Diskussionsbeitrag von Sigrun von Hasseln-Grindel

Die Gesetzesinitiative zur Bekämpfung der Hasskriminalität, die eine Änderung der §§ 46, 47 und 56 STGB vorsieht, verfolgt das Ziel, rassistisch oder fremdenfeindlich motivierte Gewalttaten künftig konsequenter zu bestrafen. Beweggründe des Täters wie fremdenfeindliche Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder äußeres Erscheinungsbild, Behinderung oder sexuelle Orientierung des Opfers sollen verstärkt strafschärfend berücksichtigt werden. Zudem sollen bei entsprechender Tatmotivation regelmäßig auch kurze Freiheitsstrafen unter sechs Monaten statt Geldstrafen verhängt werden. Bei Freiheitsstrafen von über sechs Monaten soll die Vollstreckung nur in Ausnahmefällen zur Bewährung ausgesetzt werden.

Die Umsetzung der Gesetzesinitiative wäre sinnvoll, wenn sie rechtlich unbedenklich (I.), ein angemessenes sowie wirksames Mittel zur Bekämpfung von Hasskriminalität (hate crime) wäre (II.) und wenn es keine wirksameren Mittel gäbe (III.).

I. Ist die Gesetzesinitiative rechtlich unbedenklich?

Der Richter muss bereits heute im Rahmen der Strafzumessung (§ 46 STGB) u.a. in jedem Einzelfall die »Beweggründe und die Ziele des Täters« sowie die »Gesinnung, die aus der Tat spricht«, prüfen. Stets wird strafschärfend berücksichtigt, wenn die Tat nach allgemeiner sittlicher Würdigung auf tiefster Stufe steht und deshalb besonders verachtenswert ist. 1

Bei Umsetzung der Gesetzesinitiative könnte – angesichts der geplanten verschiedenen Rechtsfolgen – erheblich mehr um die Frage gekämpft werden, ob ein Angeklagter generell eine fremdenfeindliche Gesinnung hat. Dazu könnte es weitergehender Erkenntnismöglichkeiten bedürfen, als die sich aus der Hauptverhandlung ergebenden Tatumstände. Spitzeltätigkeiten und Denunziation könnten wieder Tür und Tor geöffnet und durch moderne Technologie perfektioniert werden (Big Brother is watching you). Wir haben bislang sehr bewusst und aus guten Gründen kein Gesinnungsstrafrecht.

Zudem bestehen Zweifel, ob der Gleichheitsgrundsatz gewahrt werden könnte. Beispiel:

  • Fall 1: Der unpolitische Mike (21, keine Vorstrafen) streckt einen zufälligen Passanten mit der Faust nieder, weil ihm so danach ist.
  • Fall 2: Der in Polizeikreisen als rechtsorientiert, aber bislang unauffällig bekannte Patrick (21, keine Vorstrafen) streckt ebenfalls spontan einen Passanten nieder, weil dieser ein linkes Outfit hat.

In der heutigen Praxis müssten beide Täter jeweils mit einer Bewährungsstrafe von sieben bis acht Monaten rechnen, weil die Fälle auch in ihrer sittlichen Würdigung vergleichbar sind. Anders nach der Gesetzesinitiative: Die Vollstreckung der gegen Mike erkannten Strafe müsste wegen der positiven Sozialprognose zur Bewährung ausgesetzt werden, die gegen Patrick dürfte trotz der positiven Sozialprognose nicht zur Bewährung ausgesetzt werden.

Die Umsetzung der Gesetzesinitiative könnte zudem eine erhebliche Verlängerung von Strafverfahren bedingen, weil mit umfangreichen Beweisaufnahmen über die Gesinnung zu rechnen ist. Für »Konfliktverteidiger«, die als Verteidiger versuchen über bestimmte Anträge Gerichte lahm zu legen, wäre das ein neues Spielfeld.

Ergebnis zu I: Die Gesetzesinitiative ist rechtlich nicht unbedenklich, weil mit ihr der erste Schritt zu einem Gesinnungsstrafrecht gegeben sein könnte, Richter möglicherweise nicht immer den Gleichheitsgrundsatz anwenden und auf die Justiz enorme Verfahrensverzögerungen zukommen könnten.

