Keine Einschränkung der Nebenklage bei Körperverletzungsdelikten

»Mehr Schutz für Opfer und Zeugen im Strafverfahren« wird das 2. Opferrechtsreformgesetz laut der Pressemitteilung des Bundesjustizministeriums vom 2. Dezember 2008 bringen. Für Opfer einfacher Körperverletzungen (§ 223 STGB(Strafgesetzbuch)) gilt das nicht. Würde das Gesetz in der derzeitigen Fassung umgesetzt, könnten Menschen, die geschlagen oder getreten wurden, in vielen Fällen keine Nebenklage gegen die Täterinnen oder Täter führen.

Bislang kann jedes Opfer einer Körperverletzung oder einer Beleidigung als Nebenklägerin oder Nebenkläger eine aktive Rolle im Strafverfahren einnehmen. Bei vielen Fällen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt sind es vor allem die Nebenklagevertreterinnen und -vertreter, die den politischen Hintergrund einer Tat herausarbeiten und eine Beweisaufnahme zur Tatmotivation sicherstellen. Die Nebenklage ist das wichtigste Instrument im Strafrecht, um Opfern eine Mitgestaltung zu ermöglichen und so zu helfen, die Ohnmachtserfahrung, der sie durch die Gewalttat ausgesetzt waren, zu überwinden.

Nach der Reform wird dies im Fall einfacher Körperverletzungen erheblich erschwert. Nur noch bei »schweren Folgen« der Tat soll es möglich sein, eine Nebenklage zu führen. Ob eine besondere Schwere besteht, wird in jedem Einzelfall von der Entscheidung des jeweiligen Gerichts abhängen. Für den Tatbestand Beleidigung (§ 185 STGB(Strafgesetzbuch)) wird das Recht auf Nebenklage ganz abgeschafft.

In der Beratung von Opfern rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt haben wir vielfach mit Fällen zu tun, in denen eine einfache Körperverletzung – häufig im Zusammenhang mit einer Beleidigung – angeklagt wird. Auch ohne schwere körperliche Schäden können Angriffe, die durch rechtsextreme Einstellungen motiviert sind, erhebliche Auswirkungen auf die Opfer haben: Ein Mann, der am hellichten Tag in einer belebten Einkaufszone rassistisch beleidigt wird und einen Faustschlag ins Gesicht erhält, geht seit diesem Tag mit Angst durch seinen Wohnort. Die Verletzung der Menschenwürde und die einschüchternde Wirkung hängen nicht davon ab, wie zügig eine Schürfwunde verheilt.

Für diese Opfer wird es keine Sicherheit mehr geben, ob sie als Nebenklägerin bzw. Nebenkläger zugelassen werden. Unsere Erfahrungen geben Anlass zu der Sorge, dass diese Folgen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt bei der Entscheidung über die Zulassung der Nebenklage kaum Berücksichtigung finden werden. Zudem wird den Opfern auferlegt, schon vor Beginn des Gerichtsverfahrens darzustellen, worin die Schwere der Tatfolgen besteht – für viele eine unüberwindbare Hürde. Eine »Kann-Bestimmung« wird außerdem zu verschiedenartigen Entscheidungen in vergleichbaren Fällen führen und so Rechtsunsicherheit schaffen.

Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, die diskriminierten gesellschaftlichen Gruppen angehören, haben häufig ein ohnehin geringes Vertrauen in die Strafverfolgung. Die Beschränkung von Nebenklagerechten wird es ihnen noch erschweren, ihre Rechte im Strafverfahren wahrzunehmen. Trotz des positiven Ansinnens wird das 2. Opferrechtsreformgesetz in der Praxis negative Auswirkungen haben. Wir fordern daher, die Neuregelung des § 395 STPO(Strafprozessordnung) zu überdenken und allen Opfern von Körperverletzungen und Beleidigungen die Möglichkeit der Nebenklage zu geben.

Potsdam, 16. Januar 2009

Johanna Kretschmann
Opferperspektive

für:

  • Opferperspektive, Brandenburg
  • ReachOut, Berlin
  • LOBBI, Mecklenburg-Vorpommern
  • Mobile Beratung für Opfer rechter Gewalt, Sachsen-Anhalt
  • Beratungsstelle für Opfer rechter Straf- und Gewalttaten, Dessau
  • RAA Opferberatung, Sachsen
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