Wittstock: Eine Stadt kämpft um ihren Ruf

Ordner bei einer Neonazi-Demonstration im August 2004 in Wittstock (Foto: Opferperspektive)
Ordner bei einer Neonazi-Demonstration im August 2004 in Wittstock (Foto: Opferperspektive)

Ganz im Nordwesten Brandenburgs liegt die Kleinstadt Wittstock. Die alte Bischofsstadt mit Burg und Museen besitzt eine der schönsten historischen Stadtkerne der Region. 1953 zur Kreisstadt ernannt, verlor die Gemeinde diesen Status 1993 im Zuge der Gemeindegebietsreform; der Kreis Wittstock ging im neuen Landkreis Ostprignitz-Ruppin auf. Die neue Großgemeinde Wittstock/Dosse, die 25 Orts- und Gemeindeteile umfasst, erstreckt sich über 417 km² und ist damit, nach Berlin und Hamburg, von der Fläche her die drittgrößte Stadt Deutschlands. Wittstock hat allerdings nur etwa 16.000 EinwohnerInnen.

Seit 1990 hat die Stadt ein Drittel der Bevölkerung verloren. Die massive Abwanderung war in erster Linie die Folge der nach der Vereinigung einsetzenden Deindustrialisierung. Erst in den 1970er Jahren war in der ländlich geprägten Region mit dem Aufbau einer Möbelindustrie sowie metallverarbeitender und textilverarbeitender Betriebe begonnen worden. Das »VEB Obertrikotagewerk« war der wichtigste Arbeitgeber der Region, heute ist in dem Gebäude des ehemaligen Textilbetriebs die »Agentur für Arbeit« untergebracht. Der Bevölkerungsrückgang wurde zum Teil durch den Zuzug von deutschstämmigen ÜbersiedlerInnen aus den GUS-Staaten abgeschwächt. Allerdings versuchten die meisten Russlanddeutschen, nach Ablauf des dreijährigen Wohnbelegungszeitraums die Region gen Westen zu verlassen – nicht zuletzt wegen der Konflikte mit der einheimischen Bevölkerung.

Um die Jahrtausendwende geriet Wittstock durch regelmäßige Aufmärsche der NPD, brutale Überfälle und einen Brandanschlag auf eine Dönergaststätte in die Schlagzeilen überregionaler Medien. Die Polizei reagierte mit der Einrichtung der Sonderkommission »Täterorientierte Maßnahmen gegen extremistische Gewalt Nord« (TOMEG), die sich ab 2002 systematisch mit 60 Wittstocker GewalttäterInnen und RechtsextremistInnen befasst. Auch die Stadt zeigt Initiative. Im Herbst 2001 wurde das »Aktionsbündnis für ein tolerantes Wittstock – couragiert gegen Rechts« gegründet. Initiiert von der örtlichen Polizei, engagierten sich dort der Superintendent der evangelischen Kirche sowie Personen, die im Rahmen ihrer beruflichen Aufgaben mit dem Problem konfrontiert wurden: LehrerInnen und SozialarbeiterInnen, VertreterInnen der Stadtverwaltung, Polizei und Feuerwehr. Im August 2003 kam es anlässlich des Todestages von Rudolf Hess zu einem geradezu gespenstischen Aufmarsch, der von keinerlei Protesten begleitet wurde. Daraufhin mobilisierte das Aktionsbündnis im folgenden August die WittstockerInnen erstmals zu einer direkten Gegendemonstration. Zwar konnten die Rechten erneut marschieren, aber es blieb dies bis heute ihre letzte größere Demonstration in Wittstock.

In jüngster Zeit hat sich das Bündnis bemüht, den Kreis der Aktiven auszuweiten. In diesem Zusammenhang erfolgte 2006 die Umbenennung in »Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus in Wittstock und Umgebung«. Zukünftig soll das Bündnis zu einem »Forum der Bürger« weiterentwickelt werden und auch die potenziellen Opfer rechter Gewalt, etwa Einwanderer aus der ehemaligen Sowjetunion und alternative Jugendliche, stärker einbeziehen. Martin Beck/Thomas Bürk-Matsunami

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