II. Ist die Umsetzung der Gesetzesinitiative ein angemessenes und wirksames Mittel zur Bekämpfung von Hasskriminalität?

1. Hohe Freiheitsstrafen können eine generalpräventive Bedeutung und Vergeltungsfunktionen für betroffene Opfer haben

Die Reaktion des Staates mit hohen Strafen auf Hasskriminalität kann grundsätzlich der »legalen Gerechtigkeit« und damit – als ultima ratio – der »Stabilisierung der Gesellschaft« mit einem gewissen Befriedungs- und Abschreckungseffekt für den sich nach Sicherheit sehnenden »anständigen« Bürger dienen 2. Sie kann, eine gewisse Sühnefunktion im Hinblick auf schwer geschädigte Opfer haben 3 und dem In- und Ausland eine funktionierende Wehrhaftigkeit unseres Staates gegen Rechtsbrüche signalisieren.

2. Freiheits- bzw. Jugendstrafen sind bei rechten Straftätern aber meist unwirksam.

a) Die wahren »Helden« sitzen im Knast:

»Gefängnisstrafen haben keinen abschreckenden Effekt«, sondern »befördern im Gegenteil« »rechte Karrieren.«4 Denn Strafvollzug verfestige rechtsextreme Orientierung und die Bereitschaft zur Gewaltanwendung. Der Gefangene bestätige den Regelkreis von Macht und Ohnmacht, auf dem das Funktionieren des Gefängnisses im großen wie im kleinen basiere. Hass gegen den Fremden, den »Kanaken« als den sozial Schwächeren kompensiere eigene Ohnmachtserfahrungen. Er bleibe deshalb das zentrale Feindbild, gegen den sich in projektiver Abwehr die Angst vor der eigenen sozialen Deklassierung wende. Dadurch könne ein Teil der Aggressionen abgearbeitet werden, die sich eigentlich gegen die Anstalt und ihre Zwänge richte. Er setze durch sein Verhalten fort, was in der Struktur des Knastes angelegt sei: Die Gewöhnung an Gewalt. 5 Zudem werden rechte Gewalttäter bei rechtsextremen Übergriffen nicht selten als Helden gefeiert, wenn sie zu Haftstrafen verurteilt werden. Die hohen Rückfallquoten und neuere Forschungen, die sich mit eigenen langjährigen strafrichterlichen Erfahrungen decken, bestätigen diese Erkenntnisse: Während »normale« Gefangene die Strafe in der Regel als eine normale Reaktion auf ihre Tat ansehen, sei bei fremdenfeindlichen Gewalttätern nicht auszuschließen, dass sie die Reaktion des Staates durch ihre eigene Ideologie geleitet, kritisch hinterfragen. Dabei werde die Strafe nicht als gerechtfertigt, sondern gar als Bestätigung ihrer kritischen Einschätzung gegenüber dem »untätigen« Staat, demgegenüber sie wenigstens mal die Dinge «in die Hand genommen haben«, angesehen. 6

b) Die Justizvollzugsanstalten sind kaum auf wirkungsorientiertes Arbeiten mit rechtsextremen Schlägern eingerichtet.

Der Strafvollzug bleibt auch deshalb meist unwirksam, weil die Zeit im Vollzug nicht optimal genutzt wird, um versäumte Erziehung und (Berufsaus-)Bildung nachzuholen. 7 In Zeiten zunehmender Verarmung und sozialer Verelendung haben wir es zudem häufiger mit (jungen) Menschen zu tun, die glauben, nichts mehr zu verlieren zu haben. Solche Menschen sind meist weder durch die Androhung hoher Freiheitsstrafen noch durch Androhung hoher Schmerzensgeldforderungen oder sonstiger Übel zu beeindrucken. Angesichts zunehmender Obdachlosigkeit in Deutschland verliert der »Knast« unter dem Gesichtspunkt, dass er ein Dach über dem Kopf und Verpflegung sichert, ohnehin an Schrecken.

3. Die mit einem hohen Anteil bei Hasskriminalität beteiligten Jungtäter würden von der Gesetzesinitiative meist nicht betroffen.

Die Gesetzesinitiative sieht keine Änderung des Jugendgerichtsgesetzes (JGG) vor. Sie würde sich also direkt nur bei Heranwachsenden (18-20 Jahre alt) auswirken, auf die das Erwachsenenstrafrecht angewendet wird. Das ist nur der Fall, wenn bei ihnen Reiferückstände ausgeschlossen werden können (§ 105 JGG). Im Übrigen ist der maßgebliche Gesichtspunkt im Jugendgericht der Erziehungsgedanke, egal wie schwer das begangene Verbrechen ist. Jugendstrafe darf nur verhängt werden, »wenn wegen der schädlichen Neigungen des Jugendlichen, die in der Tat hervorgetreten sind, Erziehungsmaßregeln oder Zuchtmittel zur Erziehung nicht ausreichen oder wenn wegen der Schwere der Schuld Strafe erforderlich ist« (§ 17 ABS 2 JGG).

