Kann man nach 20 Jahren dieses Ereignis, damals in einer Nacht im November, nicht einfach auf sich beruhen lassen? Kann man nicht irgendwann aufhören, diese »alte Geschichte« immer wieder zu erzählen? Die Antwort mag nicht jedem gefallen: Nein, man kann es nicht. Als rechte Jugendliche den Angolaner Amadeu Antonio Kiowa zu Tode prügelten, beendeten sie nicht nur sein Leben. Auch das Leben seiner Freunde, seiner Familie, seines zu diesem Zeitpunkt ungeborenen Sohnes wurde durch den Tod Amadeu Antonios gezeichnet. Zugleich zerstörten sie mit ihrer Tat die Hoffnung vieler Nichtdeutscher hier in Eberswalde, ein Leben frei von Angst und Rassismus führen zu können.
Kaum ein anderes Ereignis hat Eberswalde in den letzten Jahrzehnten so geprägt. In der Nacht vom 24. auf den 25. November 1990 wurde Amadeu Antonio von rechten Skinheads zu Tode geprügelt. In der damals erst wenige Wochen alten wiedervereinten Bundesrepublik war Amadeu Antonio damit das erste Todesopfer rechter Gewalt, über das öffentlich gesprochen wurde.
Die Hoffnung auf ein besseres Leben
Geboren wurde Amadeu Antonio am 12. August 1962 in Quimbele, in der nordöstlich der angolanischen Hauptstadt Luanda gelegenen Provinz Uige. Als ältester Sohn von insgesamt zwölf Kindern absolvierte er seine Ausbildung in Brasilien, Portugal und der Sowjetunion. 1987 kam Antonio für einen vierjährigen Vertragsaufenthalt in die damalige DDR, in der Hoffnung, hier Flugzeugtechnik studieren zu können.
Stattdessen wurde er jedoch zum Fleischer ausgebildet und arbeitete im Britzer Schlacht- und Verarbeitungskombinat. Zusammen mit ihm kamen zu dieser Zeit 105 weitere Angolaner zur Vertragsarbeit nach Eberswalde. Stand in den Anfangsjahren der Regierungsabkommen zur Vertragsarbeit in der DDR die Berufsausbildung im Mittelpunkt, ging es insbesondere in den 1980er Jahren darum, den Arbeitskräftemangel zu mildern. So auch in der damals stark industriell geprägten Region Eberswalde.
Nach der Wende verloren die meisten Vertragsarbeiter ihren Arbeitsplatz und damit in vielen Fällen ihre Aufenthaltsgenehmigung. Von den ehemaligen angolanischen Arbeitern blieben nur 20 in der Stadt. Einer von ihnen war Amadeu Antonio: Seine deutsche Freundin erwartete ein Kind von ihm. Erst im Jahr 1997 bekamen die Vertragsarbeiter von damals ein dauerhaftes Bleiberecht in Deutschland.
Auf der Suche nach potenziellen Opfern
Den Abend des 24. Novembers 1990 verbrachte Antonio Amadeu mit Freunden aus Angola und Mosambik im »Hüttengasthof« – zu dieser Zeit die einzige Gaststätte am Ort, in der Nichtdeutsche noch willkommene Gäste waren. Als sie das Lokal verließen, trafen sie auf eine Gruppe von 50 Rechten, bewaffnet mit Baseballschlägern und Zaunlatten. Die Gruppe war bereits längere Zeit durch die Stadt gezogen, hatte einen türkischen Imbisswagen aufgebrochen und war nun auf der Suche nach weiteren potenziellen Opfern.
Im späteren Gerichtsverfahren gaben sie zu Protokoll, ihr Ziel sei es gewesen, »N-Wort aufzuklatschen«. Als sie die Afrikaner sahen, schlugen sie sofort zu. Die Gruppe der drei Freunde konnte, zum Teil schwer verletzt, fliehen – bis auf Amadeu Antonio. Er wurde von rund zehn Leuten verfolgt und brutal zusammengeschlagen. Der Baseballschläger wurde herumgereicht, als Amadeu Antonio am Boden lag, sprang ihm einer der Angreifer mit beiden Beinen auf den Kopf.
Drei Zivilfahnder beobachteten das Geschehen aus einiger Entfernung, trauten sich nach eigenen Angaben jedoch nicht, einzugreifen. Sie forderten Verstärkung an. 20 weitere, vollausgerüstete Polizisten befanden sich ebenfalls in der Nähe des Überfalls, schritten jedoch erst zu einem späteren Zeitpunkt ein.
Der 28-jährige Amadeu Antonio erlitt schwerste Kopfverletzungen. Er erlangte nicht wieder das Bewusstsein. Am 6. Dezember starb Amadeu Antonio Kiowa an den Folgen des Angriffs.
Am 9. Januar 1991 wurde sein Leichnam nach Angola überführt – zwei Stunden nach der Geburt seines Sohnes. Dem Magazin Panaroma gegenüber sagte die Mutter Antonios, Helena Alfonso, zehn Jahre nach dem Tod ihres Sohnes: »Aus Deutschland habe ich nichts gehört, keine Information. Das tut weh.« Und sein Bruder, Manuel Antonio, berichtete: »Damals kam einfach der Sarg mit der Leiche meines Bruders. Kein Beileidsschreiben war dabei, nur eine Plastiktüte mit diesen Dokumenten hier auf dem Tisch. Da standen wir nun, mittellos, und mussten irgendwie die Leiche begraben. Aus Deutschland hat sich niemand bei uns gemeldet, kein Wort der Trauer, kein Wort des Mitgefühls.« Beide leben zusammen mit weiteren Geschwistern von Amadeu in einem Armenviertel von Luanda. Dort, auf einem Friedhof am Stadtrand, liegt Amadeu Antonio begraben. Ein Grab aus Sand, Erde und ein paar aufgeschichteten Steinen. Für ein richtiges Grab reichte das Geld der Familie nicht.
In Eberswalde markiert heute eine schlichte Gedenktafel den Ort, an dem Amadeu Antonio vor 20 Jahren zu Tode geprügelt wurde.
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