Beratungsstellen veröffentlichen gemeinsame Statistik für 2012. 626 Fälle politisch rechts motivierter Gewalt in Ostdeutschland. Der Anstieg rassistischer Gewalttaten ist Besorgnis erregend.
Die Beratungsstellen für Opfer rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt haben für das vergangene Jahr in den neuen Bundesländern und Berlin insgesamt 626 politisch rechts motivierte Angriffe mit mindestens 999 direkt Betroffenen dokumentiert. Dies waren rund 11 Prozent weniger, als die Beratungsstellen bis März 2012 für das Vorjahr dokumentiert hatten (2011:706). Statistisch gesehen ereignen sich somit in Ostdeutschland etwa zwei rechte Angriffe pro Tag.
Mit 155 Fällen wurden die meisten politisch rechts motivierten Gewalttaten in Sachsen gezählt. Es folgen Berlin (139), Sachsen-Anhalt (104), Brandenburg (95), Thüringen (74) und Mecklenburg-Vorpommern (59). Im Verhältnis zur Einwohnerzahl betrachtet, nimmt Sachsen-Anhalt mit 4,5 Angriffen pro 100.000 EinwohnerInnen erneut einen traurigen Spitzenplatz ein, gefolgt von Berlin (3,97), Brandenburg (3,81), Sachsen (3,75), Mecklenburg-Vorpommern (3,61) und Thüringen (3,33).
Tödliche Dimension rechter Gewalt
Insgesamt haben die unabhängigen Beratungsstellen eine uneinheitliche Entwicklung der Angriffszahlen beobachtet: In Thüringen ist die Anzahl der bekannt gewordenen Angriffe im Vergleich zum Vorjahr um mehr als 50 Prozent angestiegen. Auch in Brandenburg wurde ein Anstieg um 13 Prozent festgestellt. Andere Beratungsstellen hingegen verzeichnen niedrigere Angriffszahlen im Vergleich zum Vorjahr. Einen Rückgang von 12 Prozent hat die Berliner Beratungsstelle ReachOut für 2012 registriert, in Mecklenburg-Vorpommern wurden rund ein Drittel weniger rechte Gewalttaten bekannt.
Die Opferberatungsstelle ezra hat für das Jahr 2012 ein rechtes Tötungsdelikt in Thüringen registriert: Am Abend des 16. Juni 2012 wurde in Suhl ein 59-jähriger, sozial benachteiligter Mann von drei 17- bis 24-Jährigen in seiner Wohnung überfallen und über mehrere Stunden erniedrigt und gefoltert. Schließlich ließen die Angreifer ihn schwer verletzt zurück, sodass er in den Vormittagsstunden des 17. Juni 2012 starb. Noch während ihrer polizeilichen Vernehmung werteten die Beschuldigten ihr Opfer als »Penner« und »Spinner« ab. Im Dezember 2012 begann vor dem Landgericht Meiningen der Prozess gegen zwei 18- und 24-jährige Brüder. Der zur Tatzeit 17-Jährige war u.a. wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gerichtsbekannt. Ende Januar wurden die Angeklagten wegen Mordes aus niederen Beweggründen und weiteren Straftaten zu Haftstrafen zwischen neun und 11 Jahren verurteilt.
Deutlicher Anstieg rassistischer Gewalt
Ausgesprochen Besorgnis erregend ist der Anstieg bei rassistisch motivierten Gewalttaten um mehr als 20 Prozent (2012: 276; 2011: 226). Fast die Hälfte aller registrierten Angriffe geschah aus rassistischen Motiven (2012: 44 Prozent; 2011: 32 Prozent). Oft war es dabei nur glücklichen Umständen zu verdanken, dass die Angriffe keinen tödlichen Ausgang nahmen:
Am 29. April 2012 griffen vier u.a. mit Schlagring und Teleskopschlagstock bewaffnete Rechte unter rassistischen Beschimpfungen zwei Familien auf einem Volksfest in Lutherstadt Eisleben (Sachsen-Anhalt) an. Die Täter schlugen dabei massiv auf die Köpfe der am Boden liegenden Betroffenen ein. In Geithain (Sachsen) wurde 2012 eine Pizzeria fünfmal angegriffen. Im Mai detonierte dort ein Sprengsatz. Durch die Explosion wurde das Geschäft erheblich beschädigt, die BewohnerInnen des Gebäudes mussten evakuiert werden. In Zwickau (Sachsen) erlitt ein 26-Jähriger türkischer Herkunft durch einen von Neonazis geplanten Überfall am 25. August 2012 lebensgefährliche Verletzungen.
Nicht-rechte und alternative Personen (22 %; 137 Angriffe) sowie Menschen, die von den TäterInnen als politische GegnerInnen angesehen werden (21 %; 131 Angriffe), gehören ebenso zu den Hauptbetroffenen rechter Gewalt. Bei 39 Gewalttaten war Homofeindlichkeit (6 %) und in jeweils zehn Fällen Antisemitismus und Sozialdarwinismus (2 %) zentrales Tatmotiv. Zudem registrierten die Beratungsstellen drei Angriffe gegen Menschen aufgrund einer Behinderung.
Anhaltende Kritik an Arbeit der Ermittlungsbehörden
Betroffene rechter Gewalt berichten auch weiterhin von respektloser Behandlung durch PolizeibeamtInnen. Dies zeigt sich u.a. in einer Verharmlosung der politischen Motivation der TäterInnen bis hin zur Kriminalisierung von Opfern rechter Gewalt durch die Ermittlungsbehörden. »Die Erwartung, dass die öffentliche Auseinandersetzung um das Versagen staatlicher Stellen im Zusammenhang mit der rassistischen Mordserie des NSU zumindest zu einer erhöhten Sensibilität von Polizei und Justiz im Umgang mit den Betroffenen rechter Gewalt beitragen würde, hat sich nicht erfüllt«, konstatieren die Beratungsstellen. »Hier gibt es immer noch einen erheblichen Verbesserungsbedarf.«
»Betroffene rassistisch motivierter Gewalt berichten uns immer wieder, dass sie zuerst nach Ausweispapieren gefragt oder sogar wie TäterInnen behandelt werden, obwohl ihre Verletzungen nicht zu übersehen sind«, kritisiert Sabine Seyb von ReachOut Berlin.
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