Zwei Jahre nach dem Angriff auf den Potsdamer Afrodeutschen Ermyas Mulugeta hat der Verein Opferperspektive e.V. beklagt, dass Betroffene von rassistischer Gewalt vermehrt keine Anzeige bei der Polizei erstatten wollen. Diese Sorge formuliert der Opferschutzverein in einer neuen Broschüre, in der auf 50 Seiten der Fall »Ermyas M.« noch einmal aufgerollt wird. »Wir haben für unsere Beobachtung allerdings keine belastbaren Daten«, sagte gestern Vereinssprecher Jonas Frykman den PNN. Jedoch beobachte der Verein seit den Diskussionen um Mulugeta, dass Opfer nicht mehr zur Polizei gingen, weil sie Angst davor hätten, dass ihnen niemand glaubt – oder aus Sorge vor medialer Bloßstellung.
»Der Vorwurf, unzulässig zu skandalisieren, war immer schon schnell bei der Hand – nun wird er schneller erhoben«, heißt es in der Broschüre über Gewalttaten mit möglichem rassistischen Hintergrund. Gerade dieses rassistische Motiv sieht die Opferperspektive als Auslöser für den bis jetzt nicht aufgeklärten Angriff auf Mulugeta – was bald nach der Tat öffentlich bezweifelt wurde. Doch sei der Vorwurf, dass Mulugeta die Tat möglicherweise provoziert habe, im Verfahren eindeutig widerlegt worden, »die Provokation ging eindeutig von den Tätern aus.« Dies sieht die Staatsanwaltschaft allerdings anders, wie ihr Sprecher Christoph Lange auf Anfrage sagte: »Es gab wechselseitige Provokationen, wir konnten keine eindeutige Schuld zuweisen.«
Der damals 37 Jahre alte Mulugeta war in der Nacht zum Ostersonntag 2006 leblos und mit schweren Kopfverletzungen am Bahnhof Charlottenhof gefunden worden. Auf einem Handymitschnitt waren Beschimpfungen wie »Scheiß N-Wort« zu hören. Der Generalbundesanwalt Kay Nehm zog das Verfahren zunächst an sich, gab es später jedoch wieder an die Potsdamer Staatsanwaltschaft zurück. Zwei Verdächtige wurden später am Landgericht aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Laut der Broschüre sei die Eskalation von den unbekannten Tätern ausgegangen, auf die Mulugeta abwehrend reagiert habe, sich auch mit einem Tritt wehrte – bis er den wuchtigen Faustschlag gegen das linke Auge bekam, nachdem er für Tage im künstlichen Koma lag.
Die Begründung für die aus Sicht der Opferperspektive stattfindende Verharmlosung des Falls habe sich aus der zuerst einsetzenden Skandalisierung ergeben. Nach dem aber klar gewesen sei, dass es kein geplanter Überfall von Rechtsextremen war, hätte sich die Gesellschaft zurückgelehnt, so die Analyse der Opferperspektive – der Rassismus in der Tat sei nicht mehr reflektiert geworden. Das N-Wort sei aber ein klassischern rassistischer Ausdruck, die eindeutig auf die Hautfarbe anspiele und nicht als gewöhnliche Beleidigung zu werten sei.Den Streit unter angetrunken Passanten, der dem Angriff vorausging, hätte so vermutlich auch zwischen Deutschen gegeben, führt einer der Autoren der Broschüre an: »Aber wäre das Opfer nicht dunkelhäutig und die Täter nicht rassistisch eingestellt gewesen, dann hätte man sich vielleicht nur geschubst.« Gleichzeitig sei medial teilweise versucht worden, dem zunächst idealisierten Opfer später die Schuld an dem Angriff zu geben, seine Verletzungen seien so aus dem Blick geraten. Insgesamt habe der Fall die Arbeit gegen Rassismus in Deutschland zurückgeworfen.
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