In Guben, einer Kleinstadt an der deutsch- polnischen Grenze, wurde im Februar 1999 Farid Guendoul bei einer »Ausländerjagd« getötet. Der Algerier verblutete aufgrund der Schnittverletzungen, die er sich bei dem Versuch, sich durch eine Glastür in einen Hauseingang zu retten, zugezogen hatte. Elf Angeklagte wurden in einem Verfahren, das bis zum Bundesgerichtshof ging, der versuchten Körperverletzung mit Todesfolge schuldig gesprochen. Für Empörung sorgte, dass die meisten Täter mit Verwarnungen und Bewährungsstrafen davon kamen. Ein Gedenkstein, der auf Initiative der Gubener Antifa aufgestellt worden war, wurde mehrmals geschändet. Der seit 2001 amtierende Bürgermeister Hübner (FDP) sah in dem Tod Guendouls lediglich »eine Verkettung unglücklicher Umstände«. Als im Mai 2006 über mögliche »No go-areas« in Ostdeutschland diskutiert wurde, erklärte der Bürgermeister in der ARD-Sendung Christiansen kategorisch, in seiner Stadt gebe es »keine Probleme«. Knapp zwei Wochen später jagten etwa 50 Rechte eine Gruppe alternativer Jugendlicher über das Gubener Stadtfest. »Dem rechten Mainstream Paroli zu bieten« war das Ziel, das sich polnische und deutsche Jugendliche setzten, als sie einige Monate nach dem Tod Guendouls den Internationalen Jugendverein Guben/Gubin gründeten. 2001 fanden sie Vereinsräume und etablierten den Club Sanikasten als offenen Treffpunkt. 2004 wurde das Haus abgerissen, der Treffpunkt zog um. In den neuen Räumen gründete eine kleine Gruppe des Jugendvereins die Anlaufstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt. Ende 2006 aber wurde das Projekt obdachlos: Die städtische Wohnungsbaugesellschaft hatte dem Jugendverein gekündigt.
Als Verein gibt es uns seit 1999. Schon damals haben wir uns wöchentlich getroffen. Wir hatten bei der PDS einen kleinen Raum. Aber wir wollten mehr machen und das ging mit dem Raum nicht. Wenn wir Veranstaltungen planten, mussten wir immer etwas Größeres anmieten. Darum haben wir ein Hausprojekt gestartet, als Begegnungsstätte für Jugendliche, die nicht in die kommerziellen Läden gehen wollen. Im Mai 2004 sind wir in dieses Haus gezogen. Es sind hier Leute aus verschiedenen Szenen dabei, also Hip Hop, Skinheads, Punks, auch aus der autonomen Richtung. Jeder kann hier hingehen, bis auf Menschen, die rassistische Ansichten haben oder nationalistisch eingestellt sind.
Die Nazis machen regelmäßig Kontrollfahrten, um zu gucken, ob draußen welche vor dem Club sitzen. Die werden dann angepöbelt. Einmal wurden auch die Scheiben eingeworfen und Hakenkreuze gemalt, ein Meter groß, an der ganzen Hausfront. Ich wurde an dem Tag, das war ein Montag, so gegen sieben angerufen. Die Polizei war schon vor Ort gewesen und meinte, dass ich das sofort wegmachen soll, weil das verfassungsfeindlich ist. Da habe ich erst mal gefragt, wie sie sich das vorstellen. Die haben so geredet, als ob das jetzt mein Problem wäre. Einige Leute haben dann auch wirklich behauptet, wir hätten das selbst gemacht, um Aufmerksamkeit zu bekommen.
Fakt ist schon, dass ein Großteil der Bevölkerung hier, wenn sie den Club überhaupt kennen, eher eine negative Einstellung zu uns haben. Es heißt eben, dass sich hier die Kiffer treffen, einfach so als Vorurteil. Dabei haben wir ein Drogenverbot. In Guben sind 41 Prozent der Bevölkerung Rentner und wir sehen halt nicht aus wie der liebe kleine Junge von nebenan. Es gibt auch ältere Menschen, unsere direkten Anwohner zum Beispiel, die ganz toll finden, wie wir die Räume managen und die Projekte durchziehen. Aber die Leute, die generell eine Ablehnung gegen was Neues haben, gegen links, die sprechen schlecht über uns.
