Bedroht zu werden, gehört nicht zum Mandat


Verhaltenstipps und Handlungsmöglichkeiten für die Durchführung von Infoständen und öffentlichen Versammlungen

Die heiße Phase des Wahlkampfs hat begonnen und es ist zu befürchten, dass Anfeindungen und Bedrohungen von Rechts gegen kommunalpolitisch Engagierte und Mitarbeiter:innen in Verwaltungen wieder zunehmen werden. In dem Ratgeber “Bedroht zu werden, gehört nicht zum Mandat – Zum Umgang mit rechten Bedrohungen und Angriffen für Kommunalpolitiker*innen und Kommunalverwaltung” haben der Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG) in Kooperation mit dem Bundesverband Mobile Beratung (BMB) Handlungsmöglichkeiten zum Umgang mit Anfeindungen und Bedrohungen veröffentlicht. Auszugsweise stellen wir Ihnen hier Verhaltenstipps und Handlungsmöglichkeiten für die Durchführung von Infoständen und öffentlichen Versammlungen zur Verfügung.

Die Broschüre können Sie hier als PDF dowloaden:


Infostände

Kontakte und Auftritte in der Öffentlichkeit gut vorbereiten und absichern    Wahlkampfstände können herausfordernde Termine sein, bei denen neben guten Gesprächen auch Streit, Pöbeleien, Beleidigungen oder tätliche Angriffe möglich sind. Es empfiehlt sich, solche Stände gut vorzubereiten und nie allein durchzuführen.

Vor Beginn des Infostandes    Sprechen Sie mit allen am Stand beteiligten Personen kurz über die Sicherheit. Wo auf dem Gelände befinden sich andere Stände/Angebote? Wo sind im Notfall Rückzugsmöglichkeiten? Nehmen Sie die Sicherheitsbedenken aller Beteiligten unbedingt ernst. Klären Sie unterschiedliche Rollen innerhalb des Teams. Wer steht wo, wer ist im Umfeld unterwegs? Wie sind diese Leute erreichbar, sind die aktuellen Handynummern aller Beteiligten bekannt? Wo sind verbindliche Orte, an denen Polizei oder eventuell ein Sicherheitsdienst stets anzutreffen ist? Vereinbaren Sie ggf. schon im Vorfeld eine feste Ansprechperson bei der Polizei, die Sie im Notfall schnell erreichen können. Das erspart Ihnen in angespannten Situationen anstrengende Erklärungen.

Reaktionen auf rechte Aussagen    Lassen Sie sich auf keinen Schlagabtausch auf der Ebene rechter Parolen ein. Parolen sind im Gegensatz zu Argumenten nicht auf Dialog ausgerichtet und keiner sachlichen Auseinandersetzung zugänglich: ihnen liegt kein offenes, sondern ein geschlossenes Diskussionsverhalten zugrunde.
Rassistische, antisemitische, sexistische, menschenverachtende und den Nationalsozialismus leugnende oder verharmlosende Äußerungen sollten aber nicht unwidersprochen bleiben. Positionieren Sie sich klar und deutlich!

Umgang mit Pöbeleien und Einschüchterungen    Gehen Sie keinesfalls inhaltlich auf Pöbeleien und Provokationen ein. Versuchen Sie, möglichst selbstsicher, bestimmt und ruhig zu agieren. Formulieren Sie kurze und eindeutige Aussagen oder Aufforderungen. Lassen Sie sich nicht auf Diskussionen ein, sondern verdeutlichen Sie die Konsequenzen des Nichtbefolgens Ihrer Aufforderungen (z. B. der Aufforderung, den Stand zu verlassen). Sobald Sie den Eindruck haben, dass Sie eingeschüchtert werden sollen, verständigen Sie Unterstützer:innen und rufen Sie gegebenenfalls die Polizei.

Fotos und Recht am eigenen Bild    Im Rahmen von öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel und auch bei der Durchführung von Infoständen ist das Recht am eigenen Bild eingeschränkt. Zwar ist es rechtlich strittig, ob „Portraitaufnahmen“ von einzelnen Personen gemacht werden dürfen. Infostände oder Bühnen und damit auch Personen, die sich an diesen Orten aufhalten, dürfen grundsätzlich von Dritten – also auch von Rechten – fotografiert werden. Handlungsstrategien können sein: Gesicht abwenden oder möglichst verdecken, sich umdrehen, Missfallen äußern, Zurück-Fotografieren. Bei bekannten Rechtsextremen ist es sinnvoll, die Polizei zu informieren und sie auf die konkrete Gefahr der Veröffentlichung auf rechtsextremen Internetseiten hinzuweisen.

Intervention im Notfall

Orientieren Sie sich an den vorher getroffenen Absprachen im Team. Sollten Sie sich entscheiden, Ihren Stand abzubauen, informieren Sie alle Beteiligten und besprechen Sie weitere Schritte, v. a. um einen sicheren Abbau und Heimweg zu organisieren.
Achten Sie darauf, dass niemand allein den Heimweg antritt, lassen Sie sich gegebenenfalls von der Polizei zu Bus/Bahn begleiten. Informieren Sie sich gegenseitig darüber, dass alle am Stand beteiligten Personen sicher zu Hause angekommen sind.

