungen, die uns im Kopf geblieben ist. Je nach Wohnort oder individueller Lebensrealität variieren die Berichte, auch die Berichte darüber, wie es ist, sich im Rahmen einer Initiative zu positionieren und sich dadurch leider oftmals rechtsextremen Bedrohungen auszusetzen. Besonders beeindruckt hat uns daher das vielfältige Engagement und der unerschütterliche Mut der Brandenburger:innen, sich auf Demokratiefesten, CSDs oder in Jugendclubs gegen Nazis im eigenen Ort stark zu machen.

Was sind eurer Einschätzung nach die größten Herausforderungen für die Menschen in Brandenburg, die sich gegen Rechts engagieren?

Zuallererst muss man leider sagen, dass es wirklich erschreckend ist, wie aggressiv die Stimmung in den letzten Monaten überall in Brandenburg geworden ist. Sehr viele berichten von rechten Bedrohungen, Anfeindungen und auch Übergriffen. Im Fokus der Angriffe stehen sowohl von Rassismus betroffene Menschen als auch jene, die auch nur im weitesten Sinne ‚im Verdacht stehen’, sich für Vielfalt einzusetzen. Besorgniserregend ist zudem, dass LGBTQ+ Personen sehr stark ins Visier der extremen Rechten geraten sind. Sich in dieser Stimmung für eine offene Gesellschaft stark zu machen, erfordert viel Mut und viel Ausdauer. Hier sind wir alle gefragt und müssen darüber sprechen, wie wir diesen Menschen den Rücken stärken und wie wir sie vor allem auch schützen können. Das wird auch in absehbarer Zeit noch eine große Herausforderung sein. Eine Herausforderung etwas anderer Art ist die immer weiter fortschreitende Normalisierung rechtsextremer Narrative, rechtsextremer Personen und Positionen. Das ist deutlich zu spüren, wenn wir zum Beispiel über Brandmauern reden. Das merken wir auch an den Stimmungslagen in den kommunalen Vertretungen. Und selbst unter den Aktiven werden zuweilen Stimmen laut, die fordern, man müsse alle Meinungen zu Wort kommen lassen, die sich in demokratischen Wahlen abbilden. Wir brauchen dringend wieder eine Diskussion darüber, wo wir rote Linien ziehen und vor allem auch darüber, wie wir diese halten können.

2024 war das Jahr der vielfältigen Proteste gegen Rechts und gleichzeitig gab es einen großen Wahlerfolg für die AfD. Wo seht ihr Erfolge und was hat eurer Ansicht nach in dieser Zeit nicht geklappt?

Wir haben noch nie so viele Aktionen, Demonstrationen, Demokratiefeste, Straßenkonzerte etc. in Brandenburg gesehen wie in diesem Jahr. Das war wirklich beeindruckend! Wir haben aber in Gesprächen – zum Beispiel nach der Kommunalwahl im Juni – gemerkt, dass viele Engagierte frustriert waren: Sie haben unglaublich viel auf die Beine gestellt und dann kommt es zu diesem Wahlergebnis. Ich denke aber, es ist falsch, diese beiden Dinge miteinander in einen direkten kausalen Zusammenhang zu stellen. Das Ziel der vielen Aktionen war es doch vor allem, unseren Einsatz für eine solidarische, demokratische und offene Gesellschaft sichtbarer zu machen, zu zeigen, dass wir mit unserer Haltung nicht alleine sind, uns stärker und besser zu vernetzen und gegenseitig zu unterstützen. Und dieses Ziel wurde eindeutig erreicht. Dass sich Stärkung demokratischen Engagements nicht direkt in Wahlergebnisse überträgt, finde ich alles andere als verwunderlich. Und vor allem schmälert es in keiner Weise das, was die Menschen in diesem Jahr alles geschafft haben. Wir sollten aufhören zu versuchen, AfD-Wähler:innen ‚zurückzugewinnen’. Wir sehen das immer wieder: Die Demokrat:innen suchen beständig den Dialog, aber die Demokratiefeind:innen haben gar kein Interesse daran, in ein konstruktives Gespräch zu gehen. Da kann man sich schon irgendwann fragen, ob man die Energie, die das kostet, nicht vielleicht sinnvoller einsetzen könnte.

Als Geschäftsstelle des Aktionsbündnisses Brandenburg seid ihr verantwortlich für Vernetzung und Unterstützung unterschiedlicher Initiativen im ganzen Land. Mit welchen Themen sind Initiativen auf euch zugekommen, was beschäftigt sie momentan?

