»Ich sehe, dass ich hier weg soll«

Du ziehst bald weg aus Cottbus. Wie lange hast du hier gelebt?
Ich bin wegen meiner Frau vor über einem Jahr, im Oktober 2010, nach Deutschland gekommen. Wir haben uns vor drei Jahren kennengelernt. Sie hat mich dann in Marokko besucht und später haben wir geheiratet. Danach bin ich nach Deutschland gekommen. Jetzt leben wir hier zusammen mit ihrem siebenjährigen Sohn.

Wie hast du dir Deutschland vorgestellt? Was hast du erwartet?
Meine Schwester lebt schon seit zwölf Jahren in Wuppertal. Sie hat immer nur positiv von Deutschland gesprochen. Für mich war Deutschland ein schönes, sauberes und vor allem demokratisches Land, in dem man gut leben kann und nicht nur Arbeit als Erntehelfer wie in Spanien oder Frankreich findet.

Bevor du nach Cottbus gekommen bist, hat dir deine Frau von der Situation hier erzählt?
Sie hat mir viel von Cottbus erzählt, na klar. Über Leute, die Ausländer angreifen, haben wir aber nicht gesprochen. Meine Frau weiß, dass ich ein ruhiger Mensch bin und kein Streit möchte. Deswegen haben wir nicht daran gedacht, dass mir so etwas passieren könnte.

Was hattest du für ein Bild von Cottbus, als du hier angekommen bist?
Vor dem Angriff war Cottbus für mich eine schöne Stadt. Jetzt aber nicht mehr. Cottbus ist keine Stadt, in der Ausländer in Ruhe leben können. Drei Freunde von mir sind schon weggezogen, einer ist nach Bayern, einer nach Nordrhein-Westfalen, und der Dritte ist wieder zurück nach Marokko. Sie hatten Angst, von Rassisten so wie ich schwer verletzt oder gar getötet zu werden.

Du hast ein Jahr in Cottbus gelebt, hast du in dieser Zeit Freunde gefunden?
Es ist schwer, hier Freunde zu finden. Mit einer Familie aus Polen bin ich befreundet. Zu ihnen gehe ich gerne. Kontakt habe ich auch zu den wenigen marokkanischen Studenten. Und ein paar Kollegen auf der Arbeit sind ganz nett zu mir. Es gibt aber auch Kollegen, die etwas gegen Ausländer haben und die mich grundlos beleidigen und anschreien. Neulich hat mich ein Facharbeiter angeschrien – einfach so, nur weil ich Ausländer bin. Als ich mich beschwert habe, hat sich der Schichtleiter dann auch noch auf seine Seite gestellt.

Was hat dir den an Cottbus gefallen, gibt es hier auch schöne Seiten?
Es gibt schöne Sachen in Cottbus, aber ich habe kann jetzt nicht mehr in Cottbus bleiben. Ganz ehrlich, obwohl ich hier einen Job habe. Aber nur wegen einer Arbeit zu bleiben, und gleichzeitig Angst zu haben, dass ich grundlos angegriffen werde, das geht nicht. Dann lieber weg von hier. In Wuppertal hatte meine Familie noch nie Probleme mit Deutschen gehabt. Ihre deutschen Nachbarn sind sehr nett. Zu Weihnachten und zu Osten tauschen sie zum Beispiel Geschenke aus. Hier habe ich so etwas noch nie erlebt.

Wie ist das, wenn du in der Stadt unterwegs bist?
Wenn ich in einen Laden gehe, schauen sie mich an, als käme ich mit einer Bombe direkt aus Afghanistan. Diese Blicke! Keiner schaut freundlich. In der Straßenbahn wurden ein Freund und ich einmal von einem jungen Mann beleidigt, nur weil wir Arabisch gesprochen haben. Wir haben darauf nicht weiter reagiert. Und weil wir in Eile waren, haben wir auch nicht die Polizei verständigt, obwohl er uns beleidigt hat. Ich bin auch nicht hierhergekommen, um ständig bei der Polizei anzurufen, wenn uns so etwas passiert. Ich bin hierhergekommen, um zu arbeiten und in Frieden mit meiner Familie zu leben.

Das war also kein Einzelfall?
Nein, so etwas kommt immer wieder vor. Ein Freund wollte mir einmal zeigen, welches Parfüm er benutzt. Wir sind dann zu Kaufhof. Als wir gehen wollten, hat uns der Kaufhausdetektiv angehalten und wollte uns kontrollieren. Mein Freund kann nicht so gut Deutsch, deshalb haben wir miteinander Arabisch gesprochen. Das wollte uns der Mann verbieten. Aber warum? Er wollte mich dann rausschicken. Ich blieb aber auf Bitten meines Freundes, um gegebenenfalls zu übersetzen, und verlangte die Polizei zu rufen. Als die Polizei kam, behauptete er, wir hätten ihn auf Arabisch beleidigt. Ich habe dann für ein Jahr ein Hausverbot bekommen, obwohl die Polizisten das auch nicht verstanden haben. Trotzdem hatten sie dem Kaufhausdetektiv meinen Ausweis gegeben. Aber warum? Ich hatte nichts getan!

