Viele unserer Gesprächs- partnerInnen waren bereits selbst von rechter Gewalt betroffen oder berichten von Vorfällen in ihrem Umfeld. Die meisten der rechts motivierten Übergriffe, die die Opferperspektive im Jahr 2006 zählte, galten Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen, die sich von der rechten Szene abgrenzen 1 . Die Angriffe, die die Jugendlichen schildern, richten sich gezielt gegen bestimmte Gruppen oder Szenen. Aufgrund ihrer Kleidung oder dem Besuch alternativer Veranstaltungen werden die Betroffenen von rechten TäterInnen als vermeintlich Linke und damit als politische Gegner identifiziert. Die Mehrzahl der Angriffe sind nicht geplant, sondern werden spontan ausgeführt. Dennoch sind sie nicht ziellos, sie folgen einer Logik. Bestimmten Gruppen wird signalisiert: Ihr seid hier nicht erwünscht.
Jugendliche, die sich erkennbar von der rechten Szene abgrenzen, leben in dem Bewusstsein, dass sie zum Angriffsziel der Rechten werden können. Viele, die bereits selbst rechte Gewalt erlitten haben, aber auch potenziell Betroffene entwickeln präventive Strategien. Sie ziehen sich zurück, nehmen an gesellschaftlichen Ereignissen wie Stadtfesten nicht mehr teil, gehen Umwege, um bestimmte Straßen oder Stadtviertel zu meiden, oder gehen nachts nicht mehr allein aus dem Haus. Die einschüchternde Wirkung der Rechten zeigt sich auch daran, dass Betroffene aus Angst vor erneuten Angriffen viele Vorfälle nicht anzeigen. Wird ein Vorfall vor Gericht verhandelt, kann die Präsenz der rechten TäterInnen dazu führen, dass ZeugInnen keine belastenden Aussagen machen.
Das Konzept der so genannten „National befreiten Zonen” 2 wurde von rechtsextremen Ideologen entwickelt und beschreibt das Bestreben der Rechten, Hegemonie über gesellschaftliche Räume zu erlangen. Um dieses Ziel zu erreichen, werden verschiedene Strategien angewendet: Auf der einen Seite wird an mehrheitsfähige Denkformen und Werte angeknüpft. Man zeigt sich als ordentlicherR und hilfsbereiteR NachbarIn, integriert sich harmlos in den Sportverein und greift in Flugblättern die vermeintlichen Sorgen der Bürger auf. Auf der anderen Seite wird systematisch Gewalt angewendet um politische GegnerInnen einzuschüchtern und Gruppen, die nicht in die rechte Ideologie gehören, zu vertreiben. Zwar kommen viele GewalttäterInnen nicht aus organisierten rechtsextremen Zusammenhängen und beziehen sich nicht bewusst auf diese Strategie. Hat die Gewalt jedoch zur Folge, dass Andersdenkende eingeschüchtert und aus dem öffentlichen Raum zurückgedrängt werden, ist dies für die Rechten ein Erfolg im Kampf um Hegemonie, um die Definition von Werten und die Macht über Räume.
Als Effekt können für die potenziell Betroffenen Angsträume entstehen, Orte die als gefährlich wahrgenommen und gemieden werden. Die Entstehung von Angsträumen beruht auf realen Erfahrungen potenziell Betroffener sowie subjektiven Wahrnehmungen. Sie spiegeln sich häufig nicht in der Polizeistatistik wider. Ob Angriffe dazu führen, dass Angsträume entstehen, welche Wirkung sie auf die Betroffenen und das gesellschaftliche Klima haben, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Die Reaktionen des direkten Umfeldes und der gesellschaftlichen Öffentlichkeit sind dafür entscheidend.
Aus vielen der in dieser Broschüre dokumentierten Äußerungen, Schilderungen von Begebenheiten und Situationen wird deutlich, dass Teile der rechten Ideologie zum Alltag der Jugendlichen gehören. Rassistische, nationalistische, antisemitische, sozialdarwinistische oder autoritäre Denkweisen finden sich nicht nur in den Reihen der organisierten und gewaltbereiten rechten Szene, sondern prägen eine Stimmung, die über die jugendliche Subkultur hinaus geht. Sie sind oft unhinterfragter und unwidersprochener Bestandteil der Alltagskultur. Alternative Lebensweisen und Jugendkulturen werden im ländlichen Raum und in Kleinstädten von vielen kritisch beäugt und als problematisches Verhalten wahrgenommen. Die organisierte Rechte kann hier leicht anknüpfen und ihre Wertesysteme propagieren. Die Wahrnehmung weiter Teile der Bevölkerung, was als »normal« empfunden wird, wo die vermeintlich »neutrale Mitte« verortet wird, verschiebt sich nach rechts.
In einigen Brandenburger Städten haben sich seit Ende der 1990er Jahre kommunale Bündnisse gegründet, mit dem Ziel, rechter Gewalt und rechten Organisierungsprozessen entgegenzutreten. Eine Vielzahl von politischen AkteurInnen bezieht öffentlich Position, wenn es um die Verhinderung rechter Aufmärsche geht. So wird z.B. gegen das jährlich stattfindende rechte »Heldengedenken« in Halbe aufwendig mobilisiert. Rechte Übergriffe, die eine mediale Aufmerksamkeit erfahren, werden von vielen KommunalpolitikerInnen und anderen lokalen AkteurInnen verurteilt, den Opfern wird Solidarität bekundet und konkrete Unterstützung angeboten. Es entsteht der Eindruck, dass rechte Gewalt nicht mehr verharmlost, sondern moralisch verurteilt und mit aller Schärfe strafrechtlich verfolgt wird. Für Angriffe gegen alternative Jugendliche trifft dies allerdings oft nicht zu. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Ein Grund ist, dass Medien eher über rassistisch motivierte Angriffe berichten, nicht jedoch über solche gegen alternative Jugendliche. Oft nehmen Jugendliche auf Seiten der Erwachsenen in ihrem direkten Umfeld sowie in der politischen Öffentlichkeit wenig Sensibilität für das Thema wahr. Die Problemsicht der Jugendlichen, die selbst zu einer potenziellen Opfergruppe gehören, weicht meist erheblich von der Einschätzung der Erwachsenen ab, die von vielen Vorfällen gar nichts erfahren, auch weil Jugendliche vor einer Anzeige zurückschrecken.
Unsere GesprächspartnerInnen schildern unterschiedliche Reaktionsmöglichkeiten, wenn Vorfälle bekannt gemacht werden. Viele machen die Erfahrung, dass rechte Übergriffe bagatellisiert oder als normale Auseinandersetzungen zwischen Jugendgruppen verhandelt werden. Auch werden die Opfer indirekt selbst verantwortlich gemacht. Der spezifische Charakter rechter Gewalt, Menschen allein aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer Gruppe anzugreifen, wird negiert. Vermutlich in der Intention, sie vor weiteren Angriffen zu schützen, wird alternativen Jugendlichen z.B. von Eltern oder LehrerInnen geraten, sich vorsichtiger zu verhalten. Aufnäher auf der Kleidung oder verbale Äußerungen, die die politische Haltung und Opposition zu den Rechten zum Ausdruck bringen, werden als leichtsinnige Provokationen angesehen.
Die beschriebenen Muster verhindern eine eindeutige Stellungnahme gegen rechte Gewalt und die Solidarisierung mit den Betroffenen. Dadurch wird der Einfluss der Rechten auf Werte und die Definition, welches Verhalten als Provokation gilt, ungewollt unterstützt. Statt dessen ist es aus unserer Sicht wichtig, die Jugendlichen in ihrer bewussten Opposition zur rechten Szene zu fördern und zu unterstützen und ihre Zivilcourage zu würdigen. Unsere GesprächspartnerInnen berichteten in diesem Zusammenhang auch von positiven Erfahrungen. Wenn in einer Stadt ein breites Bündnis von Stadtverwaltung über Gewerkschaften bis zum Alternativen Jugendzentrum eine gemeinsamen Demonstration gegen rechte Gewalt organisiert, wenn sich ein Lehrer positioniert, statt wegzugucken, wird dies als unterstützend wahrgenommen. Statt einem Klima der Angst öffnen sich dadurch Handlungsräume.
Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die in dieser Broschüre zu Wort kommen, sehen einen Zusammenhang zwischen der Gewaltanwendung und den Einschüchterungsstrategien der Rechten auf der einen und einer schwachen oder fehlenden alternativen Jugendkultur auf der anderen Seite. Statt sich aus Angst zurückzuziehen, versuchen sie und viele andere Jugendliche in Brandenburg, trotz drastischer Mittelkürzungen in der Jugendarbeit, mit Kreativität und Zähigkeit eine alternative Kultur zu gestalten. Die Zugänge und Formen sind dabei vielfältig. Sei es die Gründung eines Alternativen Jugendzentrums, ein Festival, eine Demonstration, ein Schulprojekt, die Beteiligung im Stadtparlament oder die Gründung einer Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt: Den Aktivitäten und Projekten ist das Bedürfnis gemeinsam, sich öffentlich gegen rechts zu positionieren, gestaltend in die gesellschaftlichen Verhältnisse einzugreifen und eine alternative Kultur zu leben.
Alternative Räume und Angebote für nicht-rechte Jugendliche sind eine notwendige und wichtige Strategie gegen eine rechte Hegemonie. Dennoch schilderten viele Jugendliche den Eindruck, dass ihre Projekte von Erwachsenen mit viel Skepsis aufgenommen werden. Statt Unterstützung erfahren sie oft, dass ihnen Steine in den Weg gelegt werden. Das selbstbewusste Auftreten der jungen Menschen und ihre Aktivitäten für alternative Kultur und Lebensformen wird von Eltern, LehrerInnen oder anderen lokalen AkteurInnen in den Kommunen manchmal als jugendliche Phase bagatellisiert. Selten wird das politisch ambitionierte Handeln als solches wahrgenommen. In einigen Orten jedoch konnten sich alternative Projekte fest verankern. Aus unserer Sicht haben sie einen wichtigen Einfluss auf das Klima in einer Kommune. Alternative Jugendliche sehen sich in einer weniger isolierten und an den Rand gedrängten Position. Zwischen unterschiedlichen gesellschaftlichen Akteuren in verschiedenen Positionen und Altersgruppen findet ein lebhafter Austausch über die Wahrnehmung der Situation und demokratische Werte statt. Dieser bietet die Basis für ein gemeinsames Auftreten gegen rechts, wie es von den Jugendlichen als wichtig erlebt und eingefordert wird.
fn1. Insgesamt zählte die Opferperspektive für das Jahr 2006 139 rechts motivierte Gewalttaten. In 50 Fällen war Rassismus die Tatursache. Ca. 70 Angriffe richteten sich gegen politisch Aktive und alternative Jugendliche.
fn2. Schafft befreite Zonen! In: Vorderste Front. Zeitschrift für politische Theorie & Strategie. Hrsg. vom Nationaldemokratischen Hochschulbund (NHB), Nr. 2, Juni 1991
Aktuelles alternative Jugendliche, Linke, Opferperspektive, rechte Übergriffe, Verschiedene