Herr Munjunga, Sie waren ein Freund von Amadeu Antonio und haben 1994 den Verein Palanca mitgegründet. Was hat sich Ihrer Ansicht nach in den letzten 20 Jahren in Eberswalde verändert?
Jone Munjunga: Nach der Wende und in den 1990er Jahren waren wir massiv mit Rassismus konfrontiert. Der äußerte sich nicht nur darin, dass man auf der Straße angemacht, verprügelt und im Extremfall umgebracht wurde. Ausgrenzung und Vorbehalte gab es sowohl in der Bevölkerung als auch in der Politik. Das änderte sich erst Ende der 1990er Jahre, als man in Deutschland ernsthaft über die Themen Integration und Rassismus sowie die Rechtsradikalen zu sprechen begann. Das spürte man auch in Eberswalde. Heute sind wir mit unserem Verein in der Gesellschaft anerkannt. Vor allem mit den Jüngeren gibt es kaum Probleme. Schon seit Jahren kommen sie zu unseren Veranstaltungen, um ihre Toleranz zu zeigen, aber auch um Probleme loszuwerden. Leider ist eine solche Haltung bei Älteren noch nicht vorherrschend.
Frau Böttger, als Beauftragte für Migration und Integration des Landkreises Barnim seit 1991 und engagierte Eberswalderin, wie sehen Sie die Entwicklung?
Marietta Böttger: In den vergangenen Jahren gab es viele Entwicklungen hin zum Positiven. Was ich aber immer noch erlebe: Ausländerfeindliche Sprüche werden off en und deutlich geäußert. Neulich hörte ich zwei ältere Damen im Bus miteinander sprechen und die eine erzählte, dass sie ihren Garten abgeben will, auch weil in der Nachbarschaft nur noch »Russen« seien. Ein weiteres Beispiel: Mir wurde mitgeteilt dass im Bernauer Tafelladen ein Schild »Klauen verboten« hängen soll, allerdings nicht auf Deutsch, sondern nur auf Russisch. Ich stoße ständig auf solche alltäglichen Formen von Ausgrenzung und Rassismus. Alle aktuellen Studien bestätigen dieses Phänomen. Wer also meint, wir sind über den Berg, der irrt sich.
Herr Reinfrank, Sie sind Geschäftsführer der in Berlin ansässigen Amadeu Antonio Stiftung. Mit Ihrem Blick von außen auf die Situation in Eberswalde, teilen Sie diese Einschätzungen?
Timo Reinfrank: Sicherlich ist der Alltagsrassismus nach wie vor ein Riesenproblem – trotz der vielen Projekte in Eberswalde, die sich für ein einträgliches Miteinander zwischen den Bürgern der Stadt eingesetzt haben. Ich glaube, das hat auch damit zu tun, dass viele Demokratie noch immer nicht als Lebensform begreifen. Sie verstehen darunter lediglich, zur Wahl zu gehen und Mehrheitsentscheidungen zu akzeptieren. Dass Demokratie auch damit zu tun hat, Widerstände und Kritik auszuhalten sowie Alternativen auszuprobieren ist vielen noch nicht bewusst. Dabei ist das für eine Gesellschaft eine große Bereicherung. Zumal Demokratie eben auch bedeutet, für schwache Gruppen einzutreten.
Welche Rolle spielt der Mord von Amadeu Antonio für die Stadt Eberswalde und die Eberswalder, Herr Munjunga?
Jone Munjunga: Man hat am Anfang nicht akzeptiert, dass der Mord von Amadeu Antonio Ausdruck von Rassismus war. Stadt und Bevölkerung haben damals den Tätern viel Verständnis entgegengebracht nach dem Motto: Das waren doch betrunkene Jugendliche. Später hat man angefangen, über Rassismus und Rechtsradikale zu reden und sich dem Problem gestellt. Dadurch hat sich die Atmosphäre in Eberswalde geändert. Wenn man durch die Straßen läuft, fühlt man sich heute nicht mehr so bedroht. Aber man kann auch nicht sagen, in Eberswalde ist alles okay. Es gibt immer noch Menschen, die keine Ausländer wollen. Als unser Vereinslokal vor ein paar Jahren abbrannte, war
auch wieder schnell davon die Rede, dass es doch nur Jugendliche gewesen seien, die auf der Suche nach Bier waren und dann das Lokal angezündet haben.
Bekki, wie schätzt Ihr als Linke Aktionsgruppe Eberswalde die rechte Szene in Eberswalde ein?
