Die volle Härte des Gesetzes

Opfer schwerer Gewalttaten leiden oft unter Angstzuständen, Schlafstörungen und Depressionen. Gelingt es nicht, diese Verletzungen zu überwinden, kann sich eine posttraumatische Belastungsstörung herausbilden, die nur durch eine langfristige Therapie bearbeitet werden kann. Für den Therapieerfolg sind stabile Lebensverhältnisse, soziale Bindungen und Zukunftsperspektiven die Voraussetzungen. AsylbewerberInnen haben es deshalb besonders schwer, Gewalterfahrungen zu verarbeiten. Das Leben, in das sie zurückkehren könnten, empfinden sie oft als ein Kontinuum von Ausgrenzung, das die erlittene Gewalt zu bestätigen scheint.

Durch die strengen Gesetze bedingt, wird eine erdrückende Mehrheit der Asylbegehren abgelehnt. Dadurch leben mindestens 200.000 Flüchtlinge in einem rechtlichen Niemandsland, die meisten bereits über fünf Jahre: Sie werden »geduldet«, bis sie abgeschoben werden können. In abgelegenen Heimen untergebracht, dürfen sie weder arbeiten, noch haben sie Anspruch auf reguläre Sozialhilfe. Den ihnen zugewiesenen Landkreis dürfen sie nicht verlassen. as für die Behörden Routine ist, stellt für die Betroffenen eine unzumutbare Härte dar, so die einhellige Meinung der Kirchen und Gewerkschaften, von Juristenvereinigungen und Wohlfahrtsverbänden, die mit Pro Asyl eine Bleiberechtsregelung fordern.

Verwaltung und Justiz könnten vieles tun, um Opfern rassistischer Gewalt, die in diesen Verhältnissen leben müssen, zu helfen; umso deprimierender ist es, wenn sie die Folgen der Gewalt noch verschlimmern. Geradezu verheerend etwa wirkt es auf die Opfer, wenn Behörden und Gerichte ihre psychischen Erkrankungen bestreiten. Regelmäßig werden fachärztliche Diagnosen von in der Materie völlig unqualifizierten BeamtInnen als Gefälligkeitsgutachten gewertet. So klagte Ziad A., der seit einem rechtsextremen Angriff depressiv und suizitgefährdet ist, auf Verlängerung seiner Duldung. Für das Berliner Verwaltungsgericht aber war »nicht erkennbar, warum diesbezüglich eine weitere ärztliche Behandlung im Bundesgebiet notwendig ist, zumal als Genese der posttraumatischen Belastungsstörung ein Überfall durch Rechtsradikale in Deutschland geschildert wird und deshalb der Umstand weiteren Verbleibens gerade hier der Therapie nicht förderlich sein dürfte.«

Die Politik könnte sicherstellen, dass die Opfer rassistischer Gewalt Unterstützung erfahren. Umso deprimierender ist es, wenn menschenverachtende Verwaltungsakte für Recht befunden werden. Khaled B., der die Hetzjagd von Guben überlebte, bei der Farid Guendoul ums Leben kam, wurde eine Aufenthaltsbefugnis mit der Begründung verweigert, durch seine Traumatisierung werde er nicht in der Lage sein, sich zu integrieren. Als der Brandenburgische Innenminister Jörg Schönbohm deshalb unter massiven Druck geriet, dem Opfer ein Bleiberecht zu gewähren, erklärte er schlicht: Der Fall wird »nach den Maßgaben von Recht und Gesetz gehandhabt.«

Dass Opfer die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen, ist bislang die gängige Praxis in Brandenburg. Der Innenminister, Landesvorstand einer christlichen Partei, dokumentiert dies eindrücklich, indem er Familien durch Polizeigewalt den Kirchengemeinden entreißen lässt, die ihnen Asyl gewähren. Die Kirchen, der Flüchtlingsrat und das vom Land initiierte Aktionsbündnis gegen Gewalt, Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit wollen dem Innenministerium seit Jahren eine beratende Härtefallkommission zur Seite stellen. Aber anders als in Berlin und Schwerin, wo solche Gremien längst bestehen, hält man in Potsdam die Nöte der Betroffenen für eine Bundesangelegenheit.

Im Juli 2003 kündigte Justizministerin Barbara Richstein an, den Opferschutz weiter auszubauen und sprach gar von einem »Paradigmenwechsel.« Das ist dringend erforderlich, und es ist möglich: Eine Aufenthaltsbefugnis für Orabi Mamavi, der zwei Mal von Rechtsextremisten zusammengeschlagen wurde, wäre ein notwendiges Zeichen. Ein Paradigmenwechsel wäre es, wenn das Land den Opfern rassistischer Gewalt durch eine Bleiberechtsregelung die Sicherheit und den Schutz gewährte, die ihnen bislang regelmäßig verwehrt werden.

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