Sehr verehrte Damen und Herren,
es ist ziemlich aufregend, als Vertreterin eines kleinen Bürger- bündnisses – wir sind nur 10,12, höchstens 15 Personen – der »großen Politik« gegenüber zu stehen. Das Wesen unseres Bündnisses erklärt sich vielleicht am besten aus seiner Geschichte. In den 1990er Jahren, als die Anschläge in Hoyerswerda und Rostock in aller Munde waren, wähnte man sich hier in Wittstock noch in Sicherheit. Das Schreckliche schien weit weg zu sein und uns nicht zu betreffen. Hatte tatsächlich niemand bemerkt, dass Glatzen und Springerstiefel bereits das Straßenbild unserer Stadt bestimmten? Das blieb so, bis 1999 der erste Dönerladen brannte. Das ganze Haus wurde zerstört, Menschen kamen dabei Gott sei dank nicht ums Leben. Schüler organisierten damals spontan eine Kerzendemo. Danach wurde es schnell wieder relativ ruhig in Wittstock.
2001 hob die Polizei das Projekt »Bekämpfung der Jugendgewalt« aus der Taufe, an dem die Stadt, das Jugendamt, das Schulamt und freie Träger mitwirkten. Diese Arbeitsgruppe wurde bald in »Initiative Couragiert gegen Rechts« umbenannt, weil deutlich geworden war, dass die Bekämpfung des Rechtsextremismus eine herausragende Bedeutung erlangt hatte. In dieser Zeit kam Herr Lohmann als neuer Superintendent nach Wittstock. Wenn die Rechten marschierten, hielt er zeitgleich Andacht in der Kirche. Neben den Naziaufmärschen erlebten wir viel Fremdenfeindlichkeit in der Stadt. Immer wieder gab es Auseinandersetzungen zwischen Rechten und Spätaussiedlern; mehrfach wurden den vietnamesischen und türkischen Imbissbetreibern die Scheiben eingeschlagen. Ich persönlich war betroffen, als mein Sohn wegen seiner dunklen Hautfarbe gejagt wurde.
Superintendent Lohmann organisierte mit einer kleinen Vorbereitungsgruppe im Dezember 2001 die erste und bisher größte Demonstration gegen rechte Gewalt, bei der Ministerpräsident Stolpe und Bischof Huber auftraten und an der über tausend Menschen teilnahmen. Nach diesem für Wittstock großen Ereignis schlossen sich die beiden Arbeitsgruppen zusammen, um gemeinsam effektiver arbeiten zu können. Herr Lohmann und Herr Benedikt, der Leiter der Polizeiwache, sowie Herr Engel, der Standortkommandant der Bundeswehr, waren die treibenden Kräfte des neuen Aktionsbündnisses. Es wurden Diskussionsrunden und Workshops, Rock gegen Rechts-Konzerte und sogar eine Theateraufführung organisiert. Von An-fang an wurden wir von Mitarbeitern des Mobilen Beratungsteams mit Rat und Tat unterstützt.
Kaum ein halbes Jahr später brach im Frühjahr 2002 die nächste Katastrophe über uns herein: Ein junger Aussiedler wurde erschlagen. Das Entsetzen war groß, es gab Kundgebungen und heftige Diskussionen in allen Bereichen. Der betroffenen Familie standen währenddessen besonders die Mitarbeiter der Opferperspektive zur Seite. Wenig später ereignete sich der Brandanschlag auf die Todesmarsch-Gedenkstätte im Belower Wald. Das Museum brannte völlig aus. Die Nazis hinterließen deutliche Markenzeichen. Das Aktionsbündnis reagierte wieder mit Kundgebungen und Zeitungsartikeln. Leider ist der Anschlag noch immer nicht aufgeklärt.
Die Nazidemonstrationen hörten nicht auf. Im August 2003 hatte das Aktionsbündnis erstmals zu einer Gegendemonstration aufgerufen, die am selben Tag wie der Rudolf Heß-Aufmarsch stattfinden sollte. Das wurde ein glatter Reinfall. Die Rechten konnten ihre Stärke unbehelligt zeigen. Wir hat-ten noch viel zu lernen. 2004 sah es zum Glück schon anders aus. Wir haben viel gearbeitet und es geschafft, eine Gegendemonstration auf die Beine zu stellen. Danach hatten wir den Eindruck, die Rechtsextremisten wären nicht mehr ganz so selbstbewusst. Vielleicht waren auch wir etwas sicherer und zuversichtlicher geworden. Jetzt – nach den Wahlergebnissen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern–fühlt sich das allerdings schon wieder ganz anders an.
Immer wieder und immer noch stehen wir vor denselben Aufgaben: Information, Aufklärung, Vermittlung von positiven Erfahrungen mit der Demokratie; Parteinahme und Hilfe für Opfer rechtsextremer Gewalt; Schaffung von alternativen Angeboten in der Region. Neben der Stadt, der Polizei und den Kirchen sind das Mobile Beratungsteam und die Opferperspektive dabei unsere wichtigsten Verbündeten. Nicht zuletzt sind wir sehr glücklich darüber, dass wir – noch – eine Netzwerkstelle in Wittstock haben, die besonders Jugendliche in geeigneter Weise unterstützt, unter anderem indem sie Kontakte mit Stadtverordneten und Gewerbetreibenden vermittelt. Bei allem ehrenamtlichen Engagement könnten wir das, was die Kollegen dort aufgebaut haben und täglich leisten, nicht ansatzweise weiterführen. Innerhalb unseres Bündnisses sind wir in den Jahren zusammengerückt. Jeder, der mitmacht, hat seine ganz persönlichen Gründe. Wir haben gelernt, unsere Rolle deutlicher wahrzunehmen. Auf einer Klausurtagung mit dem Mobilen Beratungsteam in diesem Jahr haben wir deshalb auch unseren Namen geändert. Wir heißen jetzt »Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus in Wittstock und Umgebung«.
Vielen Dank für Ihr Interesse und Ihre Aufmerksamkeit.
Aktuelles Aktionsbündnis, Brandanschlag, Opferperspektive, Rechtsextremismus