Bei Mehrfach- und Intensivtätern oder bei schwerwiegenden Delikten liegen diese Voraussetzungen zwar meist vor. Gegen bislang wenig auffällige Jungtäter (14-17 Jahre und 18-20 Jahre bei Reiferückständen) wird wegen Hasskriminalität im unteren Bereich (z.B. Androhung von Schlägen wegen schwarzer Hautfarbe) und im mittleren Bereich (z.B. Zusammenschlagen wegen schwarzer Hautfarbe mit Verletzungen, die nach ca. einer Woche folgenlos verheilen) hingegen nur ausnahmsweise auf eine Jugendstrafe erkannt werden dürfen. Das folgt auch daraus, dass das Mindestmaß der Jugendstrafe sechs Monate beträgt.

Anders als im Erwachsenenstrafrecht dürften bei Jungtätern also weniger schwerwiegende Delikte nicht mit einer kurzen Freiheits- bzw. Jugendstrafe (unter sechs Monaten) geahndet werden. Ebenso wenig ist es möglich, die Vollstreckung einer erkannten Jugendstrafe bei Hasskriminalität nur ausnahmsweise zur Bewährung auszusetzen. Nach § 21 ABS 1 JGG muss der Jugendrichter die Vollstreckung einer Jugendstrafe von nicht mehr als einem Jahr zur Bewährung aussetzen, wenn der Jungtäter eine positive Sozialprognose hat.

Ergebnis zu II: Die Umsetzung der Gesetzesinitiative hätte sicherlich eine generalpräventive Bedeutung und Vergeltungsfunktionen für betroffene Opfer, wäre aber kein adäquates und kein wirksames Mittel zur Bekämpfung von Hasskriminalität.

II. Gibt es wirksamere Mittel zur Bekämpfung von Hasskriminalität als die Verhängung von Freiheitsstrafen?

Ja. Das setzt folgendes voraus:

1. Wahrnehmung von Hasskriminalität als Spiegelbild gesamtgesellschaftlicher Zerfallsprozesse.

2. Wahrnehmung von Hasskriminalität als Hilfeschreie nicht wahrgenommener und intellektuell, emotional, mental sowie physisch vernachlässigter und unterforderter Menschen.8 /h3>
So resümierte etwa der Kieler Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Gerd Schütze, der seit Anfang der neunziger Jahre in einer Vielzahl von Verfahren mit rechtsextremen Hintergrund forensisch-psychiatrische Gutachten erstattet hat: Überwiegend handelt es sich um schwache Persönlichkeiten mit »deutlichen Unreifezeichen«, »unterdurchschnittlicher intellektueller Leistungsfähigkeit und mit »schweren Sozialisationsstörungen«, die »Orientierung« »ganz offensichtlich in randsozialen Gruppierungen mit dem entsprechend rechtsradikal orientierten Gedankengut« suchen. 9

3. Gesellschaftspolitische Reaktionen auf die Ursachen von Hasskriminalität durch Anwendung eines funktionierenden multifaktoriellen Erziehungs- und Bildungskonzeptes, wie etwa die Rechtspädagogik. 10

Die entscheidenden Elemente der – in allen Entwicklungsphasen des Menschen anzuwendenden – Rechtspädagogik sind Empathie/Liebe, Vernunft, Dynamik. Zu den grundsätzlichen Bildungs- und Erziehungsregeln, die sich an der Systematik der internationalen Menschenrechtskonvention orientieren, gehören

  • die Gebote der Liebe, der Selbstachtung, der Achtung jedes anderen Menschen und jeder anderen Kreatur;
  • Bildung und Erziehung zur Mündigkeit (vom Objekt zum Subjekt), zur Verantwortung für sich und andere (Fürsorge- und Präventionsverantwortung, also Hinschauen, wenn ein anderes Kind misshandelt wird; Folgenverantwortung, also Schadenswiedergutmachung schon als Kind);
  • Übungen zur historischen, gegenwärtigen und künftigen Identität, sowie motivierende Übungen.

