Alltag in Wittstock

WITTSTOCK.
Das Wetter über der hübschen Stadt zeigt sich von der besten
Seite. Manche Bewohner nicht. Mitten im nordbrandenburgischen Wittstock
befindet sich ein Klamottenladen. Auf den ersten Blick nichts
Besonderes: nur zwei Schaufenster. Einen Namen hat der Laden nicht, aber
eine klare Botschaft. Über den Schaufenstern und der Tür stehen die
Worte, die alles sagen: Thor Steinar, Hate Hate und Nordmann. Es sind
Markennamen, bei denen die Anhänger der rechtsextremen Szene glänzende
Augen bekommen. In solchen Läden kaufen sie sich ihre Freizeituniformen,
oft mit Losungen und Symbolen, die bewusst die Grenzen des Rechtsstaates
ausloten.

Im Laden ist nichts los, dafür davor. Vierzig Abgeordnete aus dem
Landtag und dem Bundesparlament – unter ihnen Grünen-Chefin Claudia Roth
und Klaus Uwe Benneter von der SPD – sind der Einladung des
Brandenburger Vereins Opferperspektive gefolgt, der sich um die Opfer
rechtsextremer Gewalt kümmert und dessen Existenz aus Geldmangel auf dem
Spiel steht. Nach dem Wahlerfolg der NPD in Mecklenburg-Vorpommern
diskutiert die Politik mal wieder über die Finanzierung solcher Vereine.
Was diese wirklich leisten, wissen die wenigsten.

Kaum in den Schlagzeilen

Ein Soziologe erklärt gerade, dass in dem Laden Neonazi-Klamotten
verkauft werden. Da stürmt eine junge Verkäuferin heraus und ruft:
»Jetzt ist Schluss hier, verschwinden Sie, sonst rufe ich die Polizei.«
Die Leute im Laden lassen die Rollos herunter. Der Soziologe sagt:
»Solange es einen solchen Laden hier gibt, ist klar, welche Macht die
Szene in der Stadt hat.«

In Wittstock leben 13 500 Menschen, die rechtsextreme Szene umfasst in
der Region gerade mal 100 Leute. Aber sie hat sich fest etabliert. Die
Verkäuferin ruft: »Das ist mein Arbeitsplatz, so viele Jugendliche leben
auf der Straße und Sie wollen mir mit ihrer Demonstration den Job
wegnehmen.» Ein Abgeordneter sagt: »Wir informieren uns nur.« Dann
stellt der Soziologe klar: »Die sind es nicht gewohnt, dass jemand hier
den Laden thematisiert.»

Über das nicht weit entfernte Rheinsberg – dort waren die Abgeordneten
zuerst – wurde in den vergangenen Wochen viel geschrieben. Dort
versauten 20 Neonazis mit vier Anschlägen auf Läden von ausländischen
Besitzern den Ruf der Stadt. »Es hat lange gedauert, bis ich akzeptiert
habe, dass wir ein Problem mit Neonazis haben, ein Problem für die
nächsten Jahrzehnte«, hatte Bürgermeister Manfred Richter (SPD) den
Abgeordneten erklärt. Jetzt sucht die Stadt Lösungen, plant eine
Zukunftskonferenz mit Bürgern, um sie im Kampf gegen die Neonazis
einzubinden.

Wittstock ist kaum in den Schlagzeilen. Der Ort gilt als eine der vielen
Gegenden, in denen Neonazis die Jugendszene dominieren. Ein Neonazi
sitzt im Stadtparlament, die Szene organisiert regelmäßig Demos,
verteilt Flugblätter. Vor Jahren gab es einen Anschlag auf einen
Döner-Imbiss, ein Dunkelhäutiger wurde gejagt und schwer verletzt.

Lange wurde das Problem ignoriert, dann formierte sich der Widerstand
engagierter Bürger. Trotzdem wurde 2002 der Spätaussiedler Kajrat
Batesov ermordet, es folgte ein Brandanschlag auf die nahe
KZ-Gedenkstätte Belower Höhen. Die Stadt war geschockt, doch dann
machten einige mobil. Die Demos der Gegner unter dem Motto »Diese Stadt
gehört den demokratischen Kräften« waren bald größer als die der
Neonazis. Doch im Alltag schweigt die Mehrheit der Wittstocker. Nur das
Bürgerbündnis gegen Rechtsextremismus ist mit 15 Menschen aktiv. So
haben sich die Neonazis in den Dörfern eingerichtet, wollen als
»Bewegung Neues Deutschland» mit eigenen Kindern den »biologischen
Bestand des Volkes erhalten«. Ein Mann erzählt, wie ein bekannter
Neonazi mit Schülern Hausaufgaben macht oder sie zu Lagerfeuerausflügen
mitnimmt. »Sie gelten als höflich und hilfsbereit, sind voll in ihr
Umfeld integriert«, sagt er.

Kaum in den Schlagzeile

Dann wird von einer Frau berichtet, die vier Jahre arbeitslos war, dann
in der Firma eines Neonazis Arbeit bekam, nachdem sie in dessen
Organisation eintrat. »Unsere Projekte für mehr Demokratie laufen, doch
das kostet Geld«, erklärt Gisela Guskowsky-Bork vom Bürgerbündnis. So
ist die Förderung für das beliebte Haus der Begegnung ausgelaufen, noch
wird es ehrenamtlich fortgeführt.

Man könnte sich wundern, dass sich nur 15 Menschen engagieren, man kann
sich auch freuen, dass sich es überhaupt jemand macht. »Ich bin froh,
dass bei uns über das Neonazi-Problem geredet wird«, sagt Gisela
Guskowsky-Bork. »Nur so kann sich etwas ändern und bessern.«

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