Im Zuge des von Bundeskanzler Gerhard Schröder eingeforderten »Aufstands der Anständigen« im Sommer 2001 werden diese Projekte durch Bundesgelder teilfinanziert. Wir sprachen mit Dominique John, Opferperspektive Brandenburg, und Lorenz Korgel von der Berliner Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus, beide Koordinatoren für den jeweiligen Bereich, über die momentane NPD-Diskussion, das Erstarken der Rechten und die Arbeit ihrer Projekte.
Ihr arbeitet in Projekten, die sich gegen die Aktivitäten von Rechten und Neonazis richten – und zwar mit staatlicher Unterstützung im Rahmen des CIVITAS-Programms. Wie wirken auf euch die aufgeregten Reaktionen der etablierten Politik in den letzten Wochen nach dem so genannten Dresdner Eklat zum Holocaust-Gedenken?
Dominique John: Wir verfolgen diese Debatten teilweise mit Kopfschütteln, zum Teil aber auch mit einem gewissen Schmunzeln. Kopfschütteln deshalb, weil es offenkündig ist, dass die Politiker im sächsischen Landesparlament aber auch in Brandenburg mit der entstandenen Situation vollkommen überfordert sind. Schmunzelnd deshalb, weil man mit einem gewissen Recht sagen kann, dass nun in den Landesparlamenten etwas angekommen ist, was Ausdruck einer politisch-kulturellen Entwicklung ist, mit der wir uns auf den Straßen, in den Kommunen und Landkreisen schon seit langem auseinander setzen. Insbesondere in Sachsen hat die NPD eine über Jahre gewachsene soziale Verankerung. In einigen Landkreisen muss man regelrecht von einer kulturellen Hegemonie rechtsextremer Strukturen sprechen. Wer sich jetzt schockiert zeigt über die – wie es heißt – Entgleisungen rechtsextremer Abgeordneter, der hat diese Entwicklung entweder nicht wahrgenommen oder einfach nicht ernst genommen.
Lorenz Korgel: Es ist schon merkwürdig, wenn das »Phänomen NPD« immer wieder als Problem von Protestwählern dargestellt wird. Gerade in den ländlichen Regionen, wo die NPD einen Wahlkampf »an der Haustür« führte, wissen die Leute sehr genau, wen sie gewählt haben. Ich muss sagen, ich verband mit der Tatsache, dass ein sozial verankerter Rechtsextremismus nun in den Parlamenten angekommen ist, die Erwartung, dass dies zu einer ernsthaften Auseinandersetzung der etablierten politischen Strukturen mit den Entwicklungsbedingungen für Rechtsextremismus führt. Nun scheint aber gerade eine umgekehrter Effekt einzutreten: Die Parlamentarier der etablierten Parteien schielen lediglich auf die politisch symbolische Auseinandersetzung innerhalb des Parlaments. Sie scheinen von der eingetretenen Situation förmlich absorbiert zu sein. Die Tatsache, dass beispielsweise Brandenburg beschlossen hat, die Gelder für das landesweite Aktionsbündnis gegen Rechtsextremismus oder auch für die Beratung von Opfern rechter Gewalt zu kürzen bzw. ganz einzustellen, kann ich mir nur so erklären, dass man die Wichtigkeit derartiger Projekte zum Aufbau sozialer Strukturen gegen Rechtsextremismus nicht erkannt hat.
Die NPD im sächsischen Parlament handhabt eine Strategie der kalkulierten Provokation – und die Reaktionen zeigen, dass diese Strategie aufgeht. Welche Wirkung hat das auf die organisierte Nazi-Szene und ihre Mitläufer?
L.K.: Die organisierte Szene ist z.Z. sehr intensiv mit der Diskussion um die so genannte Volksfront, also der Bündelung aller »nationalen Kräfte« unter dem Dach der NPD beschäftigt. Hier geht es keineswegs immer so harmonisch zu, wie dies die öffentlichen Bekundungen der rechtsextremen Szene suggerieren wollen. Wenn sich politische Bewegungen formalisieren, gibt es immer Konflikte, da macht die rechtsextreme Bewegung keine Ausnahme. Es geht einerseits um das Spannungsverhältnis »Radikalität vs. Realpolitik«, andererseits aber auch um simple Besitzstandsfragen wie der Vorwurf der Ämterhäufung oder die Frage, ob denn die Dienstwagen der sächsischen NPD-Abgeordneten nicht zu fett seien.
