Gemeinsame Stellungnahme zum Gesetzesentwurf »Hasskriminalität«

Die Beratungsstellen begrüßen die Debatte über die Einführung einer gesonderten Regelung im Bereich der Vorurteilskriminalität und das Gesetzesvorhaben seiner grundsätzlichen Intention nach. Der konkrete Vorschlag wird aufgrund seiner formulierten Weite und somit der Gefahr inhaltlicher Beliebigkeit aber abgelehnt.
Die Opferberatungsstellen verfolgen die aktuelle Debatte mit Interesse und stehen einer Änderung des StGB prinzipiell aufgeschlossen gegenüber, wenn wir auch am vorliegenden Entwurf verschiedene Kritikpunkte haben. Wir würden uns freuen, wenn unser Standpunkt, der insbesondere die Perspektive von Betroffenen rechter Gewalt, noch einmal näher beleuchtet Widerhall in der aktuellen Debatte finden würde. Von Nöten ist eine Regelung, die resultierend aus der vorherrschenden gesellschaftlichen Problematik rechter Gewalt klar verdeutlicht, welche Betroffenengruppen mit dem Phänomen gemeint sind: Menschen, die aufgrund rassistischer, antisemitischer Motive, aufgrund ihrer Wohnungslosigkeit oder anderer sozialdarwinistischer Beweggründe oder die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und/oder Geschlechtsidentität sowie aufgrund ihrer Behinderung, ihrer nichtrechten Einstellung oder ihres Engagements gegen Neonazis angegriffen werden.

Rechte Gewalttaten nehmen eine gesellschaftlich relevante Sonderstellung gegenüber anderen Delikten ohne Vorurteilsmotivation ein, da sie sich nicht nur gegen das Opfer selbst richten, sondern eine Botschaft der Ablehnung in die gesamte Betroffenengruppe hinein vermitteln wollen. Darüber hinaus werden die Menschenrechte und die Grundwerte einer demokratischen Gesellschaft in Bezug auf den Schutz von Minderheiten in Frage gestellt.

Die jahrelange Erfahrung und Expertise der Beratungsstellen zeigt, dass in nur wenigen Fällen die in § 46 Abs. 2 StGB angesprochenen »Beweggründe und Ziele des Täters« oder »die Gesinnung, die aus der Tat spricht« im Strafverfahren zum Tragen kommen. Vielmehr bestehen auf allen Ebenen des Verfahrens immense Defizite im Erkennen und Würdigen der Vorurteilsmotivation. Selbst wenn die Tatumstände auf rechte Beweggründe und Ziele schließen lassen und/oder die Opfer dies in Zeug/innenaussagen nachdrücklich zum Ausdruck bringen, spiegelt sich dies nur marginal in
justiziellen Entscheidungen wieder. Wird in den Anklageschriften die Darstellung des subjektiven Tatbestands häufig auf die Formel reduziert, dass die Täter/innen »ohne rechtfertigenden Grund« handelten, ignoriert die Mehrzahl der Urteile – selbst wenn die vorurteilsmotivierten Beweggründe und Ziele im Rahmen der Hauptverhandlung thematisiert wurden – diese Aspekte völlig. Werden im Rahmen der Sachverhaltsschilderung doch in einigen Fällen die Ziele des/der Täter/innen dargestellt, so hat deren Einbeziehung in die Strafzumessung – wie sie von § 46 Abs. 2 StGB derzeit formuliert wird – Seltenheitswert.