Du hast ein Jahr Hausverbot bekommen, nur weil Du Arabisch gesprochen hast?
Ja, genau! Dabei habe ich nichts gestohlen und auch niemanden beleidigt, sondern nur in meiner Muttersprache gesprochen. Nach sechs Monaten sind meine Frau und ich zur Personalchefin des Kaufhauses, um noch einmal über das Hausverbot zu sprechen. Bei dem Gespräch habe ich erfahren, dass der Hausdetektiv gar kein Hausverbot erteilen darf.

Wie wirkt dieses Verhalten auf dich?
Was ich da sehe? Ich sehe, dass ich hier weg soll. Seit dem Angriff vor der Stadthalle will ich nicht mehr in Cottbus leben. Ich gehe jetzt nach Wuppertal. Dort lebt meine Schwester. Dort haben die Menschen nichts gegen Ausländer. Auch wenn ich dort keine so gut bezahlte Arbeit finde: Ich will in Ruhe und in Sicherheit leben. Ich will dort leben, wo man abends ohne Angst spazieren gehen oder unbeobachtet einkaufen kann.

Du meinst, die Menschen werden sich dir dort gegenüber freundlicher verhalten?
Es gibt einen großen Unterschied zwischen Brandenburg und Nordrhein-Westfalen, zwischen Ost und West. In Dresden, Berlin und Leipzig geht es noch, aber in den kleineren Städten wie zum Beispiel Magdeburg oder hier in Cottbus ist es gefährlich für Ausländer. Die Leute glotzen einen ständig an. Man muss vorsichtig sein.

Siehst Du einen Zusammenhang zwischen solchen Geschichten wie im Kaufhof und dem Angriff?
Ja, den gibt es. Das ist derselbe Geist. Nach dem ich an der Stadthalle angegriffen wurde, ist mir deutlich geworden, dass ich vieles verdrängt hatte, was mir im Alltag passiert ist. Die Geschichte im Kaufhof habe ich damals für nicht so wichtig gehalten. Damals war ich erst drei Monate in Deutschland. Erst nach und nach ist mir klar geworden, dass es nicht nur darum gehen kann, unbescholten zur Arbeit und wieder nach Hause zu kommen. Man will sich ja auch sonst frei bewegen.

Hast du nach dem Angriff Solidarität und Anteilnahme erfahren?
Eigentlich nur von meinen Kollegen. Sie hatten von einem Angriff auf einen Studenten in der Zeitung gelesen und mich darauf angesprochen. Dann habe ich ihnen erzählt, dass ich geschlagen worden war. Mehrere meinten mir gegenüber, in Cottbus würde so etwas öfter passieren, das sei normal. Da habe ich noch mehr Angst bekommen.

Es gab nach dem Angriff eine Demonstration. Hast du daran teilgenommen?
Eigentlich wollte ich da mitgehen. Aber als ich gehört habe, dass die Demonstration erst um 20 Uhr losgeht, bin ich doch nicht hingegangen. Und 20 Uhr ist es schon dunkel. Das ist für unsereins gefährlich. Aber natürlich habe ich mich gefreut, dass es diese Demonstration gegen Nazis gegeben hat. Auch wenn ich bezweifle, dass sich dadurch viel ändert. Die Nazis sind ja trotzdem da.

Wie geht es dir nach dem Angriff?
Ich habe Angst. Vor allem im Dunkeln, wenn ich zur Nacht- oder Frühschicht muss. Ich schaue mich ständig um. Ein Kollege nimmt mich nach der Arbeit mit und lässt mich hier bei einem Parkplatz raus. Jetzt ist mir zweimal ein Mann aufgefallen, der mich böse angeschaut hat, als wollte er etwas von mir. Da habe ich einen Umweg genommen.

Hättest du vor dem Angriff auf so etwas anders reagiert?
Mir war klar, dass die Leute hier nichts mit Ausländern zu tun haben wollen. Aber ich habe nicht gedacht, dass ich deswegen zusammengeschlagen werde. Jetzt bin ich vorsichtig, wenn ich spazieren oder einkaufen gehe. Die Schlägerei geht mir nicht aus dem Kopf. Egal ob einer 20 Cent will oder eine Zigarette oder er will einfach nur etwas fragen, immer denke ich, ich muss bereit sein, mich zu verteidigen. Früher war das nicht so.

Vermutlich werden sich die Angreifer auf Dich vor Gericht verantworten müssen. Ist das dir wichtig?
Dass die Angreifer vor Gericht kommen, ist mir wichtig. Mich interessiert schon, welche Strafe sie bekommen? Anders als in Marokko werden die Angreifer wahrscheinlich mit Sozialstunden oder Bußgeld davonkommen. Wenn in Marokko ein Deutscher, Franzose oder Spanier geschlagen wird, würde man richtig in den Knast gehen und Ärger bekommen.

Hast du deiner Familie und deinen Freunden in Marokko von dem Angriff erzählt?
Meiner Familie habe ich davon nicht erzählt. Ich wollte nicht, dass sie sich Sorgen macht. Denn sie wissen, dass Rassisten nicht davor zurückschrecken, einen zu schlagen, bis man tot ist. Mit meinen Freunden in Marokko und meinen Verwandten in Wuppertal habe ich darüber gesprochen. Sie haben mir geraten, dass ich aus der Stadt weg soll, weil ich vor Gericht den Angreifern noch einmal begegnen würde.

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