Zutiefst erschüttert sind wir über den Tod von Noël Martin. Ein rassistischer Anschlag vor 24 Jahren in Brandenburg führte dazu, dass der Brite querschnittsgelähmt war. Als Überlebender von rechter Gewalt kämpfte Martin ein Vierteljahrhundert gegen Rassismus und Neofaschismus. Letzten Sonntag kam er in seiner Heimatstadt Birmingham wegen starken Schmerzen ins Krankenhaus. Einen Tag später versagten seine inneren Organe. Er wurde 60 Jahre alt.
„An diesem Baum endete mein erstes Leben“
Der rassistische Anschlag ereignete sich am 16. Juni 1996. Zu der Zeit arbeitete Martin als Bauarbeiter. Zusammen mit zwei Schwarzen Kollegen wurde der gebürtige Jamaikaner am Bahnhof von Mahlow im Landkreis Teltow-Fläming von einem 17- und einem 24-jährigen Deutschen rassistisch beschimpft. Die beiden Rechten verfolgten Martin und seine Kollegen mit einem gestohlenen Auto und griffen sie an. Sie versuchten Martins Auto zunächst von der Fahrbahn zu drängen, warfen daraufhin einen großen Feldstein auf die hintere Fensterscheibe. Dadurch verlor Martin die Kontrolle über das Fahrzeug und prallte gegen einen Baum. Noël Martin blieb für immer im Rollstuhl.
Die Aufklärung der Sachlage dauerte mehrere Wochen an und konnte erst durch medialen Druck erfolgen. Nach dem Anschlag hieß es bei der Polizei, Martin und seine zwei Schwarzen Kollegen hätten die beiden jungen Deutschen mit dem Auto verfolgt und provoziert. Die Reporterin Barbara Bollwahn, fassungslos über den fraglichen Vorgang der Polizei, begab sich auf die Recherche. In ihrem Beitrag für die taz schrieb sie: “In Mahlow […] scheint sich niemand für den Unfall der Briten zu interessieren.“ und bereits einen Tag später benannte sie in einem weiteren Artikel einen der später verurteilten Täter. Weitere zehn Tage und nationale wie internationale Presseberichterstattung dauerte es an, bis die Täter aus der Mahlower rechten Szene festgenommen wurden und später die Tat gestanden.
Der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) drückte am Mittwoch seine Trauer aus und rief dazu auf, sich gegen Rassismus und Rechtsextremismus zu engagieren. Unfreiwillig wurde Noël Martin zur Symbolfigur für die Auswirkungen von Hass und Anti-Schwarzen-Rassismus in Brandenburg und ganz Deutschland. Anti-Schwarzer-Rassismus ist auch bei uns allgegenwärtig. Der Anschlag auf Noël Martin und die darauf folgende Missachtung des rechten Tatmotivs seitens der Polizei sind ein weiteres Beispiel dafür, dass Rassismus sowohl auf der individuellen, zwischenmenschlichen Ebene als auch übergeordnet in Form von institutionellem und strukturellen Rassismus mit einander eng verwoben sind. Der Kampf gegen rechte Gewalt und (Anti-Schwarzem-)Rassimus ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
„[Ich will zeigen] wie Menschen verschiedener Herkunft zusammenleben können. Ich möchte, dass sie sehen, dass Schwarze, weiße, Inder, Chinesen, Muslime, Juden, Christen, Reiche und Arme alle derselben Rasse angehören. Der menschlichen Rasse. Ich möchte, dass sie lernen, dass sie keinen Hass gegenüber einem Menschen haben müssen, der eine andere Hautfarbe hat als sie selbst.“
Nach dem Anschlag gründeten Martin und seine Ehefrau die Jacqueline-und-Noël-Martin-Stiftung. Ihr Ziel war es, den Schüleraustausch zwischen Birmingham und Mahlow zu fördern und Vorurteile bei Jugendlichen abzubauen. Der rassistische Angriff und die Auseinandersetzung damit haben auch Mahlow verändert. Durch Martins Engagement wurden Brücken gebaut. 2007 wurde Noël Martins Autobiographie „Nenn es: Mein Leben“ veröffentlicht. Auch die Verfilmung seines Buches ist geplant.
“Da hat er noch 24 Jahre durchgehalten, nach dem ihm das Rückgrat gebrochen wurde, unglaublich. Aber sein inneres Rückgrat, das hat er sich nicht brechen lassen. Er war ein toller Typ.”
(Kunstschmied Werner Mohrmann-Dressel, der das Mahnmal ‚Der Stein von Mahlow‘ errichtete)
Noël Martin war und ist mehr als ein Opfer rechter und rassistischer Gewalt. Für immer wird uns die Erinnerung an ihn an als Aktivist für ein gewaltfreies Miteinander und als Mensch, der in dunkelsten Zeiten immer wieder neue Kraft schöpfen konnte, begleiten.
Rest in Power, Noël Martin.
Aktuelles, Pressemitteilungen