»No-Go Areas«, war da noch was? Mit dem Anpfiff der WM war die hektische Diskussion um »No-Go Areas« so gut wie vergessen. Deutschland, einig Partyland. Auch wenn die befürchteten rassistischen Ausschreitungen ausblieben, für MigrantInnen und Flüchtlinge geht das Leben unter der »normalen« rassistischen Bedrohung weiter. Die Racism Help Line hat vom 10. bis zum 24. Juni elf rassistische Angriffe in Berlin und Brandenburg gemeldet, darunter drei Fälle von Misshandlung durch die Polizei. Nur wenige Taten stehen direkt mit der WM in Zusammenhang, was ihre Auswirkung auf die Betroffenen in keiner Weise mindert.
Die »No-Go Area«-Debatte hatte sich auf weiten Strecken in einer bloßen Beschreibung dieser Realität festgefahren, ohne konkrete Handlungsperspektive. Dabei liegt diese auf der Hand: eine Veränderung kann nur von der kollektiven Aktion der Betroffenen ausgehen. Wenn es stimmt, dass die Macht der Rassisten im Wesentlichen auf der Einschüchterung der Betroffenen beruht, dann ist es an uns, gemeinsam mit diesen den öffentlichen Raum zurückzuerobern. Das haben wir getan, beispielhaft in Rathenow, einer Hochburg der militanten rechten Szene in Brandenburg. Anlass war für uns das Viertelfinale am 30. Juni.
Es war in Rathenow, wo wieder einmal Rassisten einen Flüchtling angriffen, am 22. Mai in der Nähe des Heims. Ismail A. aus Togo war an jenem Abend mit seinem Fahrrad auf dem Rückweg vom Supermarkt, wo das Chipkarten-System ihn zwang einzukaufen. Wie immer nahm er die Abkürzung über das Gelände des ehemaligen Betonwerks, einer riesigen Industrieruine neben dem Heim. Drei Rassisten wollten ihn mit ihrem BMW überfahren, Ismail konnte sich in letzter Sekunde durch einen Sprung ins Gebüsch retten. Er litt Todesängste. Seitdem mied er das Areal, genau wie andere Flüchtlinge aus dem Heim. Das Betonwerk wurde zur »No-Go Area«.
Der 30. Juni brachte die Wende. Auf dem Gelände des Betonwerks, in einer leerstehenden Halle, fand an diesem Abend eine WM-Party statt, gemeinsam organisiert von der Antifa Westhavelland, der Opferperspektive und den HeimbewohnerInnen. Die Aktion war denkbar kurzfristig organisiert, die Entscheidung fiel erst drei Tage vor dem Spiel. Dennoch gelang es in einem Kraftakt, die Aktion auf die Beine zu stellen. Am Nachmittag waren noch zähe Verhandlungen mit der Polizei durchzustehen, mit der Bauaufsicht im Rücken. Das konnte gerade noch abgewendet werden. Als dann kurz vor Anpfiff des Spiels Argentinien-Deutschland der DVBT-Receiver in der abgeschirmten Stahlbetonhalle noch nicht sendete, wurde die Party kurzerhand auf das Gelände des Heims verlagert, hier spielten sich begeisterte Szenen ab. Nach dem Elfmeterschießen Rückkehr in die Halle, in der mittlerweile ein brillantes Bild an die geweißte Wand geworfen wurde. Die Party ging weiter, auch wenn das Spiel der Ukraine und Italien wenig Spannung aufkommen ließ. Überall glückliche Gesichter, die »No-Go Area«, sie wurde an diesem Abend tatsächlich zur Party-Zone. Die Rechten, sie existierten einfach nicht.
Gewiss eine einmalige Aktion, die sich in einer anderen Situation nur schwer wiederholen lässt. Sie zeigt dennoch das Potenzial kollektiver Kreativität, wie wir den öffentlichen Raum neu definieren können. Reclaim the No-Go Areas!
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