Vor zwei Wochen wurden im brandenburgischen Rathenow drei afrikanische Asylbewerber und der britische Journalist Justin Jin von einem Rechtsradikalen angegriffen. Die Opfer kritisierten das Vorgehen der herbeigerufenen Polizistinnen, die nicht den Angreifer, sondern Jin mitnahmen. Ergebnis der anschließenden polizeilichen Untersuchung war, daß man den zwei Beamtinnen und ihrer Darstellung des Geschehens Glauben schenkte, den vier Opfern nicht. Mehr noch, die Polizei erstattete ihrerseits Anzeige wegen Verleumdung gegen einen Augenzeugen …
… und wie ich der Zeitung entnommen habe, hat die Polizei Oranienburg auch eine Strafantrag wegen übler Nachrede gegen unseren Verein »Opferperspektive« gestellt.
Wie bewerten Sie das?
Ich habe den Eindruck, daß die Polizei bis heute noch nicht verstanden hat, was eigentlich in jener Nacht passiert ist. Die Opfer haben die Handlungsweise der Polizistinnen als Diskriminierung verstanden, da sie Jin gegen seinen Willen festgenommen und den rechtsradikalen Angreifer haben laufen lassen, also der Darstellung der Opfer des rassistischen Angriffs nicht gefolgt sind, obwohl sie auf deutsch vorgetragen wurde, sondern der Darstellung des rassistischen Angreifers.
Wie wirkt sich solch polizeiliches Vorgehen auf Opfer rechtsradikaler Übergriffe aus?
Ich möchte keine Pauschalurteile über die Polizei fällen. Es sind durchaus Einzelfälle. Aber das Schlimme an diesen Einzelfällen ist, daß sie sehr aufmerksam wahrgenommen werden. Zum Beispiel in den Ausländercommunities spricht sich das einfach rum. Diese Erfahrungen kollektivieren sich. Dann werden manche Leute zögerlich, ob sie beim nächsten Mal noch mal die Polizei rufen sollen. Das darf nicht sein. Uns geht es auf jeden Fall darum, das Anzeigeverhalten von Opfern zu verbessern. Das ist ein ganz wichtiger Fakt, ohne den rechte Gewalt nicht bekämpft werden kann. Deshalb ist es so schlimm, was da passiert ist.
Wie sieht es mit dem Anzeigeverhalten aus?
Da gibt es sehr unterschiedliche Schätzungen. Nach einer Untersuchung des Dresdner Vereins »AnStiftung«, werden 75 Prozent der rassistischen Gewalttaten in der Region Dresden nicht angezeigt. Auch wir treffen immer wieder Opfer, die keine Anzeige erstattet haben. Das hat unterschiedliche Gründe, u.a. auch, daß sie selbst oder Bekannte und Freunde schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht haben. Beispielsweise, daß sie abgewiesen wurden mit »Komm mit Dolmetscher wieder« oder so was. Das ist alles schon vorgekommen. Diese Fälle kommen meist nicht ans Licht der Öffentlichkeit, sind aber gravierend für das Vertrauensverhältnis von bestimmten Bevölkerungsgruppen zur Polizei.
Gibt es Möglichkeiten der Zusammenarbeit Ihres Vereins mit der Polizei, um dieses Verhältnis zu verbessern?
Wir haben in der Vergangenheit durchaus schon mit der Polizei zusammengearbeitet. Beispielsweise haben wir in einigen Orten gemeinsame Versammlungen mit Opfern veranstaltet, um auch ihre Sichtweise bei der Polizei bekanntzumachen. Das finde ich sehr sinnvoll. Jetzt gibt es diesen offenen Konflikt zwischen der Polizei Oranienburg und uns, aber ich hoffe, daß wir wieder eine Gesprächsbasis finden werden.
Wie gehen Sie mit der Anzeige um?
Wir werden uns anwaltlich vertreten lassen, aber sehen der Klage eigentlich recht gelassen entgegen, weil sie wirklich keine Grundlage hat.
Sie werden Ihre Aussage, die Polizei hätte sich den Opfern der rassistischen Gewalt gegenüber nicht korrekt verhalten, nicht zurücknehmen?
Ich habe überhaupt keinen Grund, das zurückzunehmen. Ich habe keinen Anhaltspunkt, an dem Wahrheitsgehalt von den beiden Augenzeugen, den Opfern, zu zweifeln. Wir betrachten es als unsere Aufgabe, den Betroffenen die Möglichkeit zu geben, ihre Sichtweise zu artikulieren. Wenn der Überbringer der schlimmen Nachricht jetzt hier verfolgt werden soll, ist das eine Vertauschung.
Dieses Beispiel zeigt auch wieder, daß die polizeiinternen Aufklärungsmechanismen nicht funktionieren, die eigentlich solches Fehlverhalten der Polizei aufklären sollten. So ermittelt die Polizei gegen sich selbst, und da tritt dann oft so ein Korpsgeist zutage. Ich glaube, was fehlt, ist eine unabhängige Stelle, an die sich Betroffene polizeilichen Fehlverhaltens wenden können und daß dann auch eine unabhängige Untersuchung erfolgt.
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