Irgendwann in diesem Jahr, der genaue Termin steht noch nicht fest, wird es vor dem Landgericht Cottbus zur Revisionsverhandlung gegen den Täter kommen. Die Auseinandersetzung über Falko Lüdtkes Tod geht weiter. Wir möchten dazu einen Beitrag leisten, indem wir die Fakten darstellen, wie sie das Gericht bisher festgestellt hat, und sodann einige Überlegungen zum rechtsextremen Charakter der Tat anstellen. Nur wenn wir zu begreifen versuchen, was damals wirklich geschah und warum es geschah, nur dann können wir die Hoffnung haben, dass es nicht wieder geschieht. Auseinandersetzung tut Not.
Die Tat
Eberswalde, 31. Mai 2000. An einer Bushaltestelle trifft Falko Lüdtke auf Mike Bäther, von dem er wusste, dass er der rechten Szene in Eberswalde angehört und auf dem Hinterkopf ein etwa acht Zentimeter großes Hakenkreuz-Tattoo trägt. Falko Lüdtke stellt Bäther deshalb zur Rede. Beide steigen in einen Bus ein, wo sie die verbale Auseinandersetzung über die Gesinnung Bäthers weiterführen. An der Haltestelle »Spechthausener Straße« verlassen beide den Bus. Bäther fordert Falko Lüdtke mehrfach auf, auf den Hinterhof des Hauses Spechthausener Straße Nr. 5 zu kommen, um dort ein Bier zu trinken. Was geschah, als Falko Lüdtke ablehnte, beschreibt das Landgericht Frankfurt (Oder) wie folgt:
»Nunmehr begab sich der Angeklagte zum Falko Lüdtke, um tätlich gegen diesen vorzugehen. Er begann ihn zu schubsen und mit der Faust zu schlagen. Daraufhin verteidigte sich Falko Lüdtke, indem er den Angeklagten zurückschubste und -schlug. Während des Handgemenges bewegten sich beide zunehmend in Richtung Straße – der Angeklagte letztlich mit dem Rücken zum Wohnhaus und Falko Lüdtke mit dem Rücken zur Straße stehend -. (…) Als der Angeklagte und Falko Lüdtke in der 3,1 m breiten Bustasche – am Rand zur Fahrbahn – standen, versetzte der Angeklagte, der in Richtung Straße blickte, dem mit dem Rücken zur Fahrbahn stehenden Falko Lüdtke einen Schlag auf den Brustkorb (›Tintenkasten‹). Falko Lüdtke verlor dadurch das Gleichgewicht und stolperte – sich zwei Schritte rückwärts bewegend – auf die Straße.«
Falko Lüdtke wird von einem Taxi erfasst und verstirbt noch am selben Abend an seinen Verletzungen.
Aufgrund dieses Tathergangs hat das Landgericht Frankfurt (Oder) den Angeklagten Mike Bäther u.a. wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das Gericht kommt in seinem Urteil zu dem Ergebnis, dass Bäther der rechten Szene zuzuordnen sei. Es gründet diese Annahme auf die Hakenkreuz-Tätowierung und stellt fest: »Mit dem Tragen eines solchen, durch die Tätowierung immer präsenten Symbols auf einem den Blicken ausgesetzten Körperteil, wird eine Gesinnung zur Schau getragen.« Und: »Wenn man nichts unternimmt, um die Tätowierung nicht öffentlich bekannt zu machen, bekennt man sich zu dem faschistischen Symbol mit allen Konsequenzen und trägt auch die Verantwortung, selbst der, der unter Umständen nur ein Mitläufer ist.«
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Das Gericht hatte sich weiter mit der Frage zu beschäftigen, ob das Verhalten Falko Lüdtkes – wie von der Verteidigung vorgebracht – als Provokation des Angeklagten zu werten sei. Hierzu stellt die urteilende Kammer eindeutig fest: »Nach Auffassung der Kammer stellen das Ansprechen des Angeklagten durch Falko Lüdtke im Hinblick auf die Hakenkreuz-Tätowierung und seine diesbezüglich erfolgte ›Agitierung‹ keine Provokationen, sondern Zivilcourage, dar, denn dabei handelt es sich um berechtigte Vorbehalte.« Trotz dieser Feststellungen sah sich das Gericht nicht in der Lage, die Motivation des Angeklagten endgültig zu klären. So heißt es in dem Urteil:
»Das Motiv des Angeklagten, warum er nach dem Aussteigen aus dem Bus gegen Falko Lüdtke tätlich vorgegangen ist, konnte in der Hauptverhandlung nicht geklärt werden. Eine dritte Person, die als Zeuge hätte aussagen können, war nicht zugegen und der Angeklagte hat in der Hauptverhandlung von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht. Letztlich hat ein der rechten Szene Zugehöriger gegen einen andersdenkenden Gewalt ausgeübt. Jedoch handelt es sich dabei nicht um einen herkömmlichen Fall, denn der Angeklagte ist nicht planmäßig gegen einen Andersdenkenden vorgegangen.«
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Das Gericht hat ausgeschlossen, dass Mike Bäther hinsichtlich des Todes von Falko Lüdtke vorsätzlich gehandelt hat. Da der Angeklagte geschwiegen hat und weitere Zeugen fehlten, musste sich das Gericht auf den Tathergang stützen, um auf das Vorliegen eines Tötungsvorsatzes zu schließen. Es argumentiert, dass sich Bäther im Vorfeld ruhig und verhalten reagierte. Deshalb schloss das Gericht einen Tötungsvorsatz aus und bewertet das Geschehen als Spontantat. Diese Entscheidung ist aus juristischer Sicht nicht zu kritisieren. Zumindest der Grundsatz »Im Zweifel für den Angeklagten« stand hier einer Vorteilung wegen Totschlag oder gar Mord eindeutig entgegen. Ob dieses juristisch korrekte Ergebnis auch der Wahrheit entspricht, weiß nur Mike Bäther selbst.