Neben der Frage, wie wir auf die wachsende Bedrohung durch die extreme Rechte reagieren sollten, drehen sich viele Anliegen um das Stichwort Brandmauer. Viele drehen sich auch um den Umgang mit der AfD auf der einen, und um das sogenannte Neutralitätsgebot und Fragen der Gemeinnützigkeit auf der anderen Seite. Die AfD und andere extreme Rechte versuchen ja schon seit Jahren, die Erzählung zu etablieren, Demokratieprojekte müssten sich „politisch neutral“ verhalten. Das ist natürlich Unsinn: Das Einstehen für Grundrechte, die Werte der Verfassung kann nie „neutral“ sein. Es gibt das Gebot der Chancengleichheit politischer Parteien, vor allem für staatliche Akteure. Aber das meint eben nicht, dass man sich nicht politisch äußern dürfte. Das suggeriert die AfD aber immer wieder und das wiederum verunsichert viele. Eng verwoben damit ist das Feindbild, dass die AfD schon vor Jahren konstruiert hat und jetzt neu auflegt: der angeblich „staatlich finanzierte Linksextremismus“. Beides ist in erster Linie eine Kommunikationsstrategie, es geht darum, Menschen einzuschüchtern. Inhaltlich ist das meiste, was da ins Feld geführt wird, unhaltbar, da wird mit falschen Tatsachenbehauptungen hantiert, die aber so oft wiederholt werden, bis dann doch irgendwas hängen bleibt. Sich hier nicht kirre machen zu lassen, sondern weiter für demokratische Werte einzustehen und sich zugleich gut auf etwaige Anfeindungen vorzubereiten, wird eine sehr schwierige Aufgabe sein. Und eine, die einen langen Atem erfordert.

Ihr habt viele Gespräche geführt in dieser Wahlkampfzeit. Was schildern euch die Aktiven vor Ort: Welche Erfahrungen haben sie gemacht, wenn sie sich öffentlich gegen Rechts engagieren?

Das ist sehr unterschiedlich. Wie bereits geschildert, gibt es vielerorts eine sehr aggressive Stimmung und die Aktiven stehen da zum Teil wirklich im Sturm. Mancherorts gibt es auch Probleme mit der Verwaltung, vor allem wegen verschiedener Missverständnisse bezüglich eines angeblichen Neutralitätsgebots. Selbstverständlich verstößt es gegen kein Neutralitätsgebot, politische Veranstaltungen auf öffentlichen Plätzen oder in städtischen Einrichtungen abzuhalten. Es gibt zuweilen eine Tendenz dazu, lieber die Füße still zu halten, als einen Fehler zu machen. Aber das ist ja genau das, worauf die extreme Rechte abzielt – wenn das passiert, haben die quasi gewonnen. Umso schöner ist es, dass wir wirklich auch aus vielen Orten hören, dass den Menschen das Engagement in diesem Jahr Kraft gegeben hat, dass zum Beispiel eine neue Initiative entstanden ist, die zu mehr Lebendigkeit im Ort und zu mehr Gesprächen am Gartenzaun geführt hat, dass Menschen sich neu oder anders kennengelernt haben und auch neue Kontakte geknüpft haben. Zusammengenommen ist eins sehr auffällig: Überall wird davon berichtet, dass Vernetzung neuerdings einen höheren Stellenwert eingenommen hat, und alle sind sich einig, dass wir daran weiterarbeiten müssen. Es gibt durchaus auch die Stimmung: „Die Zeiten sind schwierig, aber wir packen das jetzt gemeinsam an.“

Die nächste Wahl steht bevor. Was muss jetzt aus eurer Sicht passieren, um sich als demokratische Zivilgesellschaft gut vorzubereiten?

Es stimmt schon, Wahlkampfzeiten sind besondere Zeiten. Aber wir sollten uns nicht zu stark darauf fokussieren. Vor uns liegen große Aufgaben und die reichen weit über die nächste Wahl hinaus. Daher wäre es wichtig, die nächste Zeit zu nutzen, um uns gemeinsam zu überlegen, wo wir in drei oder auch fünf Jahren stehen wollen und was es braucht, um das zu erreichen. Da denke ich vor allem daran, wie wir uns gut aufstellen können, um auf Anfeindungen und Angriffe vorbereitet zu sein. Wie können wir uns, auch über Differenzen hinweg, besser vernetzen? Wie können wir miteinander und voneinander lernen? Wie können wir füreinander da sein, wenn einigen von uns ganz einfach die Puste ausgeht? Wie können wir noch besser aufeinander achten? Denn die Bedingungen für demokratisches Engagement werden vermutlich auf absehbare Zeit nicht besser werden. Aber wir sind uns hoffentlich alle einig, dass Aufhören keine Option ist.


Die geht es zur aktuellen Ausgabe der Schattenberichte – Neuigkeiten aus der Opferperspektive.

Schattenberichte