Trotz dieser Streitigkeiten, die NPD-Erfolge entfalten auf die rechtsextremen Aktivisten eine motivierende Wirkung. Die DVU galt ja eher als Lachnummer, dagegen bietet die NPD schon Möglichkeiten der Identifikation.
D.J.: Auch ich denke, dass die parlamentarischen Erfolge und die Möglichkeit, sich nun gezielt provokativ innerhalb des etablierten Parteienspektrums bewegen zu können, die Szene positiv beeinflusst. Wir bekommen das insofern konkret mit, als sich organisierte Rechtsextremisten und ihr Umfeld deutlich selbstbewusster zu bewegen scheinen. Dies betrifft das Auftreten auf Demos, aber auch gezielte Provokationen bis hin zu Angriffen auf traditionell linke Einrichtungen scheinen zuzunehmen. Ich möchte nur an die Sprengstoffanschläge auf das Netzwerk für demokratische Kultur im sächsischen Wurzen im November letzten Jahres erinnern oder kürzlich an den Anschlag auf ein Jugendzentrum im brandenburgischen Bernau.
Wie drückt sich das Erstarken der neonazistischen Bewegung in eurer Arbeit aus?
L.K.: In der unmittelbaren Arbeit wirkt sich das in jedem Bundesland unterschiedlich aus. In Sachsen gelingt es der NPD zunehmend, das politische Klima zu vergiften, besonders dort, wo sie in den Kommunalparlamenten sitzt und stark lokal verankert ist. Die Beratungsfälle sind in solchen Situationen oft emotional aufgeladen, was mögliche Handlungsschritte häufig verstellt. Die Wahrnehmungskonzentration der Öffentlichkeit und der demokratischen Parteienlandschaft auf die Geschehnisse im sächsischen Landtag verstellt oft den Blick auf die ganz alltäglichen Vorgänge in den ländlichen Gebieten.
In anderen Regionen ist die Situation so schlimm bzw. so gut wie schon vor den NPD-Erfolgen. Wie gesagt, das politische Klima hat sich ja nicht auf einen Schlag zu Gunsten rechtsextremer Akteure verändert. Die Einstellungspotenziale bewegen sich auf einem ähnlichen Niveau wie vorher. Es ist jedenfalls vor Ort nichts davon zu spüren, dass sich die NPD selbst »entzaubert« und deswegen an Zuspruch verliert, wie dies etwas naiv aus Kreisen von SPD und CDU zu hören ist.
Hat der Erfolg der NPD Auswirkungen auf die Arbeit der Beratungsstellen für Opfer rechter Gewalt?
D.J.: Wir machen keine exakte Datenerhebung bezüglich der Täter. Aber wir begleiten die Betroffenen in aller Regel durch die Prozesse und können uns daher ein ganz gutes Bild von den Tätern machen. Wir haben es normalerweise nicht mit organisierten Rechtsextremisten zu tun, sondern mit Tätern aus einem eher losen rechten Umfeld der rechten Skinhead- und Kameradschaftsszene. Insgesamt haben die Opferberatungsstellen in Sachsen und Brandenburg seit den Landtagswahlen eine Zunahme von Angriffen rechter Schläger registriert. In aller Regel handelt es sich um Taten, die aus einer Gruppe heraus begannen werden, oft spielt Alkohol eine Rolle. Wir beobachten übrigens auch immer öfter, dass Frauen in diesen Gruppen eine gewichtige Rolle spielen. Sie beteiligen sich dann zwar nicht unmittelbar an der Tatausführung, wirken aber insofern mit, als sie zu den Taten anspornen oder gar als Ideengeberinnen auftreten.
Sind die Rechten nicht auch Profiteure einer gewandelten Selbstwahrnehmung der Deutschen? Bombenkrieg, Flucht und Vertreibung sind Themen, die immer »unbefangener« diskutiert werden. In diesem Diskurs wird die Grenzen zum Geschichtsrevisionismus nur zu oft überschritten und die Rechten greifen das gezielt auf, wie z.B. am letzten Wochenende in Dresden.
D.J.: Ja, das Feld für die Rechten wurde seit Jahren bestellt. Es sei nur an den Historikerstreit der 1980er Jahre erinnert, die Debatte um die Neue Wache in Berlin Mitte der 1990er Jahre, also einer Gedenkstätte für Opfer und Täter gleichzeitig, oder eben die Diskussionen zum Bombenkrieg gegen das faschistische Deutschland. Die politische Elite in Deutschland scheint einen Konsens gefunden zu haben, der als Normalisierung beschrieben wird. Wenn Deutschland das Verhältnis zur eigenen Geschichte so einordnen kann, wie dies auch in anderen Ländern möglich ist, steht einer Führungsrolle Deutschlands in Europa und darüber hinaus nichts mehr im Wege. Vor diesem Hintergrund sind auch die Bemühungen der rot-grünen Bundesregierung, die »Rolle Deutschlands« im internationalen Gefüge zu stärken, zu bewerten.