Nachbereitung

Sollte es zu einer kritischen oder bedrohlichen Situation gekommen sein: Werten Sie die Veranstaltung zeitnah gemeinsam aus und fertigen Sie ein Gedächtnisprotokoll über das Geschehene an. Das Protokoll sollte anschließend allen Beteiligten zur Verfügung gestellt werden und kann bei der weiteren Bearbeitung, etwa mit Unterstützung durch die Mobile Beratung oder der Opferperspektive, hilfreich sein.

 

Was tun nach einem rechten Angriff?
Am Tatort

✔ Bewahren Sie Ruhe!
✔ Bringen Sie sich in Sicherheit!
✔ Bitten Sie andere um Hilfe!
✔ Sprechen Sie Zeug:innen an! Dokumentieren Sie Verletzungen und Schäden und fotografieren Sie Verletzungen!
✔ Gegenstände fotografieren! Zum Beispiel Steine, Scherben, Flaschen, Aufkleber und Kleidung.
✔ Gegenstände NICHT entfernen oder wegräumen!

Gehen Sie in ärztliche Behandlung

✔ Behandlung im Notfall ohne Versicherungskarte!
✔ Zeigen Sie alle Verletzungen!
✔ Bitten Sie die Ärztin oder den Arzt um ein Attest, in dem alle Verletzungen dokumentiert sind.

Schreiben Sie ein Gedächtnis-Protokoll

✔ Wo ist es passiert? Wann ist es passiert?
✔ Was ist passiert? Was ist danach passiert?
✔ Wie sah der Angreifer aus? Wie viele waren es? Welche Verletzungen und Schäden gibt es?
✔ Wer hat das gesehen? Wer war Zeug:in?

Familie und Freund:innen

✔ Bitten Sie andere Menschen um Hilfe. Bleiben Sie
nicht allein.
✔ Erzählen Sie, was Ihnen passiert ist.

 

Öffentliche Veranstaltungen und Versammlungen

Vorbereitung    Das Vorgehen und die Wirkung von Vertreter:innen rechter Parteien/Gruppen beziehungsweise sich rassistisch äußernden Teilnehmer:innen sollte nicht unterschätzt werden. Es ist hilfreich, sich im Vorfeld mit „Argumenten“, Parolen und Programmen auseinander zu setzen, sich über die eigene Haltung bewusst zu werden sowie gegebenenfalls Absprachen mit Kooperationspartner:innen oder Mitdiskutierenden zu treffen und eine gemeinsame Zielsetzung zu entwickeln.

Moderation    Personen, die eine Veranstaltung moderieren, sollten Erfahrung im Umgang mit hitzigen Diskussionen haben und inhaltlich vorbereitet sein. Es hilft, schon zu Beginn Gesprächsregeln aufzustellen und für die Einhaltung zu sorgen, eine sachliche Auseinandersetzung und realistische Lösungsansätze einzufordern und Diskussionen wieder zu konkreten Themen zurückzuführen. Diskriminierende Aussagen sollten nicht unwidersprochen stehen bleiben, entsprechende Fragen oder Beiträge dürfen durchaus abgeblockt werden. Es empfiehlt sich, Verantwortliche für ein Saalmikrofon zu benennen, die Monologisierungen unterbinden können.

Einladen?    Die Auswahl der Redenden sollte je nach Charakter und Ziel der Veranstaltung getroffen werden: Ist es sinnvoll und zielführend, für diesen Zweck Vertreter:innen von (extrem) rechten Parteien oder Gruppierungen einzuladen? Werden Parteien oder Personen bewusst nicht eingeladen, sollte dies gut begründet und im Schulterschluss mit möglichst allen Beteiligten umgesetzt werden.

Ausschließen?    Durch eine Ausschlussklausel (s.o.) können durch nicht-staatliche Veranstaltenden bestimmte Personen(-gruppen) in der Veranstaltungsbekanntmachung vorab von einer Teilnahme ausgeschlossen werden. Während der Veranstaltung können „grob störende“ Teilnehmende ausgeschlossen werden. Dafür verantwortliche Personen sollten vorab festgelegt, die Zuständigkeiten geklärt (Wer hat das Hausrecht und setzt es gegebenenfalls durch?) und gegebenenfalls Absprachen mit der Polizei getroffen werden.

Umgang mit Störungen und Bedrohungen    Lassen Sie sich nicht provozieren oder in Diskussionen verwickeln, sondern setzen Sie die vorher vereinbarten Schritte gemeinsam, ruhig und konsequent um. Selbstsicheres Auftreten reicht häufig aus, um rechte Störende zum Gehen zu bewegen. Sollte das nicht der Fall sein, sollten die Konsequenzen („Sie machen sich strafbar, wir werden nun die Polizei einschalten.“) deutlich benannt und die Polizei zu Hilfe geholt werden. Wenn diese im Vorfeld informiert und ggf. eine konkrete Ansprechperson benannt wurden, werden in der stressigen Situation zeitraubende Erklärungen und Nachfragen vermieden. Die Veranstaltung sollte erst fortgesetzt werden, wenn die Situation endgültig geklärt ist. Wenn es dafür keine Möglichkeit gibt, muss sie unter Umständen abgebrochen, vertagt oder verlegt werden.
Besucher:innen und Organisator:innen könnten auf dem Weg nach Hause erneuten Anfeindungen ausgesetzt sein. Auch dies sollte transparent gemacht und darauf hingewiesen werden, nicht alleine den Rückweg anzutreten.

 

Weitere Informationen
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