Interview mit „Energiefans gegen Nazis“, Cottbus


Interview mit „Energiefans gegen Nazis“ über rechte Gewalt in Cottbus, die Fanszene und ihre Arbeit für eine lebendige Fankultur.

Opferperspektive: Die Stadt Cottbus war ja in den letzten Jahren immer wieder (auch überregional) in den Schlagzeilen aufgrund extrem rechter Mobilisierungen auf den Straßen. Wir als Opferperspektive verzeichneten vor allem in den Jahren 2015 bis 2018 hohe Angriffszahlen im Bereich rechter und vor allem rassistisch motivierter Gewalt. In den letzten Jahren sind die Angriffszahlen, nach unserer Beobachtung, wieder leicht rückläufig. Wie schätzt ihr die Lage derzeit in der Stadt und der Region ein, in Bezug auf rechte Mobilisierungen und rechte Angriffe?

In der Tat entspricht es auch unserem „Gefühl“, dass die grobe Gewalt in den letzten zwei Jahren zurückgegangen ist. Wir schätzen, dass das vor allem mit den Ermittlungen gegen die „Kampfgemeinschaft Cottbus“ oder Einzelpersonen zusammenhängt. In der Pandemie gab es natürlich weniger Veranstaltungen, etwa Fußballspiele. Man sollte sich jedoch nicht täuschen lassen. Das Aggressionspotenzial ist immer noch spürbar in der Stadt und das Klientel immer noch da. An den Demonstrationen gegen die Coronamaßnahmen hat man gesehen, dass rechtsextreme Akteure nach wie vor aktiv sind und großes Mobilisierungspotenzial haben. Hier sehen wir vor allem eine beunruhigende Vernetzung von offen Rechtsextremen mit Personen, die der gewöhnlichen Stadtgesellschaft entstammen. Dennoch: Die Stadt wird bunter und es haben sich neue antifaschistische Gruppen und Initiativen gegründet, die z.B. aktuell an die Ausschreitungen gegen Asylbewerber:innen-Heime Anfang der 90er Jahre erinnern (Initiative Cottbus ’92).

Opferperspektive: Unter den von uns erfassten rechten Angriffen in Cottbus und den umliegenden Landkreisen waren teilweise auch Fälle, bei denen die Angreifer aus (organisierten) Fangruppierungen des FC Energie Cottbus kamen. Wie schätzt ihr derzeit die Lage im Stadion ein, sowie vor und nach den Spielen? Und wie seht ihr die Situation beim FC Energie in Bezug auf rechte Akteur:innen, sowie auf rechte Aktivitäten insgesamt?

Die sich so selbst bezeichnende „Fanszene“ hat den Stadionbesuch unter 2G und 3G Regelung boykottiert und ist die letzten zwei Jahre nur sporadisch aufgetreten. Das war schon ganz schön für uns Fans und wir konnten freier atmen (lacht). Wenn sie aber im Stadion war, hat sie sich mit diskriminierenden Spruchbändern in zwei Spielen gegen Babelsberg 03 gezeigt. Die Situation hat sich nicht geändert. Rechtsextreme Personen und Gruppen, auch aus dem Umfeld von Inferno Cottbus beziehungsweise den Nachfolgeorganisationen und der Kampfgemeinschaft Cottbus, wollen die Kurve „kontrollieren“ und sie treten entsprechend auf.

Opferperspektive: Ihr selbst engagiert Euch seit Jahren sichtbar für eine lebendige Fanszene beim FC Energie, in der es für Nazis keinen Platz geben soll. Wie sind Eure Erfahrungen im Rahmen Eurer Aktivitäten?

Mit unserer Initiative wollen wir ein Sprachrohr für alle Fans sein, die die Bedrohung von rechts, die diskriminierenden Sprüche und Gesänge nicht tolerieren möchte und denen das Auftreten und die Drohgebärden der „Fanzsene“ auf die Nerven gehen. Natürlich hat die Pandemie auch uns gefordert und die Aktivitäten eingeschränkt. Ohne Spiele oder bei Spielen ohne Fans hat uns der Aufhänger gefehlt. Das war schade, da wir, als die Pandemie begann, gerade ein paar Sachen geplant hatten. Die wollen wir jetzt wieder aufgreifen.

Seit es dieses Sprachrohr gibt, hat sich klar gezeigt, dass es eine große Zahl von Fans gibt, die unsere Einstellungen teilen und die Nazis im Stadion loswerden wollen. Das ist schon mal ein Erfolg. Wir müssen aber auch sagen, dass Aktivitäten im Stadion, ob im Stadion der Freundschaft oder bei Auswärtsspielen, äußerst schwierig sind. Wir können nicht einfach los ziehen, unsere Fahnen schwenken oder mit unseren T-Shirts am Bierstand stehen. Da steht man dann schnell trainierten Kampfsportlern gegenüber.

