Ihr Verein heißt »Opferperspektive«. Was wollen Sie mit diesem Namen ausdrücken?
Wir stellen uns an die Seite der Opfer und versuchen, ihre Wahrnehmung von rechter Gewalt, ihre Alltags- erfahrungen mit Rassismus und ihre Bedrohung nach- zuvollziehen. Aus dieser Perspektive sieht die Wirklichkeit anders und gefährlicher aus, als sie vom Staat, der Polizei oder von vielen BürgerInnen wahrgenommen wird. In unserer Satzung steht sinngemäß, dass wir für eine Gesellschaft arbeiten wollen, an der alle – und nicht nur eine Mehrheit – ohne Angst teilnehmen können. Für unsere Beratungsarbeit heißt das, dass wir einen klar parteilichen Ansatz verfolgen und uns an den Interessen und Bedürfnissen der Opfer orientieren.
In den Statistiken über rechte Gewalttaten in Deutschland steht Brandenburg immer weit oben. Welchen Beitrag leisten Sie zur Bekämpfung von Rechtsextremismus und Gewalt?
Wir sorgen dafür, dass die Menschen, die sich hinter den Zahlen verbergen, vor Ort Hilfe bekommen. Wir bieten psychosoziale Begleitung an. Wir vermitteln RechtsanwältInnen, sorgen für DolmetscherInnen, FachärztInnen, Therapieplätze – je nachdem, was für die einzelne Person wichtig ist, um die Gewaltfolgen zu überwinden. Was oft unterschätzt wird, ist die Angst und Unsicherheit von FreundInnen und Angehörigen, denen wir auch Beratung anbieten. Man muss sich vorstellen, wie das ist, wenn man jeden Tag Angst hat, dass das eigene Kind wieder vor der Schule zusammengeschlagen wird. Das ist unser konkreter Beitrag. Darüber hinaus finde ich es schwer, das eigene Engagement angemessen zu würdigen. Wie sehr wir uns auch anstrengen – und das tun wir –, müssen wir doch auch sehen, wie sich Rassismus und Gewalt beständig reproduzieren. Ich denke aber, dass die »Opferperspektive« einen Anteil daran hat, dass heute mehr und besser über rechte Gewalt diskutiert wird. Die intensive Öffentlichkeitsarbeit und die Solidarität, die wir für die Opfer anregen, werden zum Teil wirksam. Allerdings ist das Wegsehen und Verschweigen immer noch eher die Regel als die Ausnahme.
Alle Vereine, die sich in Ostdeutschland gegen Rechts engagieren, benötigen finanzielle Unterstützung. Was aber erwarten Sie darüber hinaus von der Politik?
Da gibt es vieles. Wir wollen Unterstützung, auch finanzielle, natürlich. Ich wünsche mir aber auch eine grundsätzlich andere Perspektive. Seit 15 Jahren gibt es alle paar Jahre eine Situation, in der die Aufmerksamkeit groß ist. Das waren zuletzt die rechten Überfälle vor der Fußball-WM, davor war es der Wahlerfolg der NPD in Sachsen. Rechte Gewalt wird plötzlich ein drängendes Thema. Alle rufen nach Maßnahmen und zeigen Solidarität. Das ist schon richtig und ich will auch nicht die ehrliche Besorgnis politisch Verantwortlicher in Abrede stellen. Aber wir sehen ja, dass es kein »hartes« Thema ist, bei dem wirklich über den richtigen Weg nachgedacht wird. Eine weniger spektakuläre, dafür aber differenzierte Auseinandersetzung wäre wichtig. Ich will noch eine Sache sagen, die mich regelmäßig ärgert: Dass MigrantInnen auf der politischen Ebene hauptsächlich als Problemgruppe oder Bedrohung diskutiert werden, ist nicht geeignet, um rassistischen Wahrnehmungen in der Bevölkerung zu begegnen.
Wann könnte man Ihrer Ansicht nach davon sprechen, dass sich die Situation für Menschen, die Gefahr laufen, Opfer rechter Gewalt werden, nachhaltig verbessert hätte?
Wenn ich wieder ohne innere Unruhe mit meinen ausländischen Freunden einen Samstag am Badesee verbringen kann.
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