In der Nacht zum 16. August 2002 wurde Neil D. im Stadtzentrum von Prenzlau von einem jungen Rechtsextremisten beschimpft: »Scheiß-Ausländer, was willst du hier? Ich habe kein Geld, ihr bekommt alles in den Arsch geschoben.« Neil D. gelang es, den Mann etwas zu beruhigen. Kurze Zeit später hielt ein Auto. Ein weiterer Mann und eine Frau stiegen aus. Zunächst beleidigte die Frau Neil D., dann versetzte ihm einer der Männer einen Schlag ins Gesicht. Danach schlugen und traten alle drei gemeinsam auf Neil D. ein. Der Angriff wurde von mehreren passierenden Autofahrern gesehen, aber niemand griff ein. Erst geraume Zeit später verständigte ein älterer Mann die Polizei. Eine Woche später wurde Neil D. erneut von zwei Männern bedroht und mit den Worten »Scheiß-N-Wort, du bist schuld, dass unsere Freunde im Knast sitzen!« beschimpft. Marco Sch. (23) wurde wegen des Angriffs zu drei Jahren Haft verurteilt. Wie sich Ende November 2002 herausstellte, hatte er bereits Mitte Juli zusammen mit seinem Bruder und einem Freund in Potzlow den 16-jährigen Marinus Schöberl erschlagen.
Neil, verspüren Sie heute noch Folgen des Angriffs?
Ich habe immer noch Schmerzen im Rücken, und meine Zähne sind auch noch nicht behandelt worden. Doch viel schlimmer sind für mich die psychischen Folgen. Ich gehe zwar zu einer Therapie, doch immer, wenn ich bei der Psychologin bin, überwältigen mich die Tränen. Nach dem Angriff habe ich mich verändert. Ich bin zum Eigenbrötler geworden. Früher war ich gerne mit Leuten zusammen, jetzt bin ich lieber alleine in meinem Zimmer. Wenn an meiner Zimmertür geklopft wird, habe ich Angst. Oft habe ich Albträume. Früher habe ich Gedichte und Kurzgeschichten geschrieben, heute nicht mehr. Meine Gedanken kreisen immer um den Angriff.
Gab es Menschen, die sich nach dem Angriff mit Ihnen solidarisiert haben?
Betty, eine andere Asylbewerberin von der Flüchtlingsinitiative, war für mich da. Sie kannte die Opferperspektive und gab mir die Telefonnummer des Vereins. In Prenzlau hat mir zunächst niemand geholfen. Die Opferperspektive war für mich in dieser Situation ein Hoffnungsschimmer. Die Mitarbeiterinnen versuchten, für mich eine Umverteilung zu erreichen, da ich nicht länger in Prenzlau wohnen kann. Dann haben sie mir geholfen, eine Rechtsanwältin zu finden, die mich im Prozess vertritt und mich unterstützt, damit ich eine materielle Entschädigung erhalte.
Sie sind zur Zeit Asylbewerber in Deutschland. Gab es schon eine Entscheidung in Ihrem Asylverfahren?
Wissen Sie, in meinem Land ist Krieg. In Sierra Leone gibt es keine Freiheit, dort gibt es keine Demokratie. Nach dem Angriff in Deutschland habe ich mich immer wieder gefragt, wieso ich? Warum passiert mir das, ich habe doch niemandem etwas getan? Mein Aufenthaltsstatus ist mein größtes Problem. Ich bin in der ersten Instanz abgelehnt worden. Nun muss ich auf die Entscheidung der zweiten warten. Ich habe Angst davor, wieder nach Sierra Leone zurück zu müssen. Ich wohne seit fast drei Jahren in Deutschland, mein Leben ist hier.
Was sollte die deutsche Regierung Ihrer Meinung nach für die Opfer rechtsextremer Gewalt tun?
Der Staat sollte zunächst die Täter verfolgen und sie bestrafen. Für die Opfer wäre es wichtig, dass sie nach dem Angriff wieder ein normales Leben führen können. Doch wie kann ich ein normales Leben führen, wenn ich jeden Tag Angst habe, wieder angegriffen zu werden; wenn ich tagtäglich Angst haben muss, abgeschoben zu werden?
Aktuelles, Pressemitteilungen Jahrbuch 2002, Opferperspektive