Opferperspektive: Seid ihr dabei selbst in den Fokus rechter Akteur:innen geraten und wie sah das aus? Was hat Euch geholfen damit umzugehen?

Wie gesagt, wir treten im Stadion nicht offen auf. Das hilft natürlich, Aggressionen aus dem Weg zu gehen. Die wenigen Male, als wir es taten, gab es – sagen wir es so – „Stress“. In solchen Situationen gab es aber auch Unterstützung von anderen Fans, vom Verein und Ordnungsdienst. In den sozialen Netzwerken gibt es natürlich immer wieder entsprechende Kommentare und Drohungen. Aber das beeindruckt uns wenig und hält sich bisher zum Glück auch in Grenzen.

Opferperspektive: An was arbeitet ihr aktuell im Rahmen Eurer Gruppe? Wie kann man Euch dabei unterstützen?

Wir wollen nach Corona wieder in Fahrt kommen. Die Pandemie hat für viele die Prioritäten verschoben, manche haben sich vom Fußball abgewendet. Das haben wir auch bei uns gemerkt. Wer also gern bei uns mitmachen möchte, ist herzlich dazu eingeladen. Man kann uns einfach auf Social Media oder per Mail kontaktieren. Ansonsten wollen wir an der Vernetzung mit anderen Akteur:innen arbeiten. Das Ganze ist ja ein gesellschaftliches Problem und alleine kommen wir da nicht weit. Es gibt aber viele engagierte Menschen in Cottbus. Mit diesen wollen wir ins Gespräch kommen.

Opferperspektive: Der FC Energie hat im November 2021 im Rahmen des Heimspiels gegen die Zweitvertretung von Hertha BSC die Kampagne “ROT-WEISS statt braun” gestartet und zeigt seither das Kampagnenlogo regelmäßig bei Heimspielen auf den digitalen Banden. Zudem wird die Kampagne auf der Vereinshomepage im Rahmen des Toleranzprojekts des Vereins beworben. Wie bewertet ihr die Positionierung des Vereins im Rahmen der Kampagne, sowie die Reaktion des Vereins auf rechte Vorfälle auf den Tribünen im Stadion der Freundschaft in der jüngeren Vergangenheit? Was würdet ihr Euch da wünschen, wo seht ihr noch Potential für den Verein mehr zu machen?

Wir begrüßen die Kampagne natürlich. Dass es sie gibt, zeigt ja auch schon, dass es dem Verein wichtig ist. Wir reden ja nicht von einem Bundesligisten mit riesiger Medienabteilung, die das einfach mal so stemmen kann, sondern von einem Viertligisten. Das sollte man nicht vergessen. Aber klar, wir wünschen uns natürlich, dass es genauso weitergeht und auch mal heikle Fragen im Verein angesprochen werden, auch wenn natürlich immer viele Dinge im Verein zu tun sind, die Ressourcen binden.

Opferperspektive: Wo seht ihr die Fanszene des FC Energie in fünf Jahren und wo in zehn Jahren?

Schwer zu sagen. Man sieht, dass die Szene aus sich heraus immer wieder neue Figuren rekrutiert. Aber vielleicht trocknet dieses Becken auch langsam aus. Wir hoffen natürlich, dass die Präsenz von coolen Fans und unser Engagement dazu führen, dass es für Rechtsextreme unangenehmer wird, ins Stadion zu gehen und sich die Situation zum Besseren verändert.

Opferperspektive: Abschließend: Wie schätzt ihr die sportliche Entwicklung des FC Energie in den nächsten Jahren ein?

Wir müssen natürlich schnellstmöglich hoch in die Dritte Liga, auch aus wirtschaftlichen Gründen. Man hat dieses Jahr beim BFC (Dynamo Berlin) wieder gesehen, wie wichtig ein guter Start ist und über eine gesamte Saison tragen kann. Da müssen wir von Beginn an vorn dabei sein. Wir haben aber das Gefühl, dass im Verein Leute am Steuer sind, die wissen, was sie tun und was zu tun ist. Wenn wir uns in der Offensive wieder gut aufstellen, kann das nächstes Jahr was werden. Wir sind auf jeden Fall heiß auf Liga 3.

Vielen Dank für das Interview und alles Gute für Euch!
Das Interview führte Martin Vesely für die Opferperspektive im Mai 2022.


Wenn ihr die Energiefans gegen Nazis finanziell unterstützen möchtet, dann könnt ihr das mit einer Spende auf das Konto von Gesellschaftsspiele e.V., IBAN: DE 12 8306 5408 0004 0182 49. Wichtig ist als Verwendungszweck „Support Brandenburg“ anzugeben, damit die Spende nach Cottbus zugeordnet werden kann. Die Spenden werden vollständig für Produktion und Versand von Aufklebern, Bannern und ähnlichen Materialien gegen rechts verwendet und nach geltenden Regeln mit Gesellschaftsspiele e.V. abgerechnet. Unterstützenswert!

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