Khaled B. ist eines der beiden überlebenden Opfer der Hetzjagd. Wie Farid Guendoul stammt er aus Algerien. Er lief in eine andere Richtung als Farid Guendoul und Issaka K., bis ihn die Verfolger einholten und ohnmächtig schlugen. Erst am nächsten Morgen erfuhr er zufällig vom Tod seines Freundes.
Welche Bilder hast du vor Augen, wenn du zurück an diese Nacht denkst?
Ich kann nicht von einzelnen Bildern sprechen, weil ich das nicht ausdrücken kann, was ich alles in dem Moment gesehen habe. Ich erinnere mich an eine extreme Aggressivität, die ich in keiner Weise erwartet hatte, weder hier noch anderswo. Die ich mir keiner Weise habe vorstellen können, weiterhin nicht vorstellen könnte, wenn ich sie nicht selbst erlebt hätte.
Bei dieser Aggressivität denkst du an die Situation, als du selbst von den Nazis gejagt wurdest?
An alles: Ab dem Zeitpunkt, wo sie damit begannen, uns anzugreifen … Wir sind gerannt, haben einen Ort gesucht, um uns zu verstecken, haben einen Ausweg gesucht … Auch wenn das vielleicht 15 oder 20 Minuten waren, mir kam es vor wie eine Ewigkeit.
Wie hast du erfahren, dass Farid tot ist?
Durch den Arzt im Krankenhaus. Ich dachte, er sei verletzt wie ich, vielleicht schwer verletzt, im Koma. Dass er gestorben ist, konnte und wollte ich nicht glauben.
Wie hat dich die Polizei an diesem Abend behandelt?
Sie haben mich nicht gut behandelt. Sie haben mich erst ewig warten lassen, sie haben meine Fragen über den Verbleib meiner beiden Freunde nicht ernst genommen, sie wollten mich nicht verstehen. Sie haben mir nicht den Eindruck vermittelt, dass sie sich um die Sache wirklich kümmern, dass sie ein Interesse daran haben, der Sache nachzugehen.
Wann hast du Issaka wieder gesehen?
Auf der Polizeiwache, in Handschellen, ich habe nichts mehr verstanden, ich hatte nur noch Fragen, warum, was geht hier ab? Eigentlich wollte ich ja ins Krankenhaus, aber ich fühlte mich immer noch von diesen Typen verfolgt, aufgrund dessen, was ich zuvor erlebt hatte: Erst sind wir weggekommen, haben daraufhin versucht, die vorbeifahrende Polizeistreife anzuhalten, was sie nicht getan hat. Dann wurden wir von den Typen ein zweites Mal gejagt, ich wurde geschlagen, die Polizei ist gekommen und hat nichts gemacht. Haben mich letztendlich sogar von der Wache vertrieben. Geh doch!
Wie hast du die Reaktion der Gubener Bevölkerung auf den Tod von Farid erlebt?
Mir schien es, als sei das für sie etwas ganz Normales. Sie betrachten uns ja als wertlose Ausländer, also was soll‘s, eben einer weniger.
Wenn du an die Demo am Tag danach denkst, woran denkst du?
Das hat mir zumindest den Eindruck vermittelt, dass es nicht allen komplett egal ist, dass da ein Mensch gestorben ist. Ich spürte die Unterstützung von zumindest einigen Leuten. Doch als sich das alles wieder aufgelöst hatte, fiel ich wieder zurück in meine Verzweiflung. Ich dachte, okay, sie kommen ihrer moralischen Verpflichtung nach, drücken ihr Beileid aus, auch wenn sie persönlich nicht wirklich davon betroffen und gerührt sind.
Auszüge aus einem Interview vom 2. August 2000, das dem 2001 im Unrast-Verlag erschienenen Buch »Nur ein Toter mehr …« entnommen ist.
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