Seit 1990 sind nach Recherchen von Tagesspiegel und Zeit mindestens 137 Menschen durch rechte Gewalt ums Leben gekommen. Für die meisten Todesopfer gibt es weder ein öffentliches Gedenkzeichen noch eine Kultur der Erinnerung. Warum tut man sich damit so schwer?
So bitter es klingt: Im öff entlichen Bewusstsein sind die meisten Opfer einfach nicht präsent. Aber das gilt nicht nur für die Allgemeinheit: Nicht selten werden nämlich die Opfer auch innerhalb der Gruppen vergessen, als deren Stellvertreter sie von Rechten ermordet wurden. Die Betroffenheit ist nach einem Mord sehr groß. Eine solche Tat hat jedoch nicht nur eine persönliche Dimension. Damit sie im öffentlichen Gedächtnis gehalten wird, braucht es Menschen, die die Kraft und das entsprechende politische Bewusstsein dazu haben. Nur so kann sich eine Erinnerungskultur entwickeln.
Wer steht dabei in der Verantwortung? Sind es primär Freunde und Angehörige oder ist es eine gesellschaftliche Verpflichtung?
Was heißt Pflicht? Eine Gesellschaft, die ihre Maxime von Gleichheit, Respekt und Toleranz ernst nimmt, wird auch Formen finden, an Opfer rechter Gewalt zu erinnern. Doch dazu braucht es Menschen, die sich das zur Aufgabe machen – unabhängig davon, ob sie das Opfer kannten oder sich mit ihm identifizieren können.
In Eberswalde findet man unterschiedliche Formen des Gedenkens. Zum 20. Todestag von Amadeu Antonio gibt es zahlreiche Veranstaltungen, an denen sich auch der Landkreis Barnim und die Stadt Eberswalde beteiligen. Dem zehn Jahre später bei einer Auseinandersetzung mit einem Rechten umgekommenen Punk Falko Lüdtke gedenkt hingegen nur der Freundeskreis. Woran liegt dies?
Die Stigmatisierung bestimmter Opfergruppen reicht eben über deren Tod hinaus. Amadeu Antonio ist zu Recht zu einer Symbolfigur des Ausmaßes rechter Gewalt in den 1990er Jahren in Ostdeutschland geworden. Punks hingegen haben keine öffentlichen Fürsprecher. Insofern fällt es – gerade einer Stadtverwaltung – schwer, sich das Vermächtnis eines von Neonazis getöteten Punk zu eigen zu machen.
Gibt es nicht aber auch die Gefahr, dass sich Gedenkfeiern immer stärker von der Person entfernen, der da gedacht werden soll? Oftmals hat man den Eindruck, dass es sich um Rituale handelt, bei denen ganz andere Dinge im Vordergrund stehen?
Das ist natürlich dann eine Gefahr, wenn die Erinnerung nur dazu dient, die Identität jener zu bestätigen, die einem Opfer gedenken. Deshalb ist es so wichtig, wieder und wieder darauf zu verweisen, dass alle Opfer die gleiche Würde haben – egal, wie sie gelebt haben oder welcher gesellschaftlichen Gruppe sie angehörten. Man muss die Erinnerung mit der politischen Dimension verknüpfen, die solchen Taten zugrunde liegt, also der Wirkung, die rechte Gewalt für eine Gesellschaft hat. Gelingt das, erstarrt das Gedenken nicht, sondern schafft im besten Falle Sensibilität und Bewusstsein für das Problem rechter Gewalt.
Wie kann eine Erinnerungskultur für Opfer rechter Gewalt aussehen? Welche Elemente und Aspekte muss sie beinhalten?
Sie muss eine Form finden, die dem Opfer gerecht wird, ohne es zu instrumentalisieren. Wirkung entfaltet eine solche Erinnerungskultur dann, wenn mit ihr ein Signal verbunden ist. Ein Signal dafür, dass es einen Konsens zur Ächtung rechter Gewalt gibt und eine Bereitschaft zur Solidarität mit den Opfern rechter Gewalt – egal, ob es sich um Schwule, Migranten, Obdachlose oder Punks handelt. In diesem Sinne ist das Gedenken in Eberswalde an Amadeu Antonio ein gutes Beispiel.
Am 9. Mai 1992 überfielen rund 60 Neonazis eine Geburtstagsfeier von Punks in der Magdeburger Gaststätte »Elbterrassen«. Der Punk Torsten Lamprecht wurde erschlagen. David Begrich war damals vor Ort. Heute arbeitet er als Referent der Arbeitsstelle Rechtsextremismus beim Verein Miteinander in Sachsen-Anhalt.
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