Der Bundesgerichthof hat den Schuldspruch des Landgerichts Frankfurt (Oder) nun dahin geändert, dass Mike Bäther nicht der fahrlässigen Körperverletzung mit Todesfolge, sondern der fahrlässigen Tötung schuldig ist. Außerdem wurde der Strafausspruch aufgehoben. Die Feststellungen des Landgerichts zum Tatverlauf etc. bleiben von der Entscheidung des Bundesgerichtshof jedoch unberührt.
Der Bundesgerichtshof (BGH) stellt in seinem Beschluss fest, dass der von Mike Bäther ausgeführte Schlag vor den Brustkorb nicht den Tatbestand der Körperverletzung erfüllt, da das Gericht keine näheren Feststellungen zu den Auswirkungen dieses Schlages getroffen hat. Die Entscheidung des BGH kann jedoch nichts an der Gesamtbewertung des Tatgeschehens ändern. Nach wie vor steht fest, dass Mike Bäther Falko Lüdtke tätlich angegriffen hat und dessen Tod die unmittelbare Folge dieses Verhaltens ist. Die Tat war kein tragischer Unglücksfall, sondern ein vorsätzlich geführter Angriff mit tödlichem Ausgang.
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War die Tat eine rechtsextreme Tat? Diese Frage ist ebenso umstritten wie der Begriff einer rechtsextremen Tat. Bis Ende 2000 verfügte die Polizei über einen sehr eingeschränkten Begriff einer rechtsextremen Tat. Der zu Grunde liegende Extremismus-Begriff bezog sich auf das Modell einer Partei oder politischen Gruppierung, die die staatliche Ordnung stürzen will. Juristisch gefasst wurde der Begriff in den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts zum Verbot der nazistischen »Sozialistischen Reichspartei« 1953 und der KPD 1956. Darin wird Extremismus als Bestrebungen definiert, die »freiheitlich demokratische Grundordnung« zu beeinträchtigen oder zu beseitigen. Sieben Essentials des Grundgesetzes werden bestimmt, sechs betreffen den Staatsaufbau, nur das siebte Essential die Menschenrechte. Wendet man einen solchen Extremismusbegriff auf Taten an, dann fallen unter »rechtsextremistisch motivierte Straftaten«, die 1. politisch bestimmt, 2. ziel- und zweckgerichtet und 3. aus einem extremistischen Personenzusammenschluss heraus ausgeführt werden. Eine rechtsextremistisch motivierte Tat war nach dieser Definition eine solche, bei der der Täter im Auftrag einer Organisation einen Angriff mit dem Ziel der Systemüberwindung ausführte.
Es ist offensichtlich, dass die aller meisten rassistisch motivierten Gewalttaten aus diesem Begriff herausfielen. Als Hilfskonstruktion führte daher die Polizei seit 1992 neben den klassischen »Staatsschutzdelikten« die Kategorien »fremdenfeindlich bzw. antisemitisch motivierte Straftaten«, die aber nach dem alten Extremismusbegriff nicht rechtsextrem waren. Rassistische Täter konnten also Menschenrechte wie das Recht auf körperliche Unversehrtheit oder das Gleichheitsprinzip verletzten, ohne dass diese Taten als politisch gewertet wurden.
Bewegung kam in die Diskussion im September 2000 mit der Veröffentlichung einer Liste rechtsextremer Morde nach der Wende im Tagesspiegel_ und der _Frankfurter Rundschau. Gegenüber den offiziellen 25 Morden führte die Chronik 93 Todesopfer auf, darunter auch Falko Lüdtke. Als Reaktion auf die Veröffentlichung ordnete das Bundesinnenministerium eine Nachrecherche der angegebenen Fälle an und erließ neue Erfassungskriterien. Der alte Begriff der extremistisch motivierten Staatsschutzdelikte ist seit Januar 2001 vom Begriff »politisch motivierte Kriminalität« abgelöst. Der wichtigste Unterschied ist, dass eine Absicht zur Systemüberwindung nicht mehr Ausschlag gebend ist. Mit den neuen Kriterien stieg die offizielle Zahl der Todesopfer auf 37, noch weit entfernt von den 93 der Zeitungsliste. Falko Lüdtkes Tod wird im »Ersten Periodischen Sicherheitsbericht« der Bundesregierung von Juli 2001 als politisch motivierte Straftat aufgeführt.
