Verfahren gegen Spremberger Neonazi offenbart schwere Mängel im Gerichtsbezirk Cottbus
Am vergangenen Dienstag endete das Berufungsverfahren am Landgericht Cottbus gegen den Spremberger Neonazi Marcus S. mit Einstellungen und einer Bewährungsstrafe. Zeug*innen wurden nicht gehört. Bei der Erstverhandlung am Amtsgericht war S. zu einer Haftstrafe von einem Jahr und 10 Monaten verurteilt worden. Grund für die milde Strafe waren prozessuale Fehler und die überaus lange Verfahrensdauer. Eine der Taten, die S. vorgeworfen wurden, liegt bereits über sechs Jahre zurück. Die Opferperspektive sieht rechtsstaatliche Mindeststandards im Gerichtsbezirk Cottbus als nicht mehr gewährleistet an.
Dem Angeklagten Marcus S., der unter anderem wegen des Verbotsverfahren der neonazistischen „Widerstandsbewegung in Südbrandenburg“ in den Fokus der Ermittlungsbehörden geriet, wurden vor dem Landgericht eine Reihe von Vergehen vorgeworfen: Unterschlagung, Beleidigung in drei Fällen, Körperverletzung in Tateinheit mit Bedrohung und Beleidigung, versuchte Nötigung, sowie zwei weitere gefährliche Körperverletzungen, begangen im Zeitraum vom 20. April 2012 bis zum 18. Oktober 2014. Die Taten richteten sich in erster Linie gegen linke und nicht-rechte Jugendliche aus Spremberg und Cottbus.
Drei der sieben Anklagepunkte wurden zu Beginn wegen eines prozessualen Fehlers eingestellt, die Verlesung des Eröffnungsantrags der Staatsanwaltschaft war nicht protokolliert worden. Ohne Zeug*innen gehört zu haben, wurde S. schließlich zu einer Haftstrafe von einem Jahr und zwei Monaten verurteilt, die zu zwei Jahren Bewährung ausgesetzt wurde. Das Urteil beinhaltet zwei Fälle von Beamtenbeleidigung, eine versuchte Nötigung eines Journalisten der Lausitzer Rundschau und zwei gefährliche Körperverletzungen, bei denen er einem Jugendlichen mehrfach ins Gesicht geschlagen und gegen den Kopf getreten hatte, so dass dieser ein Schädel-Hirn-Trauma erlitt. Außerdem muss der Verurteilte ein Schmerzensgeld von 2400 Euro an den Geschädigten zahlen, der sich als Nebenkläger dem Prozess anschloss.
Rechtsanwältin Regina Götz, die die Nebenklage im Verfahren vertrat, äußerte sich nach dem Ende der Verhandlung besorgt: „Die Strafjustiz in Cottbus ist nicht funktionsfähig. Teilweise wurden schon Strafverfahren mit schwerwiegenden Tatvorwürfen, wie der Fragezeichenprozess, einfach eingestellt. Vor allem im Bereich rechter Gewalt hat das fatale Folgen.“
Für die Betroffenen der Gewalttaten des Spremberger Neonazis geht eine lange Leidenszeit zu Ende. Wegen der langen Verfahrensdauer konnten sie in den vergangenen sechs Jahren mit den Übergriffen gegen sie nicht abschließen, und mussten sich immer wieder der Angst stellen, dem Täter gegenüber treten zu müssen. Wiederholt wurden Verhandlungstermine kurzfristig abgesagt. Eine Zeugin, die zum Tatzeitpunkt 12 Jahre alt war, ist im Verlauf des Verfahrens volljährig geworden – die Sorgen aufgrund der Gerichtsverhandlung haben sie ihre gesamte Jugend begleitet. „Für viele der Betroffenen ist in den vergangenen Jahren die Hoffnung, so etwas wie Gerechtigkeit zu erfahren, in den Hintergrund gerückt. Der Wunsch, dass das Verfahren zu Ende geht, stand im Vordergrund. Sie haben die Erfahrung gemacht, dass der Staat nicht in der Lage ist, rechte Gewalttaten annähernd angemessen zu verfolgen, und viel Vertrauen in den Rechtsstaat verloren“, so Joschka Fröschner, der für die Opferperspektive in Südbrandenburg berät.
Die Einigung, während des Landgerichtsverfahrens keine Zeug*innen zu hören, wurde durch den Vertreter der Staatsanwaltschaft u.a. damit begründet, dass man Zeug*innen, die sowieso schon nicht mehr aussagen wollten, nicht durch eine weitere Aussage belasten wolle. Nach sechs Jahren ging für die Zeug*innen das Verfahren somit mit einer mehrstündigen Wartezeit auf dem Gerichtsflur, und schließlich der Mitteilung, dass sie nicht mehr gebraucht werden würden, zu Ende.
Mit diesem Gerichtsverfahren erfahren rechte Gewalttäter im Gerichtsbezirk Cottbus wiederholt, dass lange Verfahrensdauern zu milden Strafen oder Einstellungen führen. Ein fatales Signal an die organisierte rechte Szene, und leider kein Einzelfall: Vor wenigen Wochen endete ein anderes Verfahren am Amtsgericht Cottbus mit einer Einstellung wegen geringer Schuld. Hier wurde dem Angeklagten vorgeworfen, von seinem Balkon eine Glasflasche auf zwei junge Mädchen geworfen zu haben, weil sie Kopftücher trugen. Mitverantwortlich für die Einstellung war auch hier die Verfahrensdauer – vier Jahre lagen zwischen Tat und Erstverhandlung.
Das Fazit von Joschka Fröschner: „In Cottbus sind rechtsstaatliche Mindeststandards nicht mehr gewahrt. Rechte Tätermilieus, die dafür sorgen, dass die Stadt und ihr Umland seit Jahren ein Brennpunkt rechter Gewalt ist, werden so in ihrem Handeln bestärkt. Vorzuwerfen ist dies allerdings kaum den einzelnen Angestellten im Gerichtsbezirk. Die Landespolitik ist gefordert, die entsprechende personelle Ausstattung bei Staatsanwaltschaft und Gerichten sicherzustellen, um dem aktuellen Zustand annähernder Straflosigkeit für rechte Gewalttäter entgegenzuwirken.“
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