L.K.: Für mich ist außerdem bemerkenswert, dass die Zustimmung zu NPD-Parolen wie »Bombenholocaust« über die unmittelbare Anhängerschaft der NPD hinausreichen. Es ist daher interessant, zu beobachten, was sich kulturell in den vergangenen Jahren verändert hat. Guido Knopp, Günther Grass, Jörg Friedrich oder Thor Kunkel stehen für eine Lust endlich und »befreit« das »Deutsche Leid« darzustellen. Es handelt sich bei diesen Protagonisten natürlich nicht um Rechtsextremisten, aber ihre Betrachtung des Zweiten Weltkrieges als »humanitäre Katastrophe« ohne Reflexion der Ursachen entpolitisiert den Diskurs um die Geschichte des Nationalsozialismus und seine Folgen. Es ist dann nicht mehr weit zur Gleichsetzung von »Dresden, Coventry (damals) und (heute) Bagdad«, wie es bürgerlich-demokratischen Kräften in Dresden vorgemacht haben. Spätestens hier gerät dieser Diskurs dann zur Steilvorlage für die rechtsextremen »Prediger«.
Zum Glück gibt es gerade in Dresden auch sehr positive Gegenbeispiele. Dort haben sich eine Reihe von Initiativen zusammengetan, um eine eigene »Erinnerungskultur« zu beschreiben. Sie internationalisieren den Diskurs und öffnen so die verengte deutsche Perspektive, sie thematisieren und benennen die deutschen Täter und verhindern damit die geschichtsvergessende Gleichsetzerei der Opfer. Ich denke, Nazis haben in einem Diskurs unter solchen Rahmungen keine Chance.
Macht eure Arbeit unter diesen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen Sinn?
L.K.: Wie viele andere auch versuchen wir mit unserer Arbeit, demokratische Strukturen aufzubauen und zu erhalten. Mittels dieser Strukturen wollen wir menschenrechtliche Standards als Querschnittsaufgabe der gesamten lokalen politischen Kultur etablieren. Wir sind aber nicht so naiv, gleich alles auf einmal umkrempeln zu wollen. Stattdessen sprechen wir von »sozio-kulturellen Inseln« in einer sonst recht tristen politischen Landschaft. Wir haben die Hoffnung, dass diese Inseln wachsen, sich vernetzen und es dadurch gelingt, ein kulturelles Gegengewicht zu einem rechten Mainstream zu schaffen. Herkömmliche Vorstellungen in der Politik zur Eindämmung des Rechtsextremismus werden wir mit einem solchen Konzept enttäuschen: Wir werden nicht verhindern können, dass NPD-Anhänger die NPD in die Parlamente wählen. Aber die diskursive Macht der Rechtsextremisten vor Ort lässt sich durch eigene Themensetzungen brechen.
D.J.: Das mag sich so ein bisschen daher geredet anhören. Es gibt aber Beispiele dafür, dass es an einigen Stellen durchaus gelungen ist, Strukturen zu schaffen und zumindest einer rechten Hegemonie etwas entgegenzusetzen. Ich möchte auch behaupten, dass die Situation weitaus schlimmer sein würde, gäbe es nicht diese vielfältigen Versuche einer alternativen und linken Projektelandschaft. Übrigens weit über die staatliche finanzierten CIVITAS-Projekte hinaus.
Die Finanzierung eurer Projekte steht auf keiner gesicherten Basis. Wie es nach den Bundestagswahlen 2006 weitergeht, ist vollkommen offen. Wie seht ihr eure Zukunft?
D.J.: Wie es nach 2006 mit der Bundesfinanzierung für die Projekte aussieht, steht zur Zeit noch in den Sternen. Ab und zu ist die Rede von einer Bundesstiftung, die diese Arbeit übernehmen könnte. Konkrete Entwürfe dazu sind uns aber nicht bekannt. Land auf, Land ab ist man sich einig, dass es falsch wäre, nur Symbolpolitik oder nur »Strohfeuer« zu betreiben. In der Realität werden die Projekte aber immer nur ein Jahr lang mit sicheren Zusagen ausgestattet. Nachhaltige Strukturen sind damit nur in Ansätzen zu schaffen.
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