Für die Betroffenen verkörpern sowohl die Ermittlungsbehörden (Polizei und Staatsanwaltschaft) als auch die gerichtlichen Instanzen den Umgang des Rechtsstaats mit den, gegen sie und gesellschaftliche Minderheiten gerichteten Taten bzw. Täter/innen. Ist dieser Umgang defizitär und wird insbesondere das Tatmotiv nicht hinreichend einbezogen, kann es zum Vertrauensverlust seitens der Betroffenengruppen kommen. Der Urteilsspruch »Im Namen des Volkes« sollte also klar benennen, dass der/die Täter/innen aus vorurteilsmotivierten Beweggründen/Zielen handelten und dies entsprechend einbeziehen. Unbestritten ist die vorgeschlagene gesetzliche Verankerung auch »Symbolpolitik«. Ein Symbol an die betroffenen Minderheiten, dass Staat und Gesellschaft nicht gewillt sind, rechte Gewalt zu dulden. Ein Symbol dafür, dass solche Taten ganz besonders geahndet werden, da sie als Botschaftsverbrechen geeignet sind, Angst und Unruhe zu schüren und demokratische Werte an und für sich in Frage zu stellen. Aber es handelt sich nicht nur um Symbolpolitik. Vielmehr ist eine gesonderte Regelung prinzipiell dazu geeignet, derzeit bestehende Defizite bei den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten zu beheben. Der Einwand, dass dies auch nach 2 bestehender gesetzlicher Lage möglich wäre, fruchtet nicht. So zeigen Rechtsprechung und Fachliteratur, dass die Relevanz vorurteilsmotivierter Straftaten im Rahmen der Strafzumessung schlichtweg nicht erkannt wird.

Allerdings ist der Begriff »Hasskriminalität« irreführend und sollte in diesem Kontext vermieden werden. Kern des Problems ist nicht eine, im Übrigen forensisch schwer erfassbare Emotion des/der Täter/innen, sondern die gesellschaftlich relevante Botschaft, die mit der Tat zum Ausdruck gebracht wird. »Hass« pathologisiert die Tat, reduziert sie auf ein emotionales, individuelles Problem des/der Täter/innen und verbirgt die zu Grunde liegenden, gesellschaftlich relevanten Vorurteile. Es gilt aber aus Opferperspektive klar zu benennen, was Ziele und Beweggründe waren – Rassismus, Antisemitismus, Homo-/Transfeindlichkeit, Sozialdarwinismus oder der Wille, ein extrem rechtes Weltbild umzusetzen und all jenen Gruppen ihr Recht auf körperliche Unversehrtheit und Leben abzusprechen, die als Feinde einer imaginierten Volksgemeinschaft gelten. Es empfiehlt sich daher im juristischen Kontext von Vorurteilskriminalität zu sprechen. Die Beratungsstellen selbst sprechen von rechter Gewalt, um in der politischen Sphäre deutlich zu machen, welche ideologische Basis den Taten zugrunde liegt. Die relevanten Faktoren, welche die Beratungsstellen unter dem Oberbegriff »rechte Gewalt« erfassen, werden durch zahlreiche Studien in konkrete Einzelitems untergliedert (vgl. bspw. Stöss 2007, Decker/Brähler 2010, Heitmeyer 2012). In diesem Punkt erscheint der vorliegende Gesetzesentwurf verbesserungsbedürftig, da hier allein von rassistischen, fremdenfeindlichen und sonstigen menschenverachtenden Beweggründen gesprochen wird. Die Formulierungen »fremdenfeindliche« und »sonstige menschenverachtende Ziele« werden seitens der Beratungsstellen abgelehnt, da die zugrunde liegenden Phänomene nicht klar benannt werden. Die Betroffenen werden nicht angegriffen, weil sie den Täter/innen »fremd« sind, sondern aufgrund derer Ungleichwertigkeitsvorstellungen. »Fremdheit« suggeriert, dass man sich nur »kennenlernen« müsste; eine Annahme die fehlgeht, da den Taten rassistische Einstellungsmuster zugrunde liegen. Nicht zuletzt unterstützt der Begriff der »Fremdheit« die Vorstellung von »Wir« und »die Anderen«. Wer »fremd« ist, gehört nicht dazu, ist »anders«, ist nicht Teil der Gesellschaft. Diese (sprachliche) Exklusion sollte nicht Grundlage eines Gesetzes werden, welches genau den gegenteiligen Aspekt bewirken soll.

Das Auffangmerkmal der »sonstigen Menschenverachtung« birgt die Gefahr, dass die Regelung unzulässig ausgeweitet und dabei die politische Dimension ausgeblendet wird. Der Begriff klammert die gesellschaftlich relevante Rahmung rechter Gewalt völlig aus. Vorurteilsmotivierte Gewalt richtet sich gegen Minderheiten, die über keine oder nur geringe gesellschaftliche Durchsetzungsmacht verfügen. Begriff der »sonstigen Menschenverachtung« dagegen dehnt das Schutzkonzept, indem darunter eine Vielzahl von Taten erfasst werden können, die genau nicht in diesen Bereich fallen. Das kann von systemkritischen Taten bis hin zu Auseinandersetzungen rivalisierender Fussballanhänger reichen. Mit dem Gesetzesentwurf wird somit die Möglichkeit einer Ausdehnung geschaffen, die dazu neigt, Gewalt gegen Minderheiten zu relativieren, indem different zu betrachtende und zu ahndende Phänomene gleichgesetzt werden. Diese Problematik wird und kann auch nicht allein durch eine Gesetzesbegründung aufgefangen werden.

Aus diesen Gründen sprechen sich die Beratungsstellen, wie auch von OSCE/ODIHR empfohlen, für eine geschlossene Merkmalsdefinition aus. Dabei gilt es, die Probleme von Rassismus, Antisemitismus, Sozialdarwinismus, Homo-/Transfeindlichkeit sowie von Angriffen auf Menschen mit Behinderung, auf nichtrechte/alternative Jugendliche und gegen Neonazis engagierte Personen zu erfassen. Offene, nichtabschließende Regelungen, wie der vorgeschlagene Gesetzesentwurf, verleiten zu politisch intendierten In- oder Exklusionen von Betroffenengruppen und machen die Norm für die Rechtsanwendung zu unbestimmt.

Des Weiteren scheinen Aspekte der Implementierung nicht hinreichend angesprochen. Inwiefern eine Strafzumessungsregelung bereits auf das Verfassen der Anklageschrift Auswirkung hat, erscheint fraglich. Vielmehr zeigt ein Blick auf die Defizite in der polizeilichen Ermittlungsarbeit hinsichtlich der Erfassung innerhalb der »Politisch motivierten Kriminalität« (PMK), der seit 2001 ein verbessertes Definitionssystem zu Grunde liegt, dass eine alleinige Veränderung ohne ausreichende Implementierung wenig Fortschritt bringt. In diesem Punkt weisen die Beratungsstellen ausdrücklich darauf hin, dass die Veränderung von Normen ohne Implementierungsmaßnahmen unzureichend ist.

Prinzipiell dürfen und können rechtspolitische Maßnahmen nicht als Feigenblatt dienen, sondern sind ausschließlich als zusätzliche Mittel zu begreifen. Vorrangig ist es, zivilgesellschaftliche Träger und Initiativen, die sich gegen rechte Einstellungen und Aktivitäten engagieren, ohne Misstrauen zu unterstützen und die Grundlage für ihre Arbeit langfristig zu sichern. Dazu gehört neben der Abschaffung der Extremismusklausel, die Gewährleistung von Planungssicherheit für die Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer Gewalt und der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus sowie die Etablierung der bewährten Beratungsprojekte in den westlichen Bundesländern.

• Beratungsstellen für Betroffene rechtsmotivierter und rassistischer Gewalt
des RAA Sachsen e.V.
• Ezra – Mobile Beratung für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (Thüringen)
• Opferperspektive e.V. (Brandenburg)
• Mobile Beratung für Opfer rechter Gewalt (Sachsen-Anhalt)
• Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt für die Region Anhalt/Bitterfeld/Wittenberg (Sachsen-
Anhalt)
• LOBBI e.V. (Mecklenburg-Vorpommern)
• ReachOut – Opferberatung und Bildung gegen Rechtsextremismus, Rassismus und
Antisemitismus (Berlin)

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