Neben dem (rechts-)philosophischen, psychologischen, pädagogischen, ökologischen, ökonomischen und technischen Stand der Wissenschaften werden auch die aktuelle Hirn- und Verhaltensforschung berücksichtigt. 11 Danach ist es u.a. nicht zielführend, einem Menschen, der sich ohnehin schon zu den Ohnmächtigen der Gesellschaft zählt, weiterhin seine Defizite aufzuzählen, ohne mit ihm seine Stärken zu erarbeiten und zu versuchen, seine (noch so kleinen) Fähigkeiten zu optimieren. Fast jeder Mensch hat irgendwo Stärken, die er in die Gesellschaft einbringen und dadurch Anerkennung erfahren kann.

4. Individuelle Langzeitprogramme in ambulanten und stationären Jugendhilfeeinrichtungen sowie in der JVA

Soll die Arbeit mit extremen Gewalttätern erfolgreich sein, müssten Justizvollzugsanstalten zu Bildungs- und Erziehungsstätten auch für Erwachsene umstrukturiert werden. Dort ist es notwendig, mit ausreichend psychologisch, (rechts-)pädagogisch, historisch, interkulturell und juristisch geschultem Personal bei Verurteilten systematisch und konsequent versäumte Erziehung und Bildung nachzuholen sowie Anti-Hassprogramme, Maßnahmen zur Identitätsfindung und zur Motivation guter Taten im interkulturellen Kontext sowie Kompetenz- und Konsequenztraining durchzuführen. Dabei sind im Rahmen des »Human-Law-Prinzips« unabdingbar:

  • Hassabbau und Aktivierung von Selbstheilungskräften durch Identitätsfindung.
  • Motivierung und Sensibilisierung zum Erfolg durch gute Taten in der interkulturellen Gesellschaft.
  • Entwicklung von Selbstbewusstsein durch begleitendes Kompetenz- und Konsequenztraining auf dem Weg in den neuen Alltag, bis es sich verfestigt hat.

5. Beispiele für erfolgreiches Arbeiten gegen Hasskriminalität auf rechtspädagogischer Basis im Zusammenhang mit der strafrechtlichen Hauptverhandlung

a) Rechtspädagogische Ansätze in der Hauptverhandlung

»Hinter dem Horizont kann es weiter gehen, wenn du dich für deine Vergangenheit verantwortlich zeichnest, sie mit Anstand abwickelst und dich in Zukunft anstrengst. Nimmst du diese ›zweite Chance‹ nicht wahr, dann trägst du auch die Konsequenzen«, lautet seit gut zehn Jahren das Motto in der großen Jugendstrafkammer des Landgerichts Cottbus. Neben der juristischen Aufarbeitung der Tat werden beim Angeklagten angestrebt:

  • Empathie mit dem Opfer durch eine fundierte Entschuldigung und die Verpflichtung zur Schadenswiedergutmachung (z.B. gerichtlicher Vergleich)
  • Selbstkritische Betrachtung seiner gesamten Lebensumstände
  • Wille, sich erreichbare Lebensziele zu setzen und ihre Umsetzung anzustreben, auch wenn es mit einer grundsätzlichen Änderung seiner Lebensgewohnheiten und seines Freundeskreises verbunden ist.

Es wird versucht, dem jeweiligen Betroffenen Mut zu machen, diesen Weg zu gehen, selbst wenn er zuvor noch eine (längere) Haftstrafe verbüßen muss. Geht es um ein Delikt aus der Hasskriminalität, wird in geeigneten Fällen der in unserer Kammer entwickelte sogenannte Interkulturelle Täter-Opfer-Ausgleich im Gerichtssaal durchgeführt. 12 Das Hauptziel ist es, dass der angeklagte rechte Schläger und sein fremdländisches Opfer lernen, sich direkt miteinander zu unterhalten. Kommunikation als Mittel zur Deeskalation von Aggressionen und zur Erweiterung des Weltbildes, dass schwarze Menschen nicht »Abschaum« sondern Menschen auf mindestens gleicher Augenhöhe sind; ist für viele rechte Täter ein echtes Aha-Erlebnis.

