Erinnert sich noch jemand an Jorge Gomondai? Er war eines der ersten Todesopfer rechter Gewalt nach der Wende in Ostdeutschland. Jährlich mahnt ein Gedenkweg kirchlicher und antirassistischer Gruppen in Dresden daran, dass der Mosambikaner am 31. März 1991 bei einem Zusammenstoß mit Skinheads aus einer fahrenden Straßenbahn fiel und wenig später starb. Dieser Gedenkweg ist leider eine Ausnahme: Für die meisten der Todesopfer rechter Gewalt gibt es weder ein öffentliches Gedenkzeichen noch eine Kultur der Erinnerung. Sie sind, wiewohl ihre Namen und die Umstände ihrer Todes bekannt sind, im Wortsinne vergessen.
Umstrittenes Gedächtnis
Wie Opfern rechter Gewalt öffentlich gedacht werden kann, ist immer wieder umstritten. Wie kann eine Erinnerungskultur aussehen? Zentral sind die Anerkennung des Charakters der Tat und der Respekt für das Opfer. Meist werden Respekt und Anerkennung nur jenen Opfern entgegengebracht, deren Eigenschaften und/oder Todesumstände eine positive Identifikation erlauben. Sie erlangen jenes öffentliche Mitleid, welches anderen verwehrt bleibt, weil man sich in ihre Lebensumstände nicht hinein zu versetzen vermag und deshalb mit Abwehr reagiert. Obdachlosen, Punks und vielen Migranten wird in vielen Fällen eine Kultur der Anerkennung verwehrt, obwohl sie die größten Opfergruppen bilden.
Wo sich Kommunalpolitiker schwer tun, Todesopfern rechter Gewalt Anerkennung zu zollen, setzt sich deren im Leben erfahrene Ausgrenzung und Missachtung über den Tod hinaus fort. Am Rand einer Kundgebung zum zehnten Todestag von Samuel Yeboah wurde in Saarlouis im Jahr 2001 eine Gedenktafel angebracht, um an das erste Todesopfer rassistischer Übergriffe in Westdeutschland nach der Wiedervereinigung zu erinnern. Der 26-Jährige kam bei einem Brandanschlag auf ein Flüchtlingsheim ums Leben. Nur wenige Stunden hing die Gedenktafel für den ermordeten Ghanaer, bis der Saarlouiser Oberbürgermeister sie entfernen ließ und Strafanzeige gegen den Anmelder der Kundgebung erstattete.
Aber auch dort, wo Gedenktafeln an die Opfer erinnern, werden sie – wie in Guben trotz der zeitweiligen Patenschaft für den Gedenkstein für Farid Guendoul immer wieder geschehen – entwendet, beschmiert und zerstört. Selbst Gräber sind nicht tabu. Mehrfach wurde in Magdeburg das Grab des von Neonazis getöteten Punks Frank Böttcher demoliert.
Die Angehörigen ließen den Grabstein schließlich entfernen. Sie konnten nicht mehr das Geld aufbringen, um die Schäden zu beseitigen. Dieses Beispiel zeigt: Neben der öffentlichen Schmähung und Provokation der Angehörigen erzielen die Täter durch ihre Untaten in Einzelfällen sogar das Verschwinden der öffentlichen Präsenz des Opfers. Auch das Verhalten des Saarlouiser Bürgermeisters hatte diesen Effekt.
Kann es eine Kultur der Erinnerung an Opfer rechter Gewalt geben, die nicht in Ritualen der jeweils eigenen Selbstvergewisserung erstarrt? Kranzniederlegungen und Ansprachen reichen jedenfalls nicht aus, wenn es um ein lebendiges Gedenken gehen soll. Davor schützen kann nur ein Gedenken, das an die Lebensumstände des Opfers zurückgebunden ist. Und das zugleich dazu dient, deutlich zu machen, vor welchen Herausforderungen die Gesellschaft durch rechtsextreme Gewalt steht.
Umstrittenes Gedächtni
16 Jahre nachdem Amadeu Antonio am 25. November 1990 in Eberswalde (Brandenburg) bei einem Angriff von 60 Rechtsextremisten auf eine Gruppe von Afrikanern mit Knüppeln ins Koma geprügelt wurde und elf Tage später starb, trafen sich über 150 Menschen aus Eberswalde und der Gemeinde Schorfheide. Einen ganzen Tag lang redeten sie darüber, wie sie Vorurteilen und Diskriminierungen entgegentreten können. Die Initiative hierzu kam von den drei Schulen aus der Region, die den Titel »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage« tragen. Unter dem Motto »Light me Amadeu« finden seitdem Veranstaltungen, Konzerte und Aktionen zur Überwindung von Rassismus und Rechtsextremismus statt.
Mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht ist auch das langjährige Engagement gegen Rechtsextremismus am Beruflichen Schulzentrum Oskar-von-Miller im bayrischen Schwandorf. 1988 hatte ein 19-jähriger Neonazi in der Innenstadt ein Haus in Brand gesetzt, in dem überwiegend Türken wohnten. Vier Menschen verloren ihr Leben. Der Auszubildende war zu jener Zeit Schüler an jener Schule. »Seit dem damaligen schrecklichen Ereignis versuchen bei uns Lehrerinnen und Lehrer, ihren Schülerinnen und Schülern das menschenverachtende Potenzial einer Weltanschauung vor Augen zu führen, die keine Achtung vor der Würde des anderen besitzt und auch vor gemeinen Mord nicht zurückschreckt«, erklärten 2006 die Schülersprecherin Hasret Atas und der Lehrer Günter Kohl.
Wenn am 21. April 2009 das Gubener Pestalozzi-Gymnasium den Titel »Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage« erhält, ist das ein ermutigendes Zeichen.
David Begrich
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