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Zentral bei dieser Zuordnung von Falko Lüdtkes Tod ist die Tatsache, dass das Opfer einer »typischen Feindgruppe« der Rechtsextremisten angehörte, nämlich der Gruppe der Punks und Linken. Politisch motiviert ist eine Gewalttat schon dann, wenn das Opfer wegen seiner tatsächlichen oder vermeintlichen Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe angegriffen wird, die als Feinde definiert werden. Politisch motiviert ist ein Angriff auch dann, wenn andere Motive eine Rolle gespielt haben, aber das Feindbild Linke und Punks für die Eskalation des Konflikts mitverantwortlich war.
Es sei hier am Rande darauf hingewiesen, dass Punks und Linke vor allem aus zwei Gründen von Rechtsextremen angegriffen werden. Einerseits sind sie politische Gegner, die aus der nazistischen Tradition des Antikommunismus heraus bekämpft werden. Andererseits wird ihre Lebensweise – ähnlich der von Obdachlosen – aus sozialdarwinistischen Gründen abgelehnt. Das rechtsextreme Feindbild Punk ist das genaue Gegenteil des ordentlichen strammen Deutschen; Punks seien dreckig, würden kiffen und seien arbeitsscheu und undiszipliniert. Viele Rechte reagieren instinktiv allergisch auf das Erscheinungbild von Punks, aber nicht nur Angehörige der rechtsextremen Szene reagieren so. Die Ablehnung kommt aus der Mitte der Gesellschaft.
Die neuen Erfassungskritierien der »politisch motivierten Straftaten« sind ein Fortschritt, wird nunmehr das Ausmaß der rechten Gewalt weniger verharmlost und einzelne Taten weniger vertuscht. Mit der Einordnung als politisch motivierte Straftat wird der Blick auf die dahinter stehende Ideologie und die ideologischen Feindbilder gelenkt. Die Straftat wird nicht mehr nur als individuell bedingtes Verbrechen, sondern als Teil des politischen Problems erfasst: der Existenz einer rassistischen und rechtsextremen Bewegung.
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Aber noch wirken die herkömmlichen Verdrängungsformen. Einerseits wird der Tod von Falko Lüdtke als typische Schlägerei zwischen Angehörigen rivalisierender Jugendbanden verharmlost. Grundlegend sei eine unpolitische Lust auf Gewalt, die nur nachträglich politisch bemäntelt würde. Schuld treffe beide Kontrahenten. Daran schließt sich meist eine Klage über angeblich zunehmende Gewaltbereitschaft und Werteverfall in der Jugend an. Andererseits wird Falko Lüdtkes Tod als unglücklicher Unfall hingestellt und so ebenfalls entpolitisiert. Diese Entpolitisierung erlaubt es, sich selbst zu beruhigen und untätig zu bleiben. Das Motiv für diese Verdrängung dürfte die Angst vor einem Imageschaden der Kommune sein, die nicht noch einen rechten Mord nach Amadeu Antonio wahrhaben will, und die alltägliche Distanz der Mehrheit zur Szene der Linken und Punks.
Bei der Frage der Anerkennung von Falko Lüdtkes Tod als politisch motiviert spielt der Konflikt zwischen rechter und linker Szene eine wichtige Rolle. Für die Mutter von Falko wie für seine Freunde und Bekannten war der Tod ein persönlich extrem schmerzhafter Verlust, für die Szene der Punks und Linken in Eberswalde war Falkos Tod darüber hinaus ein Symbol für ihre Situation: Von Rechtsradikalen werden sie angegriffen, weil sie sich wie Falko nicht mit der Existenz einer rechten Szene abfinden, sondern aktiv dagegen vorgehen. Das Gericht nannte diese Haltung Zivilcourage. Falkos Tod zeigte auch, dass die rechten Angriffe tödlich sein können. Und die Reaktion der Mehrheit macht die Ausgrenzung und Verachtung der eigenen Szene deutlich. Die Entwertung der Tat als unpolitische Jugendschlägerei ist damit auch eine Abwertung der Haltung gegen Rechts, wie sie von vielen Punks und Linken vertreten wird.
Die Anerkennung von Falkos Tod als vom politischen Feindbild Punks und Linke (mit-)motiviert könnte den alltäglichen Konflikt, in dem Punks und Linke stehen, neu zum Thema machen. Ansonsten bleiben sie »vernachlässigte Opfer«. Das Gerichtsurteil legte dafür einen Grundstein: »Letztendlich hat ein der rechten Szene Zugehöriger gegen einen Andersdenkenden Gewalt ausgeübt.«
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Durch das Revisionsverfahren kommen auf die Nebenklage von Falkos Mutter noch Anwaltskosten zu, für die Spenden benötigt werden. Eventuelle Überschüsse werden zur Unterstützung von Opfern rechtsextremer Gewalt verwendet. Spenden bitte an:
Jugend- und Kulturverein Exil e.V.
Stichwort »FALKO«
Konto-Nr. 316 001 25 21
Sparkasse Barnim
BLZ 170 520 00
Aktuelles Angriff, Frankfurt (Oder), Linke, Todesopfer