Das Erreichen der emotionalen Ebene als Basis für künftige Empathiefähigkeit

Gewalttäter sind in der Regel nur auf emotionaler Ebene erreichbar. Das gelang z.B. in einer Berufungshauptverhandlung. Der Angeklagte mit einem verfestigten rechten Weltbild hatte einen Schwarzafrikaner wegen dessen Hautfarbe brutal zusammengeschlagen. Der Schwarze fragte den Angeklagten im voll besetzten Gerichtssaal: »Du hast ein kleines Kind und ich habe ein kleines Kind. Kannst du dir vorstellen, das unsere Kinder Freunde werden?« Alle Anwesenden spürten, wie diese Sätze selbst den hart gesotten gebenden Angeklagten in der Seele trafen. Der Angeklagte schrieb im Rahmen seiner Bewährungsauflage einen eindrucksvollen Aufsatz, der Zeugnis von der inneren Auseinandersetzung abgibt, die der Angeklagte mit sich geführt haben muss. Genau das aber, ist das Ziel, wollen wir junge Menschen erreichen, von denen oft gesagt wird, dass sie nicht mehr erreichbar seien.

b) Rechtspädagogische Ansätze außerhalb der Hauptverhandlung

Im Jahr 1999 hat unsere Jugendstrafkammer einen freiwilligen »Crashkurs vor der Hauptverhandlung« ins Leben gerufen. Dieser wurde in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Lausitz und dem Cottbuser Jugendrechtshaus von der Hochschullehrerin Erika Kraszon-Gasiorek weiter entwickelt und trägt den entscheidenden Untertitel »Auf der Suche nach Identität«. In diesem auf rechtspädagogischer Basis entwickelten und ausgereiften Projekt für Mehrfach- und Intensivtäter gelingt es seit Jahren, die Rückfallquote von sonst über 70 Prozent auf unter acht Prozent zu reduzieren. Das Projekt wird vom brandenburgischen Ministerium der Justiz anerkannt und im Rahmen des Programms Haftvermeidung durch soziale Integration mit EU-Mitteln gefördert. Es führt zu einer Kostenersparnis von 47.000 € bei der Annahme einer Einsparung von nur zwei Haftplätzen im Jahr. Dies ergab eine Evaluation durch die Fachhochschule Lausitz. 13

Ergebnis zu III: Es gibt wirksamere Mittel zur Bekämpfung von Hasskriminalität als die bloße Verhängung höherer Freiheitsstrafen. Nur wenn jeder rechtsextreme oder sonst vergleichbare Übergriff intensiv betreut wird, kann die Rückfallgefahr realistisch gesenkt werden.

Gesamtergebnis

Die Umsetzung der Gesetzesinitiative zur wirksameren Bekämpfung von Hasskriminalität wäre wenig sinnvoll, da sie rechtlich nicht unbedenklich (I.) ist, da sie kein wirksames Mittel zur Bekämpfung von Hasskriminalität wäre (II.) und da es wirksamere Mittel zu deren Bekämpfung gibt (III.).

Fußnoten

1 vgl. Sigrun v. Hasseln, Jugendrechtshäuser als Module für die innere Sicherheit des freiheitlichen Rechtsstaates im 21. Jahrhundert. Neue Wege in der Prävention auf rechtspädagogischer Basis oder: Das Human-Law-Prinzip, in: Bundesministerium des Innern, Theorie und Praxis des gesellschaftlichen Zusammenhalts, Berlin 2008, S. 261-290.

2 vgl. Arthur Kaufmann, Rechtsphilosophie, 2. Aufl. München 1997, S. 163.

3 Im Einzelnen: Sigrun v. Hasseln, »Ist das deutsche Jugendstrafrecht zu lasch?« Vortragsmanuskript, Tagung »Mehrfachtäter«, Evangelische Akademie Bad Boll 17.-19.1.2003. Dies.: »Umgang der Justiz mit adoleszenter Gewalttätigkeit. Strafe als ultima ratio der Gesellschaft?« Vortragsmanuskript, Zentrum für Antisemitismusforschung, Technische Universität Berlin, 5.7.2001.

4 Ingrid Müller-Münch, Biedermänner und Brandstifter. Fremdenfeindlichkeit vor Gericht. Bonn 1998, S. 243-246; mit Hinweis auf eine Diplomarbeit von Berit Aston sowie auf: Wilhelm Heitmeyer und Joachim Müller, Fremdenfeindliche Gewalt junger Menschen. Biografische Hintergründe, soziale Situationskontexte und die Bedeutung strafrechtlicher Sanktionen, Bad Godesberg 1995.

5Sigrun v. Hasseln, Wenn Bettnässer Weltpolitik machen, in: Betrifft JUSTIZ, 2000, Nr. 63, S. 304 ff.

