Interview mit Jibran Khalil über rassistische Polizeikontrollen
Jibran Khalil kam als Geflüchteter aus Pakistan nach Brandenburg, wo er seit 2013 lebt. Derzeit studiert er in Potsdam und ist aktivistisch engagiert – auch bundesweit. Wegen seines Engagements wurde er bereits 2016 vom Land Brandenburg zum „Ehrenamtler des Monats“ ernannt. Am 9. Februar nahm Jibran an der Demo und Kundgebung gegen das Abschiebezentrum am Flughafen Berlin-Brandenburg teil, wo er rassistische Polizeikontrollen erlebte. Diese Erfahrung teilte er über die sozialen Kanäle.
Kannst du kurz zusammenfassen, was bei der Demo am BER passiert ist?
Ich schätze, dass wir ca. 300 Menschen bei der Demo waren. Alle haben gerufen „Bleiberecht für Alle“, „Abschiebung abschaffen“, „Stop deportation“ und solche Sachen. Was man bei einer Demo so macht. Wir wissen alle, es gibt ein paar Fälle, wo Menschen durch Polizisten ermordet wurden. Es gibt einen Spruch, die einen sagen „Deutsche Polizisten“ und die anderen sagen „Mörder und Faschisten“. Ich habe den ersten Part gesagt und andere Menschen den zweiten. Ich habe „Mörder und Faschisten“ nie gesagt.
Von allen Menschen hat aber die Polizei nur mich kontrolliert. Es war so: Ich bin von der Abschlusskundgebung raus gelaufen, um eine Toilette zu suchen. Dann habe ich gemerkt, dass mir zehn oder zwölf Polizisten hinterher laufen. Sie wollten mein Ausweis sehen. Bereits da habe ich gesagt, dass das Racial Profiling ist und sie gefragt: „Warum kontrolliert ihr nur mich und nicht andere Leute?“ Sie sagten, es geht um Beleidigung und Volksverhetzung. Die Polizei hat auch gemeint, sie hätten Videos von mir aufgenommen.
Die Kontrolle ging 15 bis 20 Minuten. Ich war ganz allein. Später haben sich die Aktivisten, mit denen ich unterwegs war, entschuldigt, mich aus den Augen verloren zu haben. Ich habe die Leute dort dann gebeten, ein Tweet zu machen und zu sagen, dass die Brandenburger Einsatzkräfte Racial Profiling machen. Das wurde dann auch getweetet.
Dann sind wir ca. zu sechst wieder gelaufen Richtung Bahnhof. Am Eingang vom Bahnhof kamen ein paar Polizisten zu uns. Und wieder wollten sie nur mich kontrollieren. Obwohl ich meinte, dass ich bereits kontrolliert wurde, sagten sie „dass sie sichergehen müssen“. Alle weißen Leute von der Demo wurden nicht kontrolliert. Die Polizisten haben uns bis Berlin-Neukölln begleitet.
Einerseits kann ich gut umgehen mit solchen Situationen, wenn sie mir passieren. Aber auf der anderen Seite, wenn ich sehe, dass andere Menschen kontrolliert werden, dann interveniere ich. Ich gehe hin und unterstütze. Das ist für die Betroffenen belastend, man nimmt das alles psychisch schon mit. Aber trotzdem haben wir geile Menschen im Freundeskreis, die immer unterstützen. Z.B. gibt es Support-Gruppen und so, an die man sich wenden kann, wenn man rassistische Polizeikontrollen erlebt.
Wie fandest du die Unterstützung vor Ort? Das erste Mal bist du ja alleine gelaufen und da war niemand da. Das zweite Mal, hast du Leute aufgefordert, dass sie filmen sollen, oder wie war das?
Ich habe gesagt: „Bitte mach mal Film, bitte dokumentiere das alles“. Eine Aktivistin kam dann auch und fragte mich, ob sie neben mit stehen kann. Ich habe gesagt: „Ja bitte, gerne!“ Und sie hat die Polizei gefragt: „Warum kontrolliert ihr nur diese Person und nicht andere Menschen?“ Meine Freunde haben Videos und Bilder gemacht. Diese Sachen wurden öffentlich gemacht, aber ohne Gesichter der Polizisten.
Gibt es etwas, was du dir in der Situation (von deinem Umfeld, von der Polizei selbst, …) gewünscht hättest? Oder etwas, was du gebraucht hättest?
Ich denke es wäre gut, wenn weiße Aktivistinnen und Aktivisten z.B. bei Demos immer die BPOC (eng.: Black and People of Color) im Blick behalten. Weil sie sofort kontrolliert werden. Vor allem wenn Menschen einen prekären Aufenthalt haben, z.B. eine Duldung oder so, das ist sehr schlecht für sie. Weil ich schon seit Jahren aktiv bin, weiß ich, wie ich umgehen muss. Aber wenn man das erste Mal kontrolliert wird, das kann sehr belastend sein.
