In diesen Wochen läuft hier in Neuruppin ein Prozess vor dem Landgericht. Es geht um einen versuchten Mord an einem Wachmann eines Flüchtlingsheims. Wir von der Opferperspektive haben den Wachmann, den 54-jährigen Alfred F. aus Neustadt, bei seiner Zeugenaussage begleitet.
Es waren vier Rechte aus Wusterhausen, die eng mit der Szene in Kyritz und Neustadt verwoben sind. Ihr kennt das Bild: am Wochenende, wenn sie nichts anderes zu tun haben, fahren sie mit ihren Autos durch die Gegend, auf der Suche nach Leuten, die sie anmachen können, auf der Suche nach Opfern. An jenem Tag im Oktober letzten Jahres wollten sie zuerst zum Cosa Nostra nach Kyritz, dort eine Schlägerein provozieren. Das Cosa Nostra nennen sie »Zeckenbunker«, obwohl sich die meisten der Besucher selbst als Neutrale sehen würden. Vielleicht fehlte den Rechten im letzten Moment der Mut, auf jeden Fall drehen sie ab und fahren zum Flüchtlingsheim nach Neustadt. Der nächste Plan: dort die Scheiben einwerfen, den Flüchtlingen Angst und Schrecken einjagen. Vor dem Flüchtlingsheim dreht der Wachmann seine Runde. Einer der Rechten macht ihn an, »Ey, du doofer Pole«, doch Alfred F. reagiert nicht. Dann schütten sie Bier über ihn. Einer richtet aggressiv die Frage an ihn: »Bist du rechts oder links?« Alfred F. ist irritiert und antwortet: »In der Mitte«. Darauf der Rechte: »So was gibt’s nicht« und schlägt ihn nieder.
Aus seinem Fenster konnte der kurdische Flüchtling Umut D. die Szene beobachten, sah und hörte den ersten Schlag ins Gesicht des Wachmanns. Er schreit, dass sie aufhören sollen, aber sie treten auf den am Boden liegenden Wachmann ein, alle drei, immer wieder, gegen Oberkörper und Kopf. Umut reagiert reflexartig: er rennt in die Küche, schnappt sich einen Besenstiel und läuft auf die rechten Schläger zu. Erst, als er einem der Rechten den Besenstiel über den Kopf zieht, lassen sie von ihrem Opfer ab. Sie versuchen, Umut zu packen, doch der kann entkommen. Die Rechten ergreifen die Flucht. Wenn Umut nicht eingegriffen hätte, hätten die Rechten immer weiter getreten, hätten nicht aufgehört, wie in einem Rausch, einem Vernichtungsrausch. Alfred F. kommt mit einem Kieferbruch ins Krankenhaus. Noch heute überschwemmen ihn Angstgefühle, wenn ein Auto mit Techno-Musik scharf an ihn heranfährt, wie in jener Nacht.
Jede Woche passieren rechtsextreme Angriffe in Brandenburg, rassistische Angriffe auf Flüchtlinge, Punks, Antifas, Skater, auf alle, die nicht in das Weltbild der Rechten passen. Doch der Angriff auf Alfred F. hat uns ganz besonders schockiert. Um ein Haar wäre jemand totgetreten worden, wie die Rechten letztes Jahr vier Obdachlose in Mecklenburg totgetreten haben. Wie alle Opfer war Alfred F. ein zufälliges Opfer. Er hatten seinen Angreifern nichts getan, er kannte sie nicht einmal. Sein Verhängnis war nur, dass er am Flüchtlingsheim arbeitete. Die Besucher des Cosa Nostra haben in jener Nacht noch einmal Glück gehabt.
Es hätte genauso gut sie treffen können. Einfach nur, weil die Rechten sie in die Schublade »Zecken« stecken, einfach nur, weil sich die Rechten wahnhafte Feindbilder in den Kopf gesetzt haben. Feindbilder, die nicht, aber auch gar nichts mit den wirklichen Menschen zu tun haben.
Der Rechte hatte, bevor er zuschlug, gebrüllt: »In der Mitte, so was gibt’s nicht«. Für mich ist es immer wieder erschreckend, wie simpel die Schwarz-Weiß-Weltbilder der Rechten sind, aber um so gefährlicher sind sie. Es hätte den Leuten vom Cosa Nostra auch nichts genützt, wenn sie gesagt hätten, sie seien neutral. Und überhaupt: kann man »neutral« sein, wenn Menschen im Vernichtungsrausch getötet werden? Umut, der kurdische Flüchtling, war nicht neutral. Er hat sich nicht hinter seiner Angst versteckt, die er sehr wohl hatte.
Aber er konnte es einfach nicht ansehen, wie ein Mensch getötet wird, und das, obwohl er zu dem Wachmann kein gutes Verhältnis hatte. Als es das sah, kam ihm eine solche Wut hoch, die seine Angst in den Hintergrund drängte und ihn eingreifen ließ. Es gibt Situationen, da wäre Neutralität einfach nur Gleichgültigkeit und Feigheit.
Diese Demo heute ist ein kleiner, aber vielleicht ein wichtiger Schritt. Sie bedeutet, sich nicht neutral rauszuhalten, bloß seine Ruhe haben zu wollen, sondern offen und laut Nein zu sagen und sich den Rechten entgegen zu stellen. Und wenn ihr demnächst die Rechten auf dem Markplatz von Kyritz abhängen seht, denkt daran, das sind nicht bloß hirnlose Säufer, das sind die Kumpane der Angreifer auf den Wachmann, das sind potenzielle Mörder.
Aktuelles Angriff, Opferperspektive