6vgl. Martin Brandenstein, »Auswirkungen von Hafterfahrungen auf Selbstbild und Identität von fremdenfeindlichen jugendlichen Gewalttätern«, Dissertationsprojekt, Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht.

7 vgl. Figen Özsöz, »Auswirkungen von Jugendhaft auf rechtsextremistische Orientierungsmuster jugendlicher Gewalttäter, Dissertationsprojekt, Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht«. In Bezug auf sozial-institutionelle Einflussgrößen werden sowohl formelle (z.B. Vollzugsform, Anstaltsgröße, Förderangebote) als auch informelle Strukturen (z.B. Subkulturbildung, Gruppenkonflikte, Anstaltsklima) des Vollzugs analysiert. Hinterfragt wird der Umgang der Anstaltsleitung und der Bediensteten mit fremdenfeindlichen Konflikten und rechtsextremen Straftätern, etwa welche Regeln und Strategien Anstalten entwickeln, um fremdenfeindliches Verhalten zu unterbinden. Untersucht wird auch, welche Kontakte junge Gefangenen außerhalb des Vollzugs unterhalten und ob Beziehungen zu rechtsextremen Freundescliquen oder Organisationen gepflegt werden. Vgl. auch: Figen Özsöz, Rechtsextreme Gefangene im Strafvollzug – Ein Überblick, in: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform, 2007, Heft⁄Band 1/90, S. 30-47.

8vgl. u.a. Sigrun v. Hasseln. Wenn Bettnässer Weltpolitik machen, in: Betrifft JUSTIZ, 2000, Nr. 63, S. 304 ff.

9Z.B. Prof. Gerd Schütze, Kinder- und Jugendpsychiater Kiel, Gutachter in Hünxe (1991), Hoyerswerda (1991), Wuppertal (1992), Rostock (1992), Neuss (1992), Solingen (1993), Hattingen (1993), Lübeck (1994 und 1996) und Cottbus (1999), zitiert in: Sigrun v. Hasseln, Wenn Bettnässer Weltpolitik machen, in: Betrifft JUSTIZ, 2000, Nr. 63, S. 304 ff.

10Sigrun v. Hasseln (Hg.), Rechtspädagogik. Von der Spaß- in die Rechts- und Verantwortungsgesellschaft, Berlin 2006.

11Vgl. zu aktuellen Erkenntnissen der Hirnforschung z.B. Daniel Strüber, Monika Lück und Gerhard Roth, Tatort Gehirn, in Gehirn und Geist, Nr. 09/2006, 2006, S. 44-52. Ralf Caspary, Das Ich und sein Gehirn – Revolutioniert die Hirnforschung das Menschenbild? Manuskript, SWR 2 Wissen, Stuttgart 2004. sowie: Klaus-Jürgen Grün, Michel Friedman und Gerhard Roth (Hg.), Entmoralisierung des Rechts. Maßstäbe der Hirnforschung für das Strafrecht, Göttingen 2008. In der Praxis werden diese meist noch nicht beachtet; allenfalls auf Antrag im Strafprozess (z.B. 23 Kls 37/06 LG CB > Mord nach Killerspielen) und vereinzelt in der Psychiatrie. Auch in der »Pedagogy of Human Law« können diese Erkenntnisse im Alltag noch nicht berücksichtigt werden, weil sie eine freiwillige Untersuchung des Betroffenen voraussetzen würden. Eine Pädagogik muss zukünftig aber auch diese Faktoren mit einbeziehen, um wirksam zu sein.
fn11. Sigrun v. Hasseln, Vom Fremdenhaß zur Toleranz. Interkultureller Täter-Opfer-Ausgleich, in: Neue Justiz, 2002, Nr. 56, S. 182-184.

12Erika Kraszon-Gasiorek, in: Sigrun v. Hasseln (Hg.), Rechtspädagogik. Von der Spaß- in die Rechts- und Verantwortungsgesellschaft, Berlin 2006.

13 Vgl. Bundesverband der Jugendrechtshäuser Deutschland (Hg.), Dokumentation der 1. Potsdamer Fachkonferenz. »Ein Bündnis zwischen Bildung und Justiz gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit«, 2003, Und: Bundesverband der Jugendrechtshäuser Deutschland (Hg.), Dokumentation der 2. Potsdamer Fachkonferenz »Ein Bündnis zwischen Bildung und Justiz zur Erarbeitung von Bildungs- und Erziehungsstrukturen«, 2005.

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