Dass wir die Anlaufstelle gegründet haben, entstand vor allem aus persönlichen Erfahrungen. Als ich das erste Mal angegriffen wurde, war ich 13 oder 14. Ich wollte nicht zur Polizei und wusste überhaupt nicht, wohin. Meinen Eltern habe ich es auch nicht erzählt. Ich bin dann zu meinem Kumpel. Als die Anlaufstelle in Cottbus aufgehört hat, haben wir uns gesagt, dass wir hier in der Gegend wieder eine Anlaufstelle brauchen. Die jüngeren Leute wissen ja gar nicht, wohin sie sich wenden sollen, wenn etwas passiert. Dir werden überall Steine in den Weg gelegt. Es kam sogar schon vor, dass welche von der Polizei nach Hause geschickt wurden, als sie eine Anzeige machen wollten, weil sie kein Attest dabei hatten. Da denkt man dann: Vielleicht ist es nicht so schlimm, vielleicht mache ich lieber keine Anzeige. Da können wir dann eben ermutigen. Zuerst haben wir Seminare zu dem Thema mitgemacht. Dann bekamen wir eine Förderung von Aktion Mensch und konnten das Projekt starten.
Im Juni war dann die Sache mit dem Stadtfest. Da hatte sich eine Gruppe von so etwa 20 Mann gefunden, Punks, Hip Hopper waren dabei, zumeist jüngere Leute. Die haben die Masse an Nazis gesehen, das waren an die 50, und da versucht man eben, in der Gruppe Schutz zu finden. Die Nazis waren auf der anderen Seite des Stadtfestes und haben da gesoffen.
Zwei bekannte Nazis kamen dann herüber und haben provoziert, zuerst mit Sprüchen und Herumschubsen und dann haben sie einen Jugendlichen mit dem Kopf gegen einen Verkaufswagen geschlagen. Der Security-Dienst hat dieses Mal sogar versucht zu helfen, konnte aber nichts machen, weil sie nur zu dritt waren. Wir haben die Polizei mehrmals gerufen und gesagt, dass wir nicht mehr vom Stadtfest wegkommen. Ich habe dann einen Sanitäter gebeten, auch die Polizei zu rufen. Wenn jemand direkt vom Rettungswagen anruft, dann glauben die das eher. Das ist jetzt meine persönliche Einschätzung. Es kamen immer mehr Nazis dazu, die Leute schlugen. Dann hat jeder versucht wegzurennen. Auf dem Weg wurden die Leute geschlagen. In die, die auf dem Boden lagen, haben die Nazis reingetreten.
Die Anlaufstelle hat den Vorfall in einer Pressemitteilung beschrieben. Daraufhin kam der RBB und hat einen Beitrag gemacht. Die Polizei reagierte, wie man das kennt in dieser Gegend. Das heißt, sie haben gesagt, das waren zwölf alkoholisierte Fußballfans, die zufällig in Guben waren. Als die Opfer am nächsten Tag Anzeige erstatteten, hieß es dann, dass das eine Schlägerei gewesen sei; also, dass beide Seiten schuld waren. Das ging soweit, dass die Opfer öffentlich kritisiert wurden, weil sie erst einen Tag später zur Polizei gingen.
Normalerweise gehe ich nicht auf Stadtfeste. An dem Tag waren wir so viele, da haben wir gedacht, wir könnten mal da rüber schlendern. Aber man kann das einfach nicht machen. Keiner hat die Nazis in ihre Schranken gewiesen. Die Polizei konnte es nicht, der Sicherheitsdienst konnte es nicht. Man war ganz alleine, auf Deutsch gesagt. Das hat viele von uns danach beschäftigt. Meine Eltern waren auch da und haben auch etwas abbekommen, also verbal. Für viele war es wie ein Schlag auf die Fresse zu sehen, dass es wirklich so schlimm ist.
Es gab dann eine Stadtverordnetenversammlung, bei der auch ein Elternteil einer Betroffenen berichtete, was passiert ist, und den Bürgermeister direkt angesprochen hat. Der war ja wenige Tage zuvor bei Sabine Christiansen und hat dort seine, wie soll man sagen, unglückliche Aussage gemacht, dass es in Guben keinen Rechtsextremismus mehr gäbe. Wenn so was wie beim Stadtfest passiert, dann habe ich immer den Eindruck, dass sie in der Stadt denken: Jetzt wird das wieder aufgebauscht; und nicht: Verdammt, jetzt hat es schon wieder einen getroffen. Dass der Bürgermeister sich für uns einsetzt, das ist, glaube ich, zu viel verlangt. Mir würde es schon reichen, wenn er nicht gegen uns arbeiten würde.
Wir lassen uns nicht unterkriegen. Wir stehen dazu, wie wir sind. Es muss ja auch ein Pendant zur rechten Szene geben. Wir sind einfach nicht so die Naturen, die sagen, wegen der Nazis traue ich mich mit meiner Gesinnung oder meinem Aussehen nicht auf die Straße. Wir müssen ja zeigen, dass es auch anders geht.
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