Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Freunde und Freundinnen,
wir haben in Brandenburg im vergangenen Jahr 116 Fälle rechtsextremer Gewalttaten registriert. Wir meinen: dies sind 116 Gewalttaten zuviel! Betrachtet man die Entwicklung der letzten Jahre, so zeigt sich, dass sich die Anzahl derartiger Angriffe auf einem hohen Niveau eingepegelt hat.
Menschen werden zu Opfer rechtsextremer Gewalt, weil sie von den Tätern einer gesellschaftlichen Gruppe zugeordnet werden, die sie ablehnen. Flüchtlinge werden angegriffen, weil die Täter ihnen das Recht absprechen, hier zu leben; alternative Jugendliche werden zu Opfern, weil sie sich anders kleiden und politisch von den Rechtsextremen abgrenzen; Obdachlose, weil sie als unwert verachtet werden. Man könnte diese Liste verlängern.
So unterschiedlich die Verletzungen und Schicksale der Menschen sind, die von uns betreut werden, sie haben eines gemeinsam: Es ist die Erfahrung, stellvertretend für eine Gruppe zum Angriffsziel geworden zu sein. Für die Opfer eines derartigen Angriffs ist von größter Wichtigkeit, wie ihr unmittelbares soziales Umfeld und die Institutionen der Gesellschaft auf die Tat reagieren. Wird ihnen, den Betroffenen, geholfen? Wird ihnen geglaubt? Werden sie verstanden? Oder aber werden sie mit der Gewalterfahrung allein gelassen? Werden sie womöglich gar selbst für die Gewalttat verantwortlich gemacht?
Der Ansatz der Opferperspektive steht für eine auf den jeweiligen Fall abgestimmte Betreuung der Betroffenen. Wir vermitteln ärztliche und psychotherapeutische Hilfe sowie anwaltliche Unterstützung. Wir begleiten zu Behörden und zu Gerichtsprozessen und wir helfen bei der Stellung von Entschädigungsanträgen.
Die Opferperspektive ist parteilich. Sie steht für einen Ansatz, der rechtsextreme Angriffe aus der Sicht der Betroffenen thematisiert. Dies führt notwendigerweise zu einer Auseinandersetzung mit dem gesellschaftlichen Kontext rechtsextremer Gewalt. Wir wissen nur zu gut, dass sich viele rechtsextreme Gewalttäter als Vollstrecker eines vermeintlichen »Volkswillens« legitimiert sehen. Nicht selten sehen auch die Opfer, vor allem Flüchtlinge, die erlittene Gewalt als Bestätigung und Fortsetzung der gesellschaftlichen Ausgrenzung und Diskriminierung, unter der sie leiden.
Die Opferperspektive fordert deshalb eine konsequente Solidarisierung mit den Opfern und eine Entsolidarisierung mit den Tätern.
Den Opfern muss adäquat geholfen werden, den Tätern muss unmissverständlich signalisiert werden, dass ihr Handeln unter keinen Umständen toleriert wird!
Die Opferperspektive arbeitet in Brandenburg seit 1998. Seit 2001 sind in allen neuen Bundesländern und Berlin ähnliche Beratungsstellen entstanden. Der Hinweis, dass von diesem Beratungsnetzwerk allein im letzten Jahr über 1200 Menschen betreut wurden, soll genügen, um auf die Notwendigkeit und der Erfolg solcher Beratungsstellen hinzuweisen.
Ermöglicht wurde diese konkrete und spürbare Hilfe für Opfer rechtsextremer Gewalt durch die Förderung des Bundesprogramms Civitas. Aufgrund der degressiven Förderpolitik sind die Länder nun mehr und mehr gefragt, diese neu entstandenen Beratungseinrichtungen weiter zu erhalten. Brandenburg hat sich dieses Jahr entschieden, die Opferperspektive in die Förderung aufzunehmen. Andere Länder zeigen leider mehr Zurückhaltung.
Machen wir uns nichts vor: Die rechtsextreme Gewalt zurückzudrängen, ist eine langfristige Aufgabe. Den Opfern die bestmögliche Hilfe anzubieten, ist das Mindeste, was wir tun können, tun müssen. Wir, die Beratungsstellen für Opfer rechtsextremer Gewalt, wollen dies weiterhin versuchen. Dafür brauchen und fordern wir Unterstützung.
Wir verstehen den Preis für Demokratie und Toleranz als eine Würdigung und Unterstützung der Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt, die leider auch in der nächsten Zukunft unverzichtbar sein wird.
Vielen Dank.
Aktuelles Opferperspektive