Berlin. Über fremdenfeindliche Attacken berichten brandenburgische Zeitungen in diesen Tagen meist nur noch in kurzen Meldungen. Dass am letzten Wochenende in der Kleinstadt Vetschau ein 14-jähriger afghanischer Junge als »Scheiß Türke« beschimpft und vor der Wohnung seiner Eltern von Glatzköpfen zusammengeschlagen wurde, handelte die »Märkische Allgemeine« in 20 Zeilen ab. Noch eine Zeile kürzer war ein Bericht über einen 17-jährigen Rußlanddeutschen, den rechtsextreme Jugendliche im uckermärkischen Boizenburg auf den Boden geworfen, als »Russenpack« beschimpft und mit ihren Springerstiefeln mehrfach in den Bauch getreten hatten. Die knappe Berichterstattung ist durchaus verständlich: Bei den beiden Überfällen handelte es sich keineswegs um außergewöhnliche Vorfälle, sondern nur um alltägliche Vorkommnisse in einer Welle brutaler Gewaltakte, denen die in den neuen Bundesländern und vor allem in Brandenburg lebenden Ausländer seit der Wende ausgesetzt sind. »Die rechte Gewalt zieht sich ziemlich flächendeckend durch das ganze Land«, berichtet der Politologe Kay Wendel. Der 38-Jährige ist Vorstandsmitglied des vor zwei Jahren gegründeten Vereins »Opferperspektive«, der sich ausschließlich um die oft hilflosen Opfer der Attacken kümmert und dem am kommenden Wochenende die von der »Liga für Menschenrechte« gestiftete renommierte Carl-von-Ossietzky-Medaille verliehen wird.
Der Verein mischt sich ein, wenn er aus den Medien von fremdenfeindlichen Übergriffen erfährt oder wenn ihm die Ausländerbeauftragten der Kreise und Kommunen von solchen Vorfällen berichten. »Viele Opfer gehen nicht zur Polizei, weil sie nicht daran glauben, daß die Angreifer wirklich bestraft werden«, sagt Kay Wendel. Der Verein wendet sich direkt an die Betroffenen: Man bespricht die Vorfälle, organisiert Therapieplätze für traumatisierte Opfer und sucht nach Anwälten. »Vor allem empfehlen wir den Opfern, in den Prozessen als Nebenkläger aufzutreten«, sagt Kay Wendel. »Dann können sie auf das Verfahren Einfluß nehmen und treten nicht nur als Zeugen auf, die von den Verteidigern der Täter leicht fertiggemacht werden können.«
Zuletzt hat der Verein »Opferperspektive« die Angehörigen des jungen Algeriers Omar Ben Noui unterstützt, der nach einer Hetzjagd durch das nächtliche Guben durch die Glasscheibe einer Haustür gesprungen und danach verblutet war. Dass die Verfolger jüngst zu außergewöhnlich milden Strafen verurteilt wurden, hat viele Menschen zutiefst empört. Ein Spendenaufruf des Vereins brachte bislang 55000 Mark ein – genug, um eine Revision zu finanzieren. »Den Rest erhält Ben Nouis Familie«, sagt Kay Wendel.
Ohnehin lebt der Verein »Opferperspektive« weitgehend von Spenden (Konto 3502016703 bei der Mittelbrandenburgischen Sparkasse in Potsdam, BLZ 16050000). Damit konnte man zum Beispiel einem in der Kleinstadt Lauchhammer untergebrachten Sudanesen helfen, der von einer rechtsradikalen Motorradclique zusammengeschlagen und dabei schwer verletzt worden war. Der Mann, der sich vor der Rache der Rechten fürchtete, prozessierte mit Hilfe von »Opferperspektive« insgesamt zwei Jahre lang, bis er endlich Lauchhammer verlassen und nach Berlin ziehen durfte, wo ein Therapieplatz auf ihn wartete.
Viele Opfer rechtsradikaler Gewalt sind nach der Tat mit der Verständnislosigkeit von Politikern konfrontiert. Der Bürgermeister der Stadt Serenberg etwa wollte nicht verstehen, wieso sich ein von Rechten durch die Strassen gejagter Afrikaner noch zur späten Nachtzeit nicht im Heim, sondern in der Stadt aufgehalten hatte. Denn für die Jugendlichen des Orts, so der Mann treuherzig, seien die »Schwarzen nun einmal eine Provokation.«
Nach Wendels Beobachtung ist in vielen Orten Brandenburgs die Jugendszene längst fest in rechter Hand: »Bei der Mehrheit ist rassistische, deutsch-nationale Haltung Mode geworden. Die Straße wird von jungen Männern im rechten Outfit mit Bomberjacken und Springerstiefeln dominiert.« Und: »Wenn öffentliche Empörung ausbleibt, empfinden viele Opfer das Schweigen als Zustimmung.«
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