Chronik 2015/ 16: Die anhaltende rassistischen Gewalt- und Mobilisierungswelle in Brandenburg
Das vierte Jahr in Folge berichtet die Opferperspektive von einer ungebrochenen Kontinuität rassistischer Gewalt im Land Brandenburg. Grund genug, sich die Anfänge in den Jahren 2015 und 2016 noch einmal genauer anzuschauen.
Seit 2015 sind die Angriffszahlen in einem Maße in die Höhe geschnellt, die die Opferperspektive seit Beginn ihres Monitorings im Jahr 2002 nicht erlebte. Die Opferperspektive begleitet als Beratungsstelle die Menschen, die rechte Gewalt und Bedrohungen erleben. Die unmittelbare Begleitung der Betroffenen und ein kontinuierliches, systematisches Monitoring von rechten Gewalttaten ermöglicht der Opferperspektive einen Überblick über Entwicklungen im Land Brandenburg zu bekommen. Den Anstieg der Gewalt 2015 nahmen wir mit Besorgnis zur Kenntnis. Die rechte Mobilisierung gegen die Unterbringung von Geflüchtete in Brandenburg nahm schnell gewalttätige Forme an und aktivierte rassistische Stimmungen in beunruhigend großen Teilen der Bevölkerung.
Chronik rechter Gewalt und Aktivitäten
Um zu verstehen, in welchem Verhältnis rechte Demonstrationen und Kundgebungen mit dem Anstieg der Gewalt stehen, haben wir für die beiden Jahre 2015 und 2016 unser Chronologie erweitert, und neben den Gewalttaten, auch Propagandaaktionen und öffentliche Versammlungen (Kundgebungen und Demonstrationen), mit fast ausschließlich rassistischen Motiven, erfasst. Eine ausführliche Übersicht haben wir für jeden Landkreis erstellt. Aus der Zusammenstellung ergeben sich aus unserer Sicht folgende Beobachtungen.
1. Zweifellos war Rassismus in dieser Zeit das vorrangige Gewaltmotiv, unterstützt von dem Bestreben, eine rechte Hegemonie durchzusetzen. Diese zeigte sich z.B. im Oktober 2015 nach einer Versammlung in Cottbus-Sachsendorf, wo rechte Teilnehmende Geflüchtete „vertreiben“ wollten. Eine Machtdemonstration, die neben Geflüchteten, Migrant*innen und PoC auch antirassistische Unterstützer*innen zu Zielen von Angriffen werden ließ, wie etwa Linke, engagierte Demokrat*innen und couragierte Menschen, die den asylfeindlichen Parolen widersprachen.
2. Auch nichtgewalttätige rechte Aktivitäten konzentrierten sich fast ausnahmslos auf rassistische asylbezogene Themen: Die „Nein zum Heim“- Mobilisierung der neonazistischen NPD, die Störungsversuche von Bürger*innenversammlung zum Thema Unterbringungen von Geflüchteten, die Veröffentlichung von Unterkünften für Geflüchtete durch die neonazistische Kleinstpartei III. Weg, der für die Neonazis bedeutende „Tag der deutschen Zukunft“: Alle setzten auf Anti-Asyl-Politik. Während die NPD ihre Rolle in den Protesten nicht ausbauen konnte, gewannen rassistische, aber nicht offen neonazistische Initiativen an Einfluss. Bestes Beispiel ist bereits 2015 und 2016 die Initiative „Zukunft Heimat“: Sie mobilisiert 2015 700 Teilnehmende zu einer Demonstration in Lübbenau.
3. Rassistische Gewalt und rechte Aktivitäten fanden im Speckgürtel um Berlin gleichermaßen wie in ländlichen Regionen statt. Schwerpunkte lagen nicht nur in der Uckermark und der Prignitz, sondern ebenso in kleinen und mittelgroßen Städten wie Königs Wusterhausen oder Bernau. Heraus sticht bis heute die Großstadt Cottbus.
4. Die Gegenüberstellung von rechten Aktivitäten und Gewalttaten zeigt ein differenziertes Bild für die jeweiligen Landkreise. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die Versammlungen nach einem starken Anstieg von 2015 bis 2016 zurückgegangen sind, auch danach sind sie weiter rückläufig. Die Gewalt dagegen bleibt auf hohem Niveau, ein Rückgang ist nicht zu beobachten. Im Havelland, insbesondere in Nauen gab es zielgerichtete Sachbeschädigungen, wie sich später herausstellen sollte, handelte es sich um politische Aktionen der Terrorgruppe um Maik Schneider (NPD). So deutlich, wie in Nauen ist der Zusammenhang zwischen rechten Gewalt- und Straftaten und einer organisierten Neonaziszene andernorts jedoch nicht. Im Landkreis Barnim zeigt sich im Vergleich der Landkreise die niedrigste Anzahl an rechten Aktivitäten, aber ein relativ hohe Anzahl von Gewalttaten. Im Gegensatz dazu sind in Cottbus rechte Mobilisierung und Gewalt gleichermaßen hoch: Nach und während rechten Versammlungen kommt es zu Angriffen auf Gegendemonstrant*innen.
5. Die Brutalität der Taten ist erschreckend. Auch wenn alle Betroffenen überlebten, erinnern einige der Gewalttaten an Todesfälle in den 1990er Jahren: 2015 kam es in Hennigsdorf zu einer Attacke mit einer Bierflasche auf einen Somalier. In Schwedt wurde 2016 eine Frau aus Kamerun in den fließenden Verkehr getrieben. Im selben Jahr kam es zu einer regelrechten Hetzjagd von einer 20-köpfigen Neonazigruppe in Spremberg.
Vier Jahre später: Was hat sich verändert?
Die rassistischen Gewaltzahlen sind auch 2018 ungebrochen hoch. Die Straßenmobilisierung hatte dagegen 2015 ihren Höhepunkt. 2018 sind nur noch an wenigen Orten Demonstrationen und Kundgebungen zu beobachten. In Rathenow demonstriert das Bürgerbündnis Havelland nicht mehr nur gegen die Asylpolitik, sondern auch gegen die Regierungspolitik und offenbarte sich als neonazistischer Akteur. Die rassistische Gruppierung Pogida Potsdam stellte ihre Demonstrationen nach massiven Gegenprotesten ein. Nicht überall wissen wir von lokalen Aktivitäten, wie etwa in Elbe-Elster. Über das Bürgerforum Südbrandenburg, dass ebenfalls beständig gegen die aktuelle Asylpolitik aufrief, ist wenig bekannt. Dagegen sticht Cottbus weiterhin heraus. Die AfD und Zukunft Heimat haben gemeinsam ihren regionalen Schwerpunkt gefunden. Auch hinsichtlich der Gewalttaten tritt Cottbus weiter hervor. In Cottbus, so scheint es, ist das rechte Hegemoniestreben, wie es in den 90ern einige Städte dominierte, wieder spürbar. Sei es auf der Straße, im Fußball oder in Sicherheitsfirmen, rechte AkteurInnen und rassistische Stimmung machen sich breit. Die legitimierten, rassistischen Parolen der Straße verlagern sich erfolgreich in die Lokalpolitik.
Unsere Dokumentation
Die Opferperspektive dokumentierte für die Jahre 2015 und 2016 rechte Aktivitäten und rechte Gewalttaten im Land Brandenburg. Diese sind im Folgenden detailliert nach Landkreisen aufgeschlüsselt. PDF: Hier klicken.
Neben dem von uns systematisch betriebenen Monitoring rechter Gewalttaten, haben wir für die Jahre 2015 und 2016 zusätzlich rechte Aktivitäten, darunter u.a. Versammlungen erfasst. Insgesamt 210 rechte und rassistische Versammlungen zählte das Aktionsbündnis Brandenburg gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit im Jahr 2015. Ebenso viele Versammlungen zählte die Emil Julius Gumbel Forschungsstelle für das Jahr 2016.
Nach welchen Kriterien die Aktivitäten und Gewalttaten erfasst wurden, ist nachfolgend aufgeschlüsselt.
Erfassungskriterien
Unter der Zählung rechten Aktivitäten insgesamt zählen wir Versammlungen, Gewalttaten und auch Propagandaaktivitäten.
Unter Versammlungen sind alle öffentlichen Aufmärsche, Kundgebungen und Mahnwachen gemeint, wie beispielsweise unangemeldete Fackelaufmärsche.
Unter Gewalttaten werden alle Bedrohungen, körperliche Angriffe, Angriffe auf bewohnte Gebäude aufgeführt. Diese entsprechen den veröffentlichten Zahlen aus der Gewaltstatistik 2015 und 2016 der Opferperspektive.
Unter Propagandaktivitäten zählen einerseits das gefundene Propagandamaterial, wie auch Propagandaaktionen. Propagandamaterial sind alle gefundenen rechte Inhalte wie Hakenkreuze oder NPD-Aufkleber in öffentlichen Räumen, auch gezielt auf Denkmäler oder auf Parteibüros. Propagandaaktionen sind organisierte Aktionen durch Rechte und Rassist*innen in Form von Infotischen, Flyer verteilen und weitere öffentlichkeitswirksame Aktionen, die sie auch selbst dokumentieren und somit propagieren.
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