Die Rheinsberger Schlösser- und Seenlandschaft ist mit über einer halben Million BesucherInnen jährlich neben Potsdam und dem Spreewald das touristische Zentrum Brandenburgs. Die traditionelle Keramikmanufaktur, Lesungen im Tucholsky-Museum sowie das Opernfestival im Hof des Schlosses des Kronprinzen Friedrich ziehen kulturell und historisch Interessierte an. Die Wirtschaft ist auf den Fremdenverkehr ausgerichtet. Das war nicht immer so. 700 Menschen arbeiteten einst am Großen Stechliner See im ersten Atommeiler der DDR. Als die sowjetischen Reaktoren nach der Wende abgeschaltet wurden, verloren hunderte RheinsbergerInnen ihre Arbeit. Seit der Gebietsreform von 2003 hat die Kommune 9.000 BürgerInnen, die auf nicht weniger als 17 Ortsteile verteilt sind. 5.000 Menschen leben in der touristischen Altstadt. Mit gerade 28 EinwohnerInnen pro Quadratkilometer gehört die Gemeinde zu den am dünnsten besiedelten Deutschlands.
Fremdenfeindlichkeit hat dem Erholungsort viele Negativschlagzeilen beschert. Rechte Gewalt vor Rokoko-Kulisse – der Kontrast reizt. Wohl keine Gemeinde ist so oft von ReporterInnen aufgesucht worden, die dem Phänomen des ostdeutschen Rechtsextremismus nachspüren wollten. Alles begann, als im Juli 1998 der Leiter der Tucholsky-Gedenkstätte von einem jungen Rechten zusammengeschlagen wurde. Die neue Stadtschreiberin Inka Bach, die an jenem Abend erstmals öffentlich gelesen hatte, trug daraufhin zusammen, was sie über Hakenkreuze, Judenwitze und rechte Überfälle erfuhr. Ihr im Jahr 2000 erschienenes Rheinsberger Tagebuch »Wir kennen die Fremde nicht« ist eine Anklage gegen das Verharmlosen und Leugnen. Ihr Plädoyer für die Unterstützung der Opfer rechter Gewalt litt jedoch darunter, dass sie zugleich mit den »verschlossenen Gesichtern« der RheinsbergerInnen und dem »Gestank« der DDR abrechnete, aus dem die Berlinerin als 16-Jährige geflohen war. Von der Bild-Zeitung, aber auch von SchriftstellerkollegInnen erntete sie harsche Kritik.
Eine Stadt im Zwiespalt
Der Brandanschlag auf einen Dönerstand im Frühjahr 2005 brachte die rassistische Gewalt wieder auf die Titelseiten. Es war schon der vierte Anschlag gegen den Imbiss. Die kurdische Familie erwog nun, der Stadt den Rücken zu kehren. Aber Bürgermeister Manfred Richter und mit ihm viele RheinsbergerInnen stellten sich mit Demonstrationen entschieden auf die Seite der NeubürgerInnen. Mit Spenden wurde ein neuer Imbiss eingerichtet. Kurz darauf griffen Rechte asiatische Geschäfte und ein Restaurant an. Angesichts 31 rechter Straftaten im Jahr 2005 will Richter mehr als kurzfristigen Aktionismus. In Rheinsberg muss sich grundsätzlich etwas ändern; was und wie – darüber sollen BürgerInnen, Unternehmen und Vereine auf einer »Zukunftskonferenz « im November 2006 gemeinsam beraten. Für den klaren Kurs erhält die Stadtverwaltung Anerkennung und professionelle Unterstützung, so etwa vom Brandenburgischen Innenministerium, der »Friedrich-Ebert-Stiftung« und dem »Mobilen Beratungsteam«.
Manche der Stadtverordneten meinen jedoch, das »politisch korrekte Getöne« schade nur dem Ansehen der Stadt. Für die rechte Gewalt macht etwa ein Mandatsträger der »Allianz der Gemeinden« die »links orientierte Jugendpflegerin« verantwortlich. Solchen Ausfällen stimmt sicherlich nur eine Minderheit zu. Denn die Jugendarbeiterin, die den »Langen Tag der Jugend« etablierte, wurde von SchülerInnen und Eltern sehr geschätzt. Im Dezember 2005 wurde sie entlassen. Eine Mehrheit der Stadtverordneten hatte gegen sie gestimmt.
Aktuelles Opferperspektive