Mit Bestürzung haben wir erfahren, dass der Gemeinderat von Rheinsberg die Stelle der Jugendpflegerin Alexandra Willers ersatzlos streichen will. Wir halten eine solche Entscheidung für katastrophal und fordern dringend ein Umdenken.
Der Verein Opferspektive arbeitet mit Frau Willers und den von ihr betreuten Jugendlichen schon seit mehreren Jahren zusammen. Frau Willers ist eine der wichtigsten Kooperationspartner der Opferspektive in Rheinsberg; ohne sie ist eine kontinuierliche Betreuung von Opfer rechter Gewalt schwer vorstellbar. In Erinnerung bleibt uns ihr Engagement im Jahr 2002 für die »Aktion Noteingang«, bei der Rheinsberger Geschäftsleute öffentlich Schutz vor rassistischen Übergriffen anboten. Als im Jahr 2003 drei Mal Brandanschläge auf den Imbisswagen von Mehmet Cimendag verübt wurden, war es Frau Willers, die Rheinsberger Jugendliche motivieren konnte, die rassistische Gewalt nicht nur mit Schulterzucken hinzunehmen, sondern öffentlich Posititon zu beziehen und sich einzumischen. Die Jugendlichen sammelten Unterschriften und organisierten eine Kundgebung, die Herrn Cimendag neuen Mut geben konnte.
Seit dem Sommer 2004, im Vorfeld der Landtagswahlen, war eine zunehmende Aktivität von Rechtsextremisten in Rheinsberg wahrnehmbar. Aufkleber einer rechtsextremen Kameradschaft »Freie Nationalisten Rheinsberg« tauchten auf, Jugendliche, die demokratisch orientiert waren, wurden häufiger angepöbelt und bedroht. Im November 2004 organisierte die Opferperspektive mit Frau Willers zusammen eine Veranstaltung mit dem Titel »Bleib kein Opfer«, zu der über 30 Jugendliche aus Rheinsberg und den umliegenden Dörfern kamen. Was die Jugendlichen berichteten, war erschreckend. Die meisten Jugendlclubs waren für sie »No Go Areas«, weil diese von rechtsextrem orientierten Jugendlichen dominiert werden. Auch im öffentlichen Raum konnten sie sich nicht treffen, ohne beleidigt und bedroht zu werden. Nur in den Räumen, die ihnen die Stadtjugendpflegerin zur Verfügung stellte, konnten sie sich frei und sicher fühlen. Frau Willers stellte für die Jugendlichen einen zentralen Bezugspunkt dar für demokratisches Engagement und Eigeninitiative.
Völlig unverständlich bleiben uns die Gedanken der Gemeinderatsmitglieder, die die Jugendpflegestelle abschaffen wollen. Nach dem Brandanschlag auf Mehmet Cimendags Imbiss im März diesen Jahres, der mit hoher Wahrscheinlichkeit aus einer rassistischen Motivation heraus angezündet wurde, war offensichtlich, welche kriminelle Energie der lokal verankerte Rechtsextremismus entfalten kann. Vordringlich in einer solchen Situation müsste die Solidarität mit dem Opfer und die Stärkung eines aktiven demokratischen Pols in der Bevölkerung sein, die die fremdenfeindlichen Vorurteilen nicht hinnehmen und sich für ein lebendiges Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft einsetzen, also genau das, wofür Frau Willers schon seit Jahren arbeitet. Was geht also in jenen Gemeinderatsmitgliedern vor? Ist es die Sorge, dass die öffentliche Thematisierung von Fremdenfeindlichkeit und Gewalt schlimmer sei als das Problem selbst? Weil der Ruf der Stadt in Gefahr sei? Wird die Arbeit von Frau Willers und das Engagement der Jugendlichen etwa als störend empfunden?
Das wäre dann allerdings eine Haltung, die bedeuten würde, den Rechtsextremisten das Feld zu überlassen und die Opfer im Stich zu lassen. Damit würde sich Rheinsberg allerdings einen besonderen Ruf erwerben: als Stadt, in der hoffnungsvolle Ansätze zunichte gemacht werden.
Aus diesen Gründen appellieren wir eindringlich an alle Gemeinderatsmitglieder, der Streichung der Stelle der Jugendpflegerin nicht zuzustimmen.
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