F: Der Überfall auf einen 37jährigen Deutschen äthiopischer Herkunft am 16. April in Potsdam hat eine bundesweite Debatte über rassistisch motivierte Gewalt ausgelöst. Dabei ist das Problem doch gar nicht neu.
Der derzeitige Medienrummel sagt viel darüber aus, wie Mediengesellschaft und Politik funktionieren, aber wenig über die tatsächliche Bereitschaft, gegen Rassismus und rechte Gewalt einzutreten. Der Angriff auf den 37jährigen Potsdamer ist ein Angriff mit sehr gravierenden Auswirkungen, da der Mann noch immer in Lebensgefahr schwebt. Allerdings erstaunt es, wenn nun Äußerungen zu hören sind, die von einem extremen Einzelfall oder besonderer Brutalität sprechen. Im Jahr 2005 haben wir in Potsdam 22 rechtsmotivierte Angriffe gezählt, für das Land Brandenburg weist unsere Statistik für das Jahr 2005 131 Taten aus.
F: Die Neonaziszene Potsdams gilt als gut vernetzt und besonders gewaltbereit. Wie schätzen Sie die Aktionsfähigkeit der Potsdamer Neofaschisten ein?
Im Grunde haben Sie meine Einschätzung schon vorweggenommen: gut vernetzt und gewaltbereit. Einige der Potsdamer Neonazis stehen in engem Kontakt mit ihren Berliner Kumpanen. Gemeinsam erscheinen sie als aktions- und schlagfähiges Netzwerk, was sich unter anderem in den gemeinsamen Mobilsierungen zu Prozessen oder Demonstrationen ausdrückt. Bei der Debatte um rechte Angriffe muß allerdings berücksichtigt werden, daß die Schläger nicht immer zu den organisierten Rechten gehören. Nach den Beobachtungen, die ich in Prozessen mache, würde ich die Einschätzung wagen, daß mindestens ein Drittel der ermittelten Täter, keiner organisierten Neonaziszene angehören. Dadurch ist ein Übergriff aber nicht weniger rassistisch.
F: Tun Brandenburger Polizei und Justiz genug, um potentielle Opfer rassistisch motivierter Gewalt zu schützen?
Polizei und Justiz zeigen sich immer dann sehr engagiert, wenn ein Vorfall so viel Aufmerksamkeit erhalten hat, wie der in Potsdam. Doch starker Staat, hohe Haftstrafen und eine zunehmende Videoüberwachung können das gesellschaftliche Problem nicht lösen, das unter anderem durch rechte und rassistische Diskurse verursacht wird. Es wäre notwendig, rassistisch- und rechtsmotivierte Gewalttaten auch dann als solche zu benennen, wenn die öffentliche Aufmerksamkeit nicht besteht.
F: Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) gilt als rechter Hardliner und nicht als Verfechter einer toleranten Einwanderungspolitik. Inwiefern trägt er politische Verantwortung für die bedrohliche Alltagssituation von Nichtdeutschen?
Ich möchte Herrn Schöhnbohms Wirkungsmacht nicht überbewerten, letztendlich liegt es ja auch an den Menschen. Daran, welche Gedanken sie sich machen und wie kritisch sie Politiker betrachten. Doch es ist natürlich so, daß der Innenminister mit seinen Äußerungen, sei es in der Debatte um die Berliner Rütli-Hauptschule oder den sogenannten Ehrenmord in der Familie Sürücü, ein vereinfachendes Denken bedient. Diese Stereotype entsprechen dem Feindbild rechter Schläger, und sie springen auf den Zug auf. Rechte Gewalttaten sind in den meisten Fällen keine Beziehungstaten, die Täter fühlen sich aufgrund rechter und rassistischer Diskurse zum Handeln ermächtigt. Äußerungen von Schönbohm und anderen Politikern bereiten weiteren Nährboden, weil sie Konfliktlagen auf homogenisierte, gesellschaftliche Gruppen projizieren. Ich denke, daß sich Herr Schönbohm der Wirkung seiner ausgrenzenden Rhetorik durchaus bewußt ist.
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