Anfang des Jahres 2003 wurde in der Kleinstadt B ein Reifen eines Döner-Imbisses in Brand gesetzt. Das Feuer loderte bis zur Außenwand, konnte aber durch die Polizei gelöscht werden, bevor die Flammen ins Wageninnere vordrangen. Mitte des Jahres wurde dann mit einer Plastiktüte unter dem Wagen gezündelt. Im Winter schließlich wurde vor dem Imbiss Feuer gelegt. Der Kunstrasen verbrannte und die Flammen griffen ins Wageninnere über. Es entstand ein Sachschaden von über 3.000 Euro. Die Teilkaskoversicherung kam nur für die festen Wageneinbauten auf.
Bei allen drei Anschlägen handelte es sich um den gleichen Imbiss, den einzigen Döner-Imbisswagen in B. Dieser steht frei und leicht zugänglich zwischen einem Einkaufszentrum und einer Wohnsiedlung und wird von Herrn C. seit zwei Jahren betrieben. Herr C. kam 1994 als kurdischer Flüchtling aus der Türkei nach Deutschland.
Nach der ersten Brandstiftung wurde die Polizeipräsenz vor Ort verstärkt. Herr C. bemühte sich gleichzeitig erfolgreich um einen anderen Stellplatz. Doch auch hier gingen die Angriffe weiter. Nach dem zweiten Anschlag konnten zwei junge Männer ermittelt werden. Die Täter waren unter anderem dadurch aufgefallen, dass sie sich in ihrer rechten Clique der Tat gerühmt und eine Wiederholung angekündigt hatten. Wer den dritten Anschlag zu verantworten hat, konnte bislang nicht festgestellt werden.
Zusätzlich zu den Brandanschlägen weitere Sachbeschädigungen
Nach den Verhaftungen wurde Herr C. vermehrt von Jugendlichen und Passanten als Ausländer beschimpft. Die Polizei, bei der Herr C. die Vorfälle anzeigte, sah keine Möglichkeit, einzugreifen. Immer wieder gab es im Laufe des Jahres Sachbeschädigungen an seinem Wagen. So wurde in einer Nacht die Plastikverkleidung des Imbissvorbaus beschädigt und die Rückleuchten des Wagens entwendet. Es gab mehrere Einbrüche, bei denen nichts gestohlen, sondern Teile der Einrichtung zerstört wurden. Im Dezember wurde Herr C. schließlich sogar von einem Auto mit »Glatzen« bis nach Hause verfolgt. Herr C. zeigte auch diesen Vorfall bei der Kriminalpolizei an und nannte das Kfz-Kennzeichen. Doch wieder teilte ihm die Polizei mit, sie könne nichts unternehmen, da die Bedrohung nicht nachweisbar sei. Herr C. fühlte sich in dieser Zeit mit seinen alltäglichen Erfahrungen von rassistischer Beschimpfung und Bedrohung allein gelassen und von der Polizei wenig unterstützt.
Anschlag Anfang 2003 berichtet, doch in der Öffentlichkeit wurde der Vorfall kaum wahrgenommen. Das änderte sich nach dem zweiten Anschlag. Die Stadtjugendpflegerin nahm Kontakt zu Herrn C. auf und informierte andere, dass es sich bereits um den zweiten Anschlag auf den gleichen Betrieb handelte. Eine Gruppe von Schülern verfasste daraufhin eine Unterschriftenliste. Diese zunächst eher aus Hilflosigkeit geborene Aktion erwies sich als sehr erfolgreich: Die Liste wurde in Schulklassen verteilt, in der Bibliothek und einer Buchhandlung ausgelegt. Die Anschläge wurden Gesprächsthema in der Stadt. 350 Unterschriften kamen zusammen, die Herrn C., der lokalen Presse und dem Bürgermeister übergeben wurden.
Nach dem dritten Anschlag, vier Monate später, initiierte die Stadtjugendpflegerin einen Runden Tisch und lud Vertreter der Polizei, der Kirche, den Bürgermeister, Engagierte aus der Stadtverwaltung und Personen des öffentlichen Lebens, die Schulleitungen, Herrn C. und seine Freunde ein. Der Bürgermeister schlug eine Demonstration vor, um öffentlich Solidarität mit Herrn C. zu signalisieren und zu zeigen, dass die Bürger der Stadt gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit stünden. Zur Vorbereitung der Demonstration bildete sich ein Netzwerk von Unterstützern. Zudem wurde ein Spendenkonto zur Unterstützung von Herrn C. eingerichtet, der wegen der Schäden größere Verdienstausfälle zu kompensieren hatte. Die Spendenaktion wurde eröffnet mit einer Benefiz-Filmvorführung über kurdische Flüchtlinge in Deutschland, einer Kooperationsveranstaltung mit der Opferperspektive und der Filminitiative.
Zur Aufklärung und Mobilisierung im Vorfeld der Demonstration wurde die Unterschriftenliste erneut verteilt. Weitere 150 Unterschriften kamen zusammen. Die lokale Presse veröffentlichte ausführliche Artikel, die dann von Schülern in Zusammenarbeit mit der Jugendpflegerin ausgeschnitten, vergrößert und zur Information auf Pappen geklebt und in der Schule aufgehängt wurden.
Der vom Bürgermeister verfasste Demonstrationsaufruf wurde über Vereine und Parteien, Schulen, die Presse und andere Multiplikatoren breit gestreut. Trotz schlechten Wetters kamen etwa 400 Menschen. Viele Jugendliche, kommunale Vertreter, auch aus der Kreisstadt, nahmen teil. Anschließend wurden im Gemeindehaus der evangelischen Kirche Videoclips gegen Rassismus gezeigt, die Schüler der Stadt in ihren Klassen produziert hatten.
Bei den für den zweiten Anschlag verantwortlichen Tätern handelt es sich um einen zum Tatzeitpunkt 17-Jährigen und einen 21-Jährigen. Einige Tage bevor sie Feuer legten, hatten sie den Imbissbetreiber als »Scheiß-Döner« beschimpft. Als Tatmotiv für die Brandstiftung gaben sie bei ihrer Verhaftung an: »Wir können Ausländer nicht leiden. Wir sind hier nicht in Türkenland, die sollen das[Döner] hier nicht verkaufen.« Der 17-Jährige wurde im Schnellverfahren von einem Jugendrichter zu vier Wochen Arrest verurteilt. Inzwischen ist auch das Verfahren gegen den 22-jährigen Mittäter abgeschlossen, dem in einem Gerichtsgutachten eine niedrige Intelligenz bescheinigt wurde. Er wurde zu sieben Monaten auf Bewährung und zu 150 Arbeitsstunden verurteilt.
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