Bekki: Im Spätsommer hat sich die »Kameradschaft Märkisch Oder Barnim« (KMOB) zwar offi ziell aufgelöst, aber ihre Mitglieder sind noch aktiv. Erst am 23. Oktober nahmen sie bei einer NPD-Demo in Joachimsthal teil. Außerdem gibt es immer wieder rechte Schmierereien, Aufkleber und Pöbeleien in Eberswalde und Umgebung. Die rechte Szene ist etwas geschwächt. Mit der Aufl ösung der KMOB fehlt ihr eine feste öff entliche Organisation. Aber sie arbeiten dennoch weiter und sind gut vernetzt. Das zeigte z. B. das Konzert in Schönow bei Bernau Anfang Oktober. Ort und Termin wurden nur sehr
kurzfristig bekannt gegeben, aber es war trotzdem gut besucht.
Jone Munjunga: Im Gegensatz zu früher habe ich den Eindruck, dass es nicht mehr so viele Neonazis gibt. Aber ich denke auch immer, vielleicht ist es nur
Zufall, dass mir keiner von ihnen über den Weg läuft. So etwas hat man als Ausländer immer im Kopf.
Bekki: Neonazis und Rechte werden nicht mehr so deutlich wahrgenommen. Aber das heißt nicht, dass es sie nicht gibt. Es ist ja gerade ihre Strategie, in der Öffentlichkeit nicht mehr als Schlägertrupps aufzutreten. Aktuelle Beispiele zeigen, dass man die Gewalttätigkeit der Rechten nicht unterschätzen darf: Ende Oktober der Mord in Leipzig an Kamal K., diverse Brandanschläge auf Hausprojekte in Dresden oder etwa der Fund von 337 Waff en bei KMOB-Mitgliedern im Spätsommer dieses Jahres. Der Übergriff in Milmersdorf (Uckermark) auf einen Zirkus, bei dem Kinder der Artistenfamilie mit Steinen beworfen wurden, verdeutlicht vor allem, wie stark sich rechtes Gedankengut in der Gesellschaft breitmacht und akzeptiert wird. Dazu tragen auch gesetzliche Bestimmungen bei, wie die erst kürzlich in Brandenburg entschärfte Residenzpflicht. Davor durften Asylbewerber den ihnen zugewiesenen Landkreis nur mit einer Genehmigung verlassen. Wenn Menschen derart stigmatisiert werden, ist das Rassismus.
Mariette Böttger: Bekki hat vollkommen Recht: Wenn die Polizei sich zur Kontrolle Leute rauspickt, die dunkelhäutig sind und schon durch ihr Äußeres als Nicht-Deutsche auff allen oder als solche eingestuft werden, hat das Signalwirkung. Wenn Asylbewerber in der Regel kein Bargeld, sondern nur Gutscheine bekommen, ist das genauso. Solche ausländerrechtlichen Regelungen grenzen aus. Zwar thematisieren wir gebetsmühlenartig die Folgen dieser Ausgrenzung, aber die Verhältnisse sind teilweise immer noch wie vor 15 oder 20 Jahren. Nicht zuletzt die Diskussion über arabische und türkische Migranten, die Herr Sarrazin angestoßen hat, zeigt, wie oft Ursache und Wirkung verwechselt werden. An solchen Punkten merke ich, wie man mit seinem Engagement an Grenzen stößt.
Timo Reinfrank: Gleichwohl hat die Zivilgesellschaft in Eberswalde viel bewegt. Ich möchte nur an das Modellprojekt »Demokratie leben und lernen im Kindergarten« erinnern. Dabei ging es darum, Demokratiekompetenz im Kindergarten auszubilden und vorurteilsbewusstes Lernen auszuprägen. In Eberswalde hat sich auch eine Bürgerstiftung gegründet, die mit dem Demokratiepreis Demokratie zu ihrer Querschnittsaufgabe gemacht hat. Was hier an Zivilgesellschaft mobilisiert worden ist, auch mit dem Lokalen Aktionsplan gegen Rechts, sucht in Brandenburg sein Beispiel. Und was mir immer auffällt: Wann immer es in Eberswalde darum geht, sich mit Rechtsextremismus und Rassismus auseinanderzusetzen, dann sucht man die Zusammenarbeit mit migrantischen Partnern. Das hat dazu geführt, dass Migranten hier stärker unterstützt werden und sichtbarer sind als in anderen Landkreisen Brandenburgs.
Vielen Dank für das Gespräch.
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