Wenn wir unterwegs sind, z.B. auf Demos, Kundgebungen, auf der Straße, in der Schule oder in der Bahn, und kontrolliert werden, wünsche ich mir von weißen Menschen, dass sie Zivilcourage zeigen.
Und von der Polizei erwartest du nichts?
Ich wünsche mir, dass dieser institutionelle Rassismus, der auch bei der Polizei, in der Ausländerbehörde, in Ämtern oder generell in Institutionen da ist, bearbeitet wird. Es gab zu viele Skandale bei der Polizei, wie der NSU, Hanau oder der Mord an Oury Jalloh. Es gibt so viele Beispiele. Ich erwarte nicht nur von der Polizei, sondern von der ganzen Gesellschaft, sich endlich den scheiß Rassismus anzuschauen.
Wie siehst du die politische Lage in Bezug auf (Alltags-)Rassismus in Brandenburg, oder speziell in Potsdam? Hast du explizite politische Forderungen in diesem Kontext?
Ich bin einer von den Privilegierten aus meiner Community. Ich habe krass viele Kontakte und ich kenne so viele Organisationen und Vereine wie die Opferperspektive.
Ich denke, dass es Sensibilisierung in der Gesellschaft gibt, aber das ist nicht so, wie wir BPOC es uns wünschen. Wenn es um das Thema Rassismus geht, das ist noch nicht aktuell in der Politik in Brandenburg angekommen. Man sieht große Organisationen, die auch über das Thema Rassismus oder Rechtsextremismus sprechen, die überwiegend weiß sind. Das heißt, manchmal nicht so sensibel mit dem Thema umgehen, wie wir uns das wünschen.
Aus der Perspektive von Geflüchteten und Migrant:innen kann ich sagen, dass uns Rassismus tagtäglich begleitet. Vom Schulplatz bis Arbeitsplatz. Wenn wir in Parks oder in linken Kneipen sitzen. Also auch wenn wir unterwegs sind mit linken oder „progressiven“ Menschen. Es begleitet uns überall.
Nach der Black Lives Matter Bewegung gab es große Demonstrationen überall zum Thema Rassismus und Racial Profiling. Aber nach ein paar Monaten war es schon vorbei. Am Ende bleiben da nur noch die Menschen, die von Rassismus betroffen sind. Wenn wir aktuell nach Mannheim schauen ist uns klar, dass diese Themen bearbeitet werden müssen. Sonst können sie auch bei uns in Potsdam passieren.
Hast du auch in anderen Situationen Racial Profiling erlebt?
Ja, ja. Ich war mal auf einer Bildungsreise in Wien. Ich war mit weißen Menschen unterwegs. Als wir auf dem Rückweg im Zug waren, wurde ich nach meinem Pass gefragt. Aber nur ich aus der Gruppe. Das war in der Nähe von Dresden.
Ein anderes Mal waren wir auf einer Demo in Potsdam. Die Einsatzkräfte dort waren aus Cottbus. Sie haben eine Schwarze Person angehalten und wollten sie kontrollieren. Ich habe dann interveniert und gefragt: „Warum wird diese Person kontrolliert?“
Hast du Hoffnung in die neue Polizeibeauftragtenstelle?
Ich denke, dass es gut ist, dass es eine Polizeibeauftragte gibt. Es war der Kampf von vielen aus der Zivilgesellschaft und NGOs. Aber auch Einzelpersonen aus Parteien. Ich warte noch darauf, was von dieser Stelle kommt. Mal schauen, wie viele Berichte es nach einem Jahr gibt. Die Person muss sich auch meinen Fall ran holen, ihn bearbeiten und meine Perspektive hören.
Gibt es sonst noch was, was Du gerne sagen willst, was Dir wichtig wäre?
Wenn wir BPOC unterwegs sind, z.B. auf Demos, Kundgebungen, auf der Straße, in der Schule oder in der Bahn, und wenn Menschen kontrolliert werden, wünsche ich mir von weißen Menschen, dass sie Zivilcourage zeigen. Mehr Dokumentation bei Racial Profiling durch die Umgebung wäre gut: ein Foto, ein Video oder ein Bericht.
Ich wünsche mir, dass das Thema abgearbeitet wird in Ämtern und in den Ministerien, Polizei und Behörden in Brandenburg. Und auch in den eigenen Familien. Ich wünsche mir, dass wenn ich am nächsten Tag meine Augen aufmache, es keinen